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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Das wäre nicht blos ein scholastisches Küchenlatein, sondern auch eine verbre¬
cherische Selbstüberhebung.

Und dann, was die Form anlangt, erinnert nicht die Art der Polemik in
unserer politischen Presse. -- wie man sich gegenseitig mit Silbenstechereien und
Spitzfindigkeiten chicanirt, wie man einander Verstöße gegen Grammatik, Logik
und Konsequenz vorwirft, wie jeder behauptet, er habe das wahre politische
Lebenselixir, die Anderen alle seien Schwindler, Lügner, und wie die Schimpfwörter
aus dem großen reichen deutschen Sprachschatz heißen, -- erinnert das alles
nicht an die Charlatans auf den Jahrmärkten und an die Kämpfe der Gelehrten
aus der Zopfperiode?

Ziemt es denn einer hochcultivirten Nation, die einen weiten freien Blick
hat und erhabene Ziele verfolgt, sich in der Arena der politischen Presse einer
Sprache zu bedienen, welche erinnert an die kurzweiligen Hanswurstereien des
Wiener Paters Abraham a Santa Clara und an die Kraftsprache des orthodoxen
Hauptpastors Johann Melchior Götze in Hamburg?


Ihr ergebenster B.


Die Attentate vom 16. April 1866 und 6. Juni 1867.

Während die Slawenstämme in Moskau ein Verbrüderungssest feiern, das
die Herstellung jenes großen Zukunftsbundcs der östlichen Völker vorbereiten soll,
auf den der Panslawismus seit Jahrzehnten hinarbeitet, während in Paris die
mächtigsten europäischen Fürsten und Staatsmänner versammelt sind, um den
Frieden zwischen ihren in die neue, 1866 geschaffene Ordnung der Dinge noch
nicht eingewöhnten Völkern zu consolidiren, hat die Kugel eines fanatischen
Polen gegen die bestehende europäische Ordnung, wie gegen die Einheit des
slawischen Stammesbewußtseins protestirt und der Welt wieder einmal das
halbvergessene .Noch ist Polen nicht verloren" zuzurufen versucht. Indeß Re¬
gierungen und Völker sich beeilen, ihren Abscheu gegen den Meuchelmord zu
Manifestire", der als Verletzung eines doppelten Gastrechts das Mißfallen selbst
der polnischen Emigration erregt hat und die pariser Gesellschaft beflissen ist,
die peinlichen Eindrücke dieser That wie der volensreundlichen Manifestationen


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Das wäre nicht blos ein scholastisches Küchenlatein, sondern auch eine verbre¬
cherische Selbstüberhebung.

Und dann, was die Form anlangt, erinnert nicht die Art der Polemik in
unserer politischen Presse. — wie man sich gegenseitig mit Silbenstechereien und
Spitzfindigkeiten chicanirt, wie man einander Verstöße gegen Grammatik, Logik
und Konsequenz vorwirft, wie jeder behauptet, er habe das wahre politische
Lebenselixir, die Anderen alle seien Schwindler, Lügner, und wie die Schimpfwörter
aus dem großen reichen deutschen Sprachschatz heißen, — erinnert das alles
nicht an die Charlatans auf den Jahrmärkten und an die Kämpfe der Gelehrten
aus der Zopfperiode?

Ziemt es denn einer hochcultivirten Nation, die einen weiten freien Blick
hat und erhabene Ziele verfolgt, sich in der Arena der politischen Presse einer
Sprache zu bedienen, welche erinnert an die kurzweiligen Hanswurstereien des
Wiener Paters Abraham a Santa Clara und an die Kraftsprache des orthodoxen
Hauptpastors Johann Melchior Götze in Hamburg?


Ihr ergebenster B.


Die Attentate vom 16. April 1866 und 6. Juni 1867.

Während die Slawenstämme in Moskau ein Verbrüderungssest feiern, das
die Herstellung jenes großen Zukunftsbundcs der östlichen Völker vorbereiten soll,
auf den der Panslawismus seit Jahrzehnten hinarbeitet, während in Paris die
mächtigsten europäischen Fürsten und Staatsmänner versammelt sind, um den
Frieden zwischen ihren in die neue, 1866 geschaffene Ordnung der Dinge noch
nicht eingewöhnten Völkern zu consolidiren, hat die Kugel eines fanatischen
Polen gegen die bestehende europäische Ordnung, wie gegen die Einheit des
slawischen Stammesbewußtseins protestirt und der Welt wieder einmal das
halbvergessene .Noch ist Polen nicht verloren" zuzurufen versucht. Indeß Re¬
gierungen und Völker sich beeilen, ihren Abscheu gegen den Meuchelmord zu
Manifestire», der als Verletzung eines doppelten Gastrechts das Mißfallen selbst
der polnischen Emigration erregt hat und die pariser Gesellschaft beflissen ist,
die peinlichen Eindrücke dieser That wie der volensreundlichen Manifestationen


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[0475] Das wäre nicht blos ein scholastisches Küchenlatein, sondern auch eine verbre¬ cherische Selbstüberhebung. Und dann, was die Form anlangt, erinnert nicht die Art der Polemik in unserer politischen Presse. — wie man sich gegenseitig mit Silbenstechereien und Spitzfindigkeiten chicanirt, wie man einander Verstöße gegen Grammatik, Logik und Konsequenz vorwirft, wie jeder behauptet, er habe das wahre politische Lebenselixir, die Anderen alle seien Schwindler, Lügner, und wie die Schimpfwörter aus dem großen reichen deutschen Sprachschatz heißen, — erinnert das alles nicht an die Charlatans auf den Jahrmärkten und an die Kämpfe der Gelehrten aus der Zopfperiode? Ziemt es denn einer hochcultivirten Nation, die einen weiten freien Blick hat und erhabene Ziele verfolgt, sich in der Arena der politischen Presse einer Sprache zu bedienen, welche erinnert an die kurzweiligen Hanswurstereien des Wiener Paters Abraham a Santa Clara und an die Kraftsprache des orthodoxen Hauptpastors Johann Melchior Götze in Hamburg? Ihr ergebenster B. Die Attentate vom 16. April 1866 und 6. Juni 1867. Während die Slawenstämme in Moskau ein Verbrüderungssest feiern, das die Herstellung jenes großen Zukunftsbundcs der östlichen Völker vorbereiten soll, auf den der Panslawismus seit Jahrzehnten hinarbeitet, während in Paris die mächtigsten europäischen Fürsten und Staatsmänner versammelt sind, um den Frieden zwischen ihren in die neue, 1866 geschaffene Ordnung der Dinge noch nicht eingewöhnten Völkern zu consolidiren, hat die Kugel eines fanatischen Polen gegen die bestehende europäische Ordnung, wie gegen die Einheit des slawischen Stammesbewußtseins protestirt und der Welt wieder einmal das halbvergessene .Noch ist Polen nicht verloren" zuzurufen versucht. Indeß Re¬ gierungen und Völker sich beeilen, ihren Abscheu gegen den Meuchelmord zu Manifestire», der als Verletzung eines doppelten Gastrechts das Mißfallen selbst der polnischen Emigration erregt hat und die pariser Gesellschaft beflissen ist, die peinlichen Eindrücke dieser That wie der volensreundlichen Manifestationen 60*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/475>, abgerufen am 05.05.2024.