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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Die Reform in der Türkei.

Die officiellen Zeitungen haben vor einigen Monaten ein Gesetz über die
Staatsdomänen, ein Gesetz über den Wakuf und ein Gesetz über den Grund¬
besitz der Fremden veröffentlicht und gleichzeitig in verschiedenen Leitartikeln
diese Publicationen als Schöpfungen gepriesen, die von neuem eine Wieder¬
geburt der Türkei mit sich bringen sollen. Man ist hier zu sehr an diese
Sprache gewöhnt, als daß man ihr einen großen Watts beilegt; nichts
destoweniger läßt es sich nicht leugnen, daß der Gegenstand jener Gesetze die
Aufmerksamkeit eines jeden, der die Verhältnisse in der Türkei auch nur einiger¬
maßen kennt, in hohem Grade erweckt. Kaum etwas anderes ist in den letzten
Jahren soviel erörtert, als die Regulirung des Wakuf und die Frage über den
Grundbesitz der Fremden. Weder die candiotischc Frage, die die Türkei so sehr
bewegt hat, noch alle anderen politischen Fragen, an denen man hier bekanntlich
nie Mangel leidet, haben das Interesse an diesen Problemen dauernd verdrän¬
gen können, die in das innerste Leben fast jeder hiesigen Familie tief ein-
schneiden.

Wollen wir aber die Bedeutung der Gesetze würdigen, so müssen wir noth¬
wendig einen Rückblick aus die geschichtliche Entwickelung der Grundeigenthums-
frage in der Türkei werfen, da die Verhältnisse, welche durch die neuen Gesetze
umgestaltet werden, auf das allercngste mit den Anfängen des türkischen Rei¬
ches und den Grundprincipien des islamischen Staates zusammenhängen.

I.
Das Grundeigenthum in der Türkei in der Zeit vor der Reform.

Fast alle islamischen Staaten sind durch Eroberungen entstanden, die die
Früchte des heiligen Kampfes waren, den der Islam gegen die Ungläubigen
predigt. Alles eroberte Land wurde als Beute angesehen und demgemäß ver¬
theilt. Die mohamcdainschen Staatsrechtslehrer statuiren daher als vorzüglichste
Quelle des Eigenthums die Eroberung,


Grenzboten IV. l-867, 16
Die Reform in der Türkei.

Die officiellen Zeitungen haben vor einigen Monaten ein Gesetz über die
Staatsdomänen, ein Gesetz über den Wakuf und ein Gesetz über den Grund¬
besitz der Fremden veröffentlicht und gleichzeitig in verschiedenen Leitartikeln
diese Publicationen als Schöpfungen gepriesen, die von neuem eine Wieder¬
geburt der Türkei mit sich bringen sollen. Man ist hier zu sehr an diese
Sprache gewöhnt, als daß man ihr einen großen Watts beilegt; nichts
destoweniger läßt es sich nicht leugnen, daß der Gegenstand jener Gesetze die
Aufmerksamkeit eines jeden, der die Verhältnisse in der Türkei auch nur einiger¬
maßen kennt, in hohem Grade erweckt. Kaum etwas anderes ist in den letzten
Jahren soviel erörtert, als die Regulirung des Wakuf und die Frage über den
Grundbesitz der Fremden. Weder die candiotischc Frage, die die Türkei so sehr
bewegt hat, noch alle anderen politischen Fragen, an denen man hier bekanntlich
nie Mangel leidet, haben das Interesse an diesen Problemen dauernd verdrän¬
gen können, die in das innerste Leben fast jeder hiesigen Familie tief ein-
schneiden.

Wollen wir aber die Bedeutung der Gesetze würdigen, so müssen wir noth¬
wendig einen Rückblick aus die geschichtliche Entwickelung der Grundeigenthums-
frage in der Türkei werfen, da die Verhältnisse, welche durch die neuen Gesetze
umgestaltet werden, auf das allercngste mit den Anfängen des türkischen Rei¬
ches und den Grundprincipien des islamischen Staates zusammenhängen.

I.
Das Grundeigenthum in der Türkei in der Zeit vor der Reform.

Fast alle islamischen Staaten sind durch Eroberungen entstanden, die die
Früchte des heiligen Kampfes waren, den der Islam gegen die Ungläubigen
predigt. Alles eroberte Land wurde als Beute angesehen und demgemäß ver¬
theilt. Die mohamcdainschen Staatsrechtslehrer statuiren daher als vorzüglichste
Quelle des Eigenthums die Eroberung,


Grenzboten IV. l-867, 16
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[0125] Die Reform in der Türkei. Die officiellen Zeitungen haben vor einigen Monaten ein Gesetz über die Staatsdomänen, ein Gesetz über den Wakuf und ein Gesetz über den Grund¬ besitz der Fremden veröffentlicht und gleichzeitig in verschiedenen Leitartikeln diese Publicationen als Schöpfungen gepriesen, die von neuem eine Wieder¬ geburt der Türkei mit sich bringen sollen. Man ist hier zu sehr an diese Sprache gewöhnt, als daß man ihr einen großen Watts beilegt; nichts destoweniger läßt es sich nicht leugnen, daß der Gegenstand jener Gesetze die Aufmerksamkeit eines jeden, der die Verhältnisse in der Türkei auch nur einiger¬ maßen kennt, in hohem Grade erweckt. Kaum etwas anderes ist in den letzten Jahren soviel erörtert, als die Regulirung des Wakuf und die Frage über den Grundbesitz der Fremden. Weder die candiotischc Frage, die die Türkei so sehr bewegt hat, noch alle anderen politischen Fragen, an denen man hier bekanntlich nie Mangel leidet, haben das Interesse an diesen Problemen dauernd verdrän¬ gen können, die in das innerste Leben fast jeder hiesigen Familie tief ein- schneiden. Wollen wir aber die Bedeutung der Gesetze würdigen, so müssen wir noth¬ wendig einen Rückblick aus die geschichtliche Entwickelung der Grundeigenthums- frage in der Türkei werfen, da die Verhältnisse, welche durch die neuen Gesetze umgestaltet werden, auf das allercngste mit den Anfängen des türkischen Rei¬ ches und den Grundprincipien des islamischen Staates zusammenhängen. I. Das Grundeigenthum in der Türkei in der Zeit vor der Reform. Fast alle islamischen Staaten sind durch Eroberungen entstanden, die die Früchte des heiligen Kampfes waren, den der Islam gegen die Ungläubigen predigt. Alles eroberte Land wurde als Beute angesehen und demgemäß ver¬ theilt. Die mohamcdainschen Staatsrechtslehrer statuiren daher als vorzüglichste Quelle des Eigenthums die Eroberung, Grenzboten IV. l-867, 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/125>, abgerufen am 26.04.2024.