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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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z. B. über die Frage: Föderation oder Einheitsstaat? oder über die römische
Frage sind diese Briefe im höchsten Grade interessant. Insbesondere das römische
Problem ist es, das von den Flitterwochen des gegenwärtigen Pontificats an
bis zum Septembervertrag des Jahres 1864 ihn in dieser Correspondenz am
meisten beschäftigt. Manche von den Ideen, die er dem Strom der öffentlichen
Meinung entgegen zum ersten Male ausgesprochen, sind heute zu allgemeiner
Anerkennung gelangt. Das Schlagwort lioma, Kapitals hat an ihm zuerst einen
geharnischten Gegner gefunden, zu derselben Zeit als Cavour den mazzinistischen
Schlachtruf aufnahm. Die Verlegung der Hauptstadt nach Florenz, die Idee
einer allmäligen Umwandlung des Papstthums, wie sie durch den September¬
vertrag eingeleitet ist, ist wesentlich auf seine Initiative zurückzuführen und
noch heute sind die Urtheile des Mannes, den Giuv Capponi einmal treffend
den politischen Moralisten Italiens genannt hat, um so lehrreicher, je
ferner der Tag scheint, der die endliche Lösung der römischen Frage bringt.


Wilhelm Lang.


Die russischen Sectirer und der polnische Aufstand.

(Vrgl. Ur. 33, 34 und 35 der Grenzboten.)

Der ihm aus Moskau gewordenen Einladung entsprechend, reiste Kyrill,
der Metropolit von Bjelokrinitz, herkömmlicherweise mit einem falschen Paß
versehen, im December 1862 nach Petersburg und Moskau. Allenthalben von
seinen Glaubensgenossen mit Ehrfurcht aufgenommen, langte er Ende Januar
in der alten Zarenstadt an. Im Februar 1863 fand in den auf dem mos¬
kauer Rogoschfriedhof belegenen Gebäuden ein von dem Metropoliten geleitetes
"allgemeines Concil" sämmtlicher Bischöfe und Aeltesten der in Nußland leben¬
den altgläubigen Gemeinden hierarchischer Observanz statt, welches die Unter¬
ordnung der russischen Gläubigen unter den Metropoliten von Bjelokrinitz be¬
schloß, ein Statut der Kirchenverwaltung ausarbeitete und einen Erzbischof für
Rußland wählte, der gleichsam der locum tenerrs des Metropoliten sein sollte.
Es schien alles auf dem besten Wege zu sein; zum ersten Mal seit drei Jahr¬
hunderten war die Hierarchie der Seete vollständig organisirt und merkwürdiger¬
weise ignorirte die sonst so wachsame Regierung alles, was auf dem geheim-


z. B. über die Frage: Föderation oder Einheitsstaat? oder über die römische
Frage sind diese Briefe im höchsten Grade interessant. Insbesondere das römische
Problem ist es, das von den Flitterwochen des gegenwärtigen Pontificats an
bis zum Septembervertrag des Jahres 1864 ihn in dieser Correspondenz am
meisten beschäftigt. Manche von den Ideen, die er dem Strom der öffentlichen
Meinung entgegen zum ersten Male ausgesprochen, sind heute zu allgemeiner
Anerkennung gelangt. Das Schlagwort lioma, Kapitals hat an ihm zuerst einen
geharnischten Gegner gefunden, zu derselben Zeit als Cavour den mazzinistischen
Schlachtruf aufnahm. Die Verlegung der Hauptstadt nach Florenz, die Idee
einer allmäligen Umwandlung des Papstthums, wie sie durch den September¬
vertrag eingeleitet ist, ist wesentlich auf seine Initiative zurückzuführen und
noch heute sind die Urtheile des Mannes, den Giuv Capponi einmal treffend
den politischen Moralisten Italiens genannt hat, um so lehrreicher, je
ferner der Tag scheint, der die endliche Lösung der römischen Frage bringt.


Wilhelm Lang.


Die russischen Sectirer und der polnische Aufstand.

(Vrgl. Ur. 33, 34 und 35 der Grenzboten.)

Der ihm aus Moskau gewordenen Einladung entsprechend, reiste Kyrill,
der Metropolit von Bjelokrinitz, herkömmlicherweise mit einem falschen Paß
versehen, im December 1862 nach Petersburg und Moskau. Allenthalben von
seinen Glaubensgenossen mit Ehrfurcht aufgenommen, langte er Ende Januar
in der alten Zarenstadt an. Im Februar 1863 fand in den auf dem mos¬
kauer Rogoschfriedhof belegenen Gebäuden ein von dem Metropoliten geleitetes
„allgemeines Concil" sämmtlicher Bischöfe und Aeltesten der in Nußland leben¬
den altgläubigen Gemeinden hierarchischer Observanz statt, welches die Unter¬
ordnung der russischen Gläubigen unter den Metropoliten von Bjelokrinitz be¬
schloß, ein Statut der Kirchenverwaltung ausarbeitete und einen Erzbischof für
Rußland wählte, der gleichsam der locum tenerrs des Metropoliten sein sollte.
Es schien alles auf dem besten Wege zu sein; zum ersten Mal seit drei Jahr¬
hunderten war die Hierarchie der Seete vollständig organisirt und merkwürdiger¬
weise ignorirte die sonst so wachsame Regierung alles, was auf dem geheim-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/400>, abgerufen am 08.05.2024.