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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Stadt der Intelligenz und des Charakters," -- diese Ehre zu würdigen, muß der
Wählerschaft der Reichshauptstadt überlassen bleiben, die wenigstens nicht im
Zweifel darüber sein kann, in welchen Lagern sie ihre Freunde besitzt.




Eine ultramontane Versammlung.

Sie haben mir gestattet, Ihnen zuweilen aus dem Frieden der tiroler
Berge zu berichten. Heute unter dem Eindruck der wiener Bischofsadresse,
deren Behandlung uns mit ungewöhnlichen Erwartungen erfüllt, kann ich nicht
unterlassen, an die Katholikenversammlung zu erinnern, die vor drei Wochen
hier tagte. Solche Zusammenkünfte waren Modeartikel der letzten Saison.
Auch in Belgien gabs heilige Weisheit in barocker Form genug zu hören.
Aber bei uns mußten sich die Herren wenigstens ganz unter sich behelfen. In
der Fest-Stadt keine Spur von Sympathie, keine einzige nennenswerthe Kund¬
gebung. Freilich, ein Volk bildeten sie selber: man zählte 1036 Seelen, dar¬
unter nur 470 Nichttiroler. -- Auf alle Gefahr gebe ich ihnen einige kleine
Porträts, denn solche Ergebnisse aufzubewahren, ist doch von einigem Werth,
zumal da wir uns schuldig sind, zu hoffen, daß unseren Enkeln nicht zugemu-
thet wird, an die Wahrheit solcher Curiosa zu glauben.

Abends am 8. September wurden die Fremden im Landhause begrüßt.
Herr Simon Moriggl, Professor am Gymnasium zu Innsbruck und thätiges
Mitglied der geheimen ultramontanen Polizei, gab in seiner Anrede die Parole
des Tages: "Ja, die Arbeit und die Schule und die Presse muß getauft werden.
Wenn ich da von Christen rede, so meine ich immer katholische, denn ich kenne
kein Christenthum als dasjenige, das von Gott gegeben und in der heiligen
katholischen Kirche deponirt ist." Daß dies Wort aus dem Munde Sanct-
Moriggl's kam, wundert uns nicht, aber daß es die Ohren der Versammelten
willig aufnahmen, würde den Geist des Convents charakterisiren, wenn hier
überhaupt von Geist zu reden wäre.

Tags darauf war Hochamt in der Jesuitenkirche. dann zögen die Herren
Katholiken paarweise in die Reitschule, welche der Volkswitz als "Circus Hast-


Stadt der Intelligenz und des Charakters," — diese Ehre zu würdigen, muß der
Wählerschaft der Reichshauptstadt überlassen bleiben, die wenigstens nicht im
Zweifel darüber sein kann, in welchen Lagern sie ihre Freunde besitzt.




Eine ultramontane Versammlung.

Sie haben mir gestattet, Ihnen zuweilen aus dem Frieden der tiroler
Berge zu berichten. Heute unter dem Eindruck der wiener Bischofsadresse,
deren Behandlung uns mit ungewöhnlichen Erwartungen erfüllt, kann ich nicht
unterlassen, an die Katholikenversammlung zu erinnern, die vor drei Wochen
hier tagte. Solche Zusammenkünfte waren Modeartikel der letzten Saison.
Auch in Belgien gabs heilige Weisheit in barocker Form genug zu hören.
Aber bei uns mußten sich die Herren wenigstens ganz unter sich behelfen. In
der Fest-Stadt keine Spur von Sympathie, keine einzige nennenswerthe Kund¬
gebung. Freilich, ein Volk bildeten sie selber: man zählte 1036 Seelen, dar¬
unter nur 470 Nichttiroler. — Auf alle Gefahr gebe ich ihnen einige kleine
Porträts, denn solche Ergebnisse aufzubewahren, ist doch von einigem Werth,
zumal da wir uns schuldig sind, zu hoffen, daß unseren Enkeln nicht zugemu-
thet wird, an die Wahrheit solcher Curiosa zu glauben.

Abends am 8. September wurden die Fremden im Landhause begrüßt.
Herr Simon Moriggl, Professor am Gymnasium zu Innsbruck und thätiges
Mitglied der geheimen ultramontanen Polizei, gab in seiner Anrede die Parole
des Tages: „Ja, die Arbeit und die Schule und die Presse muß getauft werden.
Wenn ich da von Christen rede, so meine ich immer katholische, denn ich kenne
kein Christenthum als dasjenige, das von Gott gegeben und in der heiligen
katholischen Kirche deponirt ist." Daß dies Wort aus dem Munde Sanct-
Moriggl's kam, wundert uns nicht, aber daß es die Ohren der Versammelten
willig aufnahmen, würde den Geist des Convents charakterisiren, wenn hier
überhaupt von Geist zu reden wäre.

Tags darauf war Hochamt in der Jesuitenkirche. dann zögen die Herren
Katholiken paarweise in die Reitschule, welche der Volkswitz als „Circus Hast-


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[0120] Stadt der Intelligenz und des Charakters," — diese Ehre zu würdigen, muß der Wählerschaft der Reichshauptstadt überlassen bleiben, die wenigstens nicht im Zweifel darüber sein kann, in welchen Lagern sie ihre Freunde besitzt. Eine ultramontane Versammlung. Sie haben mir gestattet, Ihnen zuweilen aus dem Frieden der tiroler Berge zu berichten. Heute unter dem Eindruck der wiener Bischofsadresse, deren Behandlung uns mit ungewöhnlichen Erwartungen erfüllt, kann ich nicht unterlassen, an die Katholikenversammlung zu erinnern, die vor drei Wochen hier tagte. Solche Zusammenkünfte waren Modeartikel der letzten Saison. Auch in Belgien gabs heilige Weisheit in barocker Form genug zu hören. Aber bei uns mußten sich die Herren wenigstens ganz unter sich behelfen. In der Fest-Stadt keine Spur von Sympathie, keine einzige nennenswerthe Kund¬ gebung. Freilich, ein Volk bildeten sie selber: man zählte 1036 Seelen, dar¬ unter nur 470 Nichttiroler. — Auf alle Gefahr gebe ich ihnen einige kleine Porträts, denn solche Ergebnisse aufzubewahren, ist doch von einigem Werth, zumal da wir uns schuldig sind, zu hoffen, daß unseren Enkeln nicht zugemu- thet wird, an die Wahrheit solcher Curiosa zu glauben. Abends am 8. September wurden die Fremden im Landhause begrüßt. Herr Simon Moriggl, Professor am Gymnasium zu Innsbruck und thätiges Mitglied der geheimen ultramontanen Polizei, gab in seiner Anrede die Parole des Tages: „Ja, die Arbeit und die Schule und die Presse muß getauft werden. Wenn ich da von Christen rede, so meine ich immer katholische, denn ich kenne kein Christenthum als dasjenige, das von Gott gegeben und in der heiligen katholischen Kirche deponirt ist." Daß dies Wort aus dem Munde Sanct- Moriggl's kam, wundert uns nicht, aber daß es die Ohren der Versammelten willig aufnahmen, würde den Geist des Convents charakterisiren, wenn hier überhaupt von Geist zu reden wäre. Tags darauf war Hochamt in der Jesuitenkirche. dann zögen die Herren Katholiken paarweise in die Reitschule, welche der Volkswitz als „Circus Hast-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/120>, abgerufen am 25.04.2024.