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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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auf einen andern Ausweg. Man übertrug das Grundeigenthum an den Wa-
kuf und nahm es von ihm in Erbpacht. Der Eigenthümer wurde dadurch
zwar Detentor, mußte Erbpacht zahlen und konnte sein Grundstück nur an die
Kinder vererben; dafür war er aber von der Gefahr der Confiscation befreit,
haftete mit dem Gute nicht für Schulden und brauchte für dasselbe keine
Steuer zu zahlen. Die Vortheile wogen die Nachtheile also reichlich aus und
daher kam es, daß zahllose Übertragungen von freiem Eigenthum an den Wa-
kuf erfolgten.

Die Verwaltung der Walufgüter war früher sehr confus. Gewöhnlich
stand sie der vom Stifter eingesetzten Person (mutevelli) zu. Starb diese, so
ernannten die e^i-aLkc-r (die Präsidenten der beiden obersten Gerichtshöfe) einen
Stellvertreter. Die umtevöllis standen unter ria-iirs oder Inspektoren, die oft
sehr bedeutende Revenuen aus diesem Amte zogen. Daher ließen sich hohe
Staatsbeamte zu oaüirs ernennen und beispielsweise wurde es zur Gewohnheit,
daß der erste Eunuch rmiiii- der Wakufs der heiligen Orte und der Großvezir
rin2ir von den Moscheen Muhamed II., Selim und Suleiman wurde. Einzelne
Moscheen hatten bedeutendes Vermögen. Von der Achmedi6 wird gesagt, daß
sie 200,000 Piaster Einkünfte hatte, und die Revenuen der Aja Sophia wer¬
den sogar auf 1,000,000 Piaster angegeben.

Schlechte Verwaltung. Coursverluste (der Piaster galt im vorigen Jahr¬
hundert noch 1 Thlr. 12 Sgr., jetzt gilt er nicht ganz 2 Sgr.), Verschwen¬
dung :c. haben die Vermögen sehr ruinirt. Gerade deshalb sind auf diesem
Gebiete viele Reformen versucht und noch weit mehr angestrebt worden.


II.
Die Reformen.
1) Die Reformen des Sultan Mahmud.

Die Reformen haben während der Negierung des Sultans Mahmud be¬
gonnen und sind unter seinen beiden Nachfolgern fortgesetzt worden. Sie haben
die Verhältnisse des Grundeigenthums sehr erheblich verändert, aber dieselben
noch nicht auf den Standpunkt gebracht, den eine gesunde Politik erfordert.
Wie sich erwarten ließ, hat sich die Reform gegen die Lehnsverfassung und
gegen die'Wakufs gerichtet, sie war und ist indessen überaus schwierig, weil
nicht allein die mannigfachsten Privatrechte ihr entgegenstanden, sondern na¬
mentlich weil beide Institute sich auf das geistliche Recht stützen. Die Herren
der Wakufs, die Ulemas, und die Herren der Lehne, die Sipahis, standen nicht
allein unter einander in enger Verbindung, sie hatten auch mit der berühmten
Miliz der Janitscharen dasselbe Interesse und bildeten mit diesen die Haupt¬
stützen des Alttürkenthums.

Der erste gewichtige Schritt des Sultans, der allerdings mit dem Grund-


auf einen andern Ausweg. Man übertrug das Grundeigenthum an den Wa-
kuf und nahm es von ihm in Erbpacht. Der Eigenthümer wurde dadurch
zwar Detentor, mußte Erbpacht zahlen und konnte sein Grundstück nur an die
Kinder vererben; dafür war er aber von der Gefahr der Confiscation befreit,
haftete mit dem Gute nicht für Schulden und brauchte für dasselbe keine
Steuer zu zahlen. Die Vortheile wogen die Nachtheile also reichlich aus und
daher kam es, daß zahllose Übertragungen von freiem Eigenthum an den Wa-
kuf erfolgten.

Die Verwaltung der Walufgüter war früher sehr confus. Gewöhnlich
stand sie der vom Stifter eingesetzten Person (mutevelli) zu. Starb diese, so
ernannten die e^i-aLkc-r (die Präsidenten der beiden obersten Gerichtshöfe) einen
Stellvertreter. Die umtevöllis standen unter ria-iirs oder Inspektoren, die oft
sehr bedeutende Revenuen aus diesem Amte zogen. Daher ließen sich hohe
Staatsbeamte zu oaüirs ernennen und beispielsweise wurde es zur Gewohnheit,
daß der erste Eunuch rmiiii- der Wakufs der heiligen Orte und der Großvezir
rin2ir von den Moscheen Muhamed II., Selim und Suleiman wurde. Einzelne
Moscheen hatten bedeutendes Vermögen. Von der Achmedi6 wird gesagt, daß
sie 200,000 Piaster Einkünfte hatte, und die Revenuen der Aja Sophia wer¬
den sogar auf 1,000,000 Piaster angegeben.

Schlechte Verwaltung. Coursverluste (der Piaster galt im vorigen Jahr¬
hundert noch 1 Thlr. 12 Sgr., jetzt gilt er nicht ganz 2 Sgr.), Verschwen¬
dung :c. haben die Vermögen sehr ruinirt. Gerade deshalb sind auf diesem
Gebiete viele Reformen versucht und noch weit mehr angestrebt worden.


II.
Die Reformen.
1) Die Reformen des Sultan Mahmud.

Die Reformen haben während der Negierung des Sultans Mahmud be¬
gonnen und sind unter seinen beiden Nachfolgern fortgesetzt worden. Sie haben
die Verhältnisse des Grundeigenthums sehr erheblich verändert, aber dieselben
noch nicht auf den Standpunkt gebracht, den eine gesunde Politik erfordert.
Wie sich erwarten ließ, hat sich die Reform gegen die Lehnsverfassung und
gegen die'Wakufs gerichtet, sie war und ist indessen überaus schwierig, weil
nicht allein die mannigfachsten Privatrechte ihr entgegenstanden, sondern na¬
mentlich weil beide Institute sich auf das geistliche Recht stützen. Die Herren
der Wakufs, die Ulemas, und die Herren der Lehne, die Sipahis, standen nicht
allein unter einander in enger Verbindung, sie hatten auch mit der berühmten
Miliz der Janitscharen dasselbe Interesse und bildeten mit diesen die Haupt¬
stützen des Alttürkenthums.

Der erste gewichtige Schritt des Sultans, der allerdings mit dem Grund-


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[0129] auf einen andern Ausweg. Man übertrug das Grundeigenthum an den Wa- kuf und nahm es von ihm in Erbpacht. Der Eigenthümer wurde dadurch zwar Detentor, mußte Erbpacht zahlen und konnte sein Grundstück nur an die Kinder vererben; dafür war er aber von der Gefahr der Confiscation befreit, haftete mit dem Gute nicht für Schulden und brauchte für dasselbe keine Steuer zu zahlen. Die Vortheile wogen die Nachtheile also reichlich aus und daher kam es, daß zahllose Übertragungen von freiem Eigenthum an den Wa- kuf erfolgten. Die Verwaltung der Walufgüter war früher sehr confus. Gewöhnlich stand sie der vom Stifter eingesetzten Person (mutevelli) zu. Starb diese, so ernannten die e^i-aLkc-r (die Präsidenten der beiden obersten Gerichtshöfe) einen Stellvertreter. Die umtevöllis standen unter ria-iirs oder Inspektoren, die oft sehr bedeutende Revenuen aus diesem Amte zogen. Daher ließen sich hohe Staatsbeamte zu oaüirs ernennen und beispielsweise wurde es zur Gewohnheit, daß der erste Eunuch rmiiii- der Wakufs der heiligen Orte und der Großvezir rin2ir von den Moscheen Muhamed II., Selim und Suleiman wurde. Einzelne Moscheen hatten bedeutendes Vermögen. Von der Achmedi6 wird gesagt, daß sie 200,000 Piaster Einkünfte hatte, und die Revenuen der Aja Sophia wer¬ den sogar auf 1,000,000 Piaster angegeben. Schlechte Verwaltung. Coursverluste (der Piaster galt im vorigen Jahr¬ hundert noch 1 Thlr. 12 Sgr., jetzt gilt er nicht ganz 2 Sgr.), Verschwen¬ dung :c. haben die Vermögen sehr ruinirt. Gerade deshalb sind auf diesem Gebiete viele Reformen versucht und noch weit mehr angestrebt worden. II. Die Reformen. 1) Die Reformen des Sultan Mahmud. Die Reformen haben während der Negierung des Sultans Mahmud be¬ gonnen und sind unter seinen beiden Nachfolgern fortgesetzt worden. Sie haben die Verhältnisse des Grundeigenthums sehr erheblich verändert, aber dieselben noch nicht auf den Standpunkt gebracht, den eine gesunde Politik erfordert. Wie sich erwarten ließ, hat sich die Reform gegen die Lehnsverfassung und gegen die'Wakufs gerichtet, sie war und ist indessen überaus schwierig, weil nicht allein die mannigfachsten Privatrechte ihr entgegenstanden, sondern na¬ mentlich weil beide Institute sich auf das geistliche Recht stützen. Die Herren der Wakufs, die Ulemas, und die Herren der Lehne, die Sipahis, standen nicht allein unter einander in enger Verbindung, sie hatten auch mit der berühmten Miliz der Janitscharen dasselbe Interesse und bildeten mit diesen die Haupt¬ stützen des Alttürkenthums. Der erste gewichtige Schritt des Sultans, der allerdings mit dem Grund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/129>, abgerufen am 29.03.2024.