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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Polnischer Monatsbericht.

X

Seit einem Monat stehen die Ereignisse, welche die Grundvesten des jun¬
gen Königreichs Italien erschüttern und die Dynastie Carignan-Savoyen unter-
einer revolutionären Hochfluth zu begraben drohen, im Mittelpunkt der euro¬
päischen Interessen. Victor Emanuel sollte noch einmal wählen, ob der Ehre
der italienischen Monarchie durch ihre eigene Regierung ein tödtlicher Stoß er¬
theilt werden oder ob dieselbe gewaltsam zu einer Präfectur des kaiserlichen
Frankreich herabgedrückt werden sollte. Während der König noch zweifelnd vor
dieser entsetzlichen Alternative stand, hat es sich entschieden, daß Italien zu einer
doppelten Schmach verurtheilt worden ist. Die Regierung hat die Partei dcs-
avouiren müssen, welche die Lösung der römischen Frage unternommen und
Napoleon hat, um keinen Zweifel darüber übrig zu lassen, daß das italienische
Königthum in seinen Augen bankerott sei, dennoch den Schutz Roms einem fran¬
zösischen Armeecorps, das bereits auf italienischer Erde gelandet ist, übertragen.

Seit der große Staatsmann im Grabe ruht, der es allein verstand, die
Geister, welche er gerufen, zu beschwören, stürzt ein Ministerium nach dem an¬
dern über dem Versuch zusammen, die römische Frage zu lösen und dadurch den
Italienern vor sich selbst und ihren Regenten Respect einzuflößen. Nicasoli und
Natazzi, Cialdini und Mcnabrea, sie sind erfahrungsmäßig alle davon überzeugt
worden, daß der Fortbestand der weltlichen Macht des Papstes unvereinbar ist
mit der Consolidation der italienischen Zustände, daß nur der Staatsmann
daraus rechnen könne, die Volksmeinung dauernd für sich zu gewinnen und eine
festes Bollwerk des Königthums gegen die Mazzinistiiche Republik zu errichten,
der das Kreuz von Savoyen auf die Zinnen der Engelsburg Pflanzt. Die
Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, allem zuvor in den Besitz Roms treten zu
müssen, und von der eigenen Unfähigkeit, diese Ausgabe zu lösen, hat jedes der Mi¬
nisterien, welche Cavours Erbschaft übernahmen, von vorn herein um das gute Ge¬
wissen und darum zugleich um die Fähigkeit energischen Auftretens gebracht. Der
Umsturz des päpstlichen üomimum temporale; ist seit lange identisch mit der Befrei¬
ung von der französischen Vormundschaft und diese, nicht der Besitz des beschränkten
Territoriums, welches die ewige Stadt umgiebt, ist es, welcher das italienische
Volk dringend bedarf, um zu Ruhe zu kommen und wieder an die Arbeit seiner
sittlichen Wiedergeburt zurückzukehren. Nicht um das Geschenk der Freiheit,
um das Bewußtsein, dieselbe selbst verdienen und dauernd ertragen zu können,


Polnischer Monatsbericht.

X

Seit einem Monat stehen die Ereignisse, welche die Grundvesten des jun¬
gen Königreichs Italien erschüttern und die Dynastie Carignan-Savoyen unter-
einer revolutionären Hochfluth zu begraben drohen, im Mittelpunkt der euro¬
päischen Interessen. Victor Emanuel sollte noch einmal wählen, ob der Ehre
der italienischen Monarchie durch ihre eigene Regierung ein tödtlicher Stoß er¬
theilt werden oder ob dieselbe gewaltsam zu einer Präfectur des kaiserlichen
Frankreich herabgedrückt werden sollte. Während der König noch zweifelnd vor
dieser entsetzlichen Alternative stand, hat es sich entschieden, daß Italien zu einer
doppelten Schmach verurtheilt worden ist. Die Regierung hat die Partei dcs-
avouiren müssen, welche die Lösung der römischen Frage unternommen und
Napoleon hat, um keinen Zweifel darüber übrig zu lassen, daß das italienische
Königthum in seinen Augen bankerott sei, dennoch den Schutz Roms einem fran¬
zösischen Armeecorps, das bereits auf italienischer Erde gelandet ist, übertragen.

Seit der große Staatsmann im Grabe ruht, der es allein verstand, die
Geister, welche er gerufen, zu beschwören, stürzt ein Ministerium nach dem an¬
dern über dem Versuch zusammen, die römische Frage zu lösen und dadurch den
Italienern vor sich selbst und ihren Regenten Respect einzuflößen. Nicasoli und
Natazzi, Cialdini und Mcnabrea, sie sind erfahrungsmäßig alle davon überzeugt
worden, daß der Fortbestand der weltlichen Macht des Papstes unvereinbar ist
mit der Consolidation der italienischen Zustände, daß nur der Staatsmann
daraus rechnen könne, die Volksmeinung dauernd für sich zu gewinnen und eine
festes Bollwerk des Königthums gegen die Mazzinistiiche Republik zu errichten,
der das Kreuz von Savoyen auf die Zinnen der Engelsburg Pflanzt. Die
Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, allem zuvor in den Besitz Roms treten zu
müssen, und von der eigenen Unfähigkeit, diese Ausgabe zu lösen, hat jedes der Mi¬
nisterien, welche Cavours Erbschaft übernahmen, von vorn herein um das gute Ge¬
wissen und darum zugleich um die Fähigkeit energischen Auftretens gebracht. Der
Umsturz des päpstlichen üomimum temporale; ist seit lange identisch mit der Befrei¬
ung von der französischen Vormundschaft und diese, nicht der Besitz des beschränkten
Territoriums, welches die ewige Stadt umgiebt, ist es, welcher das italienische
Volk dringend bedarf, um zu Ruhe zu kommen und wieder an die Arbeit seiner
sittlichen Wiedergeburt zurückzukehren. Nicht um das Geschenk der Freiheit,
um das Bewußtsein, dieselbe selbst verdienen und dauernd ertragen zu können,


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[0234] Polnischer Monatsbericht. X Seit einem Monat stehen die Ereignisse, welche die Grundvesten des jun¬ gen Königreichs Italien erschüttern und die Dynastie Carignan-Savoyen unter- einer revolutionären Hochfluth zu begraben drohen, im Mittelpunkt der euro¬ päischen Interessen. Victor Emanuel sollte noch einmal wählen, ob der Ehre der italienischen Monarchie durch ihre eigene Regierung ein tödtlicher Stoß er¬ theilt werden oder ob dieselbe gewaltsam zu einer Präfectur des kaiserlichen Frankreich herabgedrückt werden sollte. Während der König noch zweifelnd vor dieser entsetzlichen Alternative stand, hat es sich entschieden, daß Italien zu einer doppelten Schmach verurtheilt worden ist. Die Regierung hat die Partei dcs- avouiren müssen, welche die Lösung der römischen Frage unternommen und Napoleon hat, um keinen Zweifel darüber übrig zu lassen, daß das italienische Königthum in seinen Augen bankerott sei, dennoch den Schutz Roms einem fran¬ zösischen Armeecorps, das bereits auf italienischer Erde gelandet ist, übertragen. Seit der große Staatsmann im Grabe ruht, der es allein verstand, die Geister, welche er gerufen, zu beschwören, stürzt ein Ministerium nach dem an¬ dern über dem Versuch zusammen, die römische Frage zu lösen und dadurch den Italienern vor sich selbst und ihren Regenten Respect einzuflößen. Nicasoli und Natazzi, Cialdini und Mcnabrea, sie sind erfahrungsmäßig alle davon überzeugt worden, daß der Fortbestand der weltlichen Macht des Papstes unvereinbar ist mit der Consolidation der italienischen Zustände, daß nur der Staatsmann daraus rechnen könne, die Volksmeinung dauernd für sich zu gewinnen und eine festes Bollwerk des Königthums gegen die Mazzinistiiche Republik zu errichten, der das Kreuz von Savoyen auf die Zinnen der Engelsburg Pflanzt. Die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, allem zuvor in den Besitz Roms treten zu müssen, und von der eigenen Unfähigkeit, diese Ausgabe zu lösen, hat jedes der Mi¬ nisterien, welche Cavours Erbschaft übernahmen, von vorn herein um das gute Ge¬ wissen und darum zugleich um die Fähigkeit energischen Auftretens gebracht. Der Umsturz des päpstlichen üomimum temporale; ist seit lange identisch mit der Befrei¬ ung von der französischen Vormundschaft und diese, nicht der Besitz des beschränkten Territoriums, welches die ewige Stadt umgiebt, ist es, welcher das italienische Volk dringend bedarf, um zu Ruhe zu kommen und wieder an die Arbeit seiner sittlichen Wiedergeburt zurückzukehren. Nicht um das Geschenk der Freiheit, um das Bewußtsein, dieselbe selbst verdienen und dauernd ertragen zu können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/234>, abgerufen am 28.03.2024.