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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Briefe vom Reichstag.

IV.

Es ist ohne alle Erörterung einleuchtend daß ein so bedeutender Antheil
an dem letzten Lustrum der preußischen Verfassungsgeschichte, eine parlamentarische
Thätigkeit, die bei Simson, Stavenhagen und Graf Schwerin bis in die Tage
des frankfurter Parlamentes zurückreicht, den außerpreußischen Parteigenossen
reichste Anregung und Belehrung, den preußischen Nationalliberalen aber einen
natürlichen Vorsprung, eine historische Ueberlegenheit gewährt, die nur durch
das nun gemeinsame Wirken im Reichstag sich allmählich ausgleichen wird.
Namentlich wenn es gilt, "die Schlingen der Geschäftsordnung" zu umgehen,
oder mit diplomatischer Feinheit ein Zusammenwirken mehrerer Fractionen zu
ermöglichen, oder muthmaßliche Gegner durch die Taetik eingebrachter Anträge
oder die Debatte in eine Sackgasse und zu einem gezwungenen Matt zu treiben,
da sind die preußischen. Nationalliberalen ihren College" unentbehrlich, da sie
auch hier in Äezug auf die Geschäftsordnung die Material-, in Betreff der
Fractionen die Personalkenntniß voraus haben.

Wohl ziemt es, bei einer nähern Charakteristik der einzelnen hervorragenden
Nationalliberalen aus Preußen den Mann an die Spitze zu stellen, den die
frankfurter Nationalversammlung, das erfurter Parlament und wieder der con-
stürmende norddeutsche Reichstag aus den Präsidentenstuhl erhob, den auch
dieser Reichstag nach Ablauf der ersten 4wöchentlichen Amtsperiode mit ab¬
soluter Einstimmigkeit in seinem Ehrenamt durch Acclamation wiederwählte:
Dr. Simson. Hier sei nur eine flüchtige Skizze mit Liebe gezeichnet. -- Noch
heute erzählen alte Männer in Königsberg mit Rührung von dem Tage, als
der junge Simson in einem Alter, wo andere ihre Gymnasialstudien beginnen,
als xrimus oirmium nach einer glänzenden Rede vor der überfüllten Aula das
Reifezeugniß erlangte. Seit Menschengedenken waren solche Leistungen bei
solcher Jugend nicht erlebt worden, sind auch bis heute vereinzelt geblieben.
Augenzeugen ist, wie gesagt, jener Moment unvergeßlich. Die classischen Gesichts¬
linien des schönen Jünglings standen vortrefflich in Einklang mit dem tiefen Sinn
und der runden Form seiner Rede. Dann bezog er die Universität seiner Vater¬
stadt, Bonn, Berlin und Paris, und habilitirte sich bereits im 21. Jahre (1831)
als Privatdocent in Königsberg, wo er 1833 zum außerordentlichen, 1836 bereits,
also mit 26 Jahren zum ordentlichen Professor ernannt ward. In dieselbe
Zeit fällt seine Heirath mit der Tochter des großen Bankiers Warschauer einer


Briefe vom Reichstag.

IV.

Es ist ohne alle Erörterung einleuchtend daß ein so bedeutender Antheil
an dem letzten Lustrum der preußischen Verfassungsgeschichte, eine parlamentarische
Thätigkeit, die bei Simson, Stavenhagen und Graf Schwerin bis in die Tage
des frankfurter Parlamentes zurückreicht, den außerpreußischen Parteigenossen
reichste Anregung und Belehrung, den preußischen Nationalliberalen aber einen
natürlichen Vorsprung, eine historische Ueberlegenheit gewährt, die nur durch
das nun gemeinsame Wirken im Reichstag sich allmählich ausgleichen wird.
Namentlich wenn es gilt, „die Schlingen der Geschäftsordnung" zu umgehen,
oder mit diplomatischer Feinheit ein Zusammenwirken mehrerer Fractionen zu
ermöglichen, oder muthmaßliche Gegner durch die Taetik eingebrachter Anträge
oder die Debatte in eine Sackgasse und zu einem gezwungenen Matt zu treiben,
da sind die preußischen. Nationalliberalen ihren College» unentbehrlich, da sie
auch hier in Äezug auf die Geschäftsordnung die Material-, in Betreff der
Fractionen die Personalkenntniß voraus haben.

Wohl ziemt es, bei einer nähern Charakteristik der einzelnen hervorragenden
Nationalliberalen aus Preußen den Mann an die Spitze zu stellen, den die
frankfurter Nationalversammlung, das erfurter Parlament und wieder der con-
stürmende norddeutsche Reichstag aus den Präsidentenstuhl erhob, den auch
dieser Reichstag nach Ablauf der ersten 4wöchentlichen Amtsperiode mit ab¬
soluter Einstimmigkeit in seinem Ehrenamt durch Acclamation wiederwählte:
Dr. Simson. Hier sei nur eine flüchtige Skizze mit Liebe gezeichnet. — Noch
heute erzählen alte Männer in Königsberg mit Rührung von dem Tage, als
der junge Simson in einem Alter, wo andere ihre Gymnasialstudien beginnen,
als xrimus oirmium nach einer glänzenden Rede vor der überfüllten Aula das
Reifezeugniß erlangte. Seit Menschengedenken waren solche Leistungen bei
solcher Jugend nicht erlebt worden, sind auch bis heute vereinzelt geblieben.
Augenzeugen ist, wie gesagt, jener Moment unvergeßlich. Die classischen Gesichts¬
linien des schönen Jünglings standen vortrefflich in Einklang mit dem tiefen Sinn
und der runden Form seiner Rede. Dann bezog er die Universität seiner Vater¬
stadt, Bonn, Berlin und Paris, und habilitirte sich bereits im 21. Jahre (1831)
als Privatdocent in Königsberg, wo er 1833 zum außerordentlichen, 1836 bereits,
also mit 26 Jahren zum ordentlichen Professor ernannt ward. In dieselbe
Zeit fällt seine Heirath mit der Tochter des großen Bankiers Warschauer einer


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[0242] Briefe vom Reichstag. IV. Es ist ohne alle Erörterung einleuchtend daß ein so bedeutender Antheil an dem letzten Lustrum der preußischen Verfassungsgeschichte, eine parlamentarische Thätigkeit, die bei Simson, Stavenhagen und Graf Schwerin bis in die Tage des frankfurter Parlamentes zurückreicht, den außerpreußischen Parteigenossen reichste Anregung und Belehrung, den preußischen Nationalliberalen aber einen natürlichen Vorsprung, eine historische Ueberlegenheit gewährt, die nur durch das nun gemeinsame Wirken im Reichstag sich allmählich ausgleichen wird. Namentlich wenn es gilt, „die Schlingen der Geschäftsordnung" zu umgehen, oder mit diplomatischer Feinheit ein Zusammenwirken mehrerer Fractionen zu ermöglichen, oder muthmaßliche Gegner durch die Taetik eingebrachter Anträge oder die Debatte in eine Sackgasse und zu einem gezwungenen Matt zu treiben, da sind die preußischen. Nationalliberalen ihren College» unentbehrlich, da sie auch hier in Äezug auf die Geschäftsordnung die Material-, in Betreff der Fractionen die Personalkenntniß voraus haben. Wohl ziemt es, bei einer nähern Charakteristik der einzelnen hervorragenden Nationalliberalen aus Preußen den Mann an die Spitze zu stellen, den die frankfurter Nationalversammlung, das erfurter Parlament und wieder der con- stürmende norddeutsche Reichstag aus den Präsidentenstuhl erhob, den auch dieser Reichstag nach Ablauf der ersten 4wöchentlichen Amtsperiode mit ab¬ soluter Einstimmigkeit in seinem Ehrenamt durch Acclamation wiederwählte: Dr. Simson. Hier sei nur eine flüchtige Skizze mit Liebe gezeichnet. — Noch heute erzählen alte Männer in Königsberg mit Rührung von dem Tage, als der junge Simson in einem Alter, wo andere ihre Gymnasialstudien beginnen, als xrimus oirmium nach einer glänzenden Rede vor der überfüllten Aula das Reifezeugniß erlangte. Seit Menschengedenken waren solche Leistungen bei solcher Jugend nicht erlebt worden, sind auch bis heute vereinzelt geblieben. Augenzeugen ist, wie gesagt, jener Moment unvergeßlich. Die classischen Gesichts¬ linien des schönen Jünglings standen vortrefflich in Einklang mit dem tiefen Sinn und der runden Form seiner Rede. Dann bezog er die Universität seiner Vater¬ stadt, Bonn, Berlin und Paris, und habilitirte sich bereits im 21. Jahre (1831) als Privatdocent in Königsberg, wo er 1833 zum außerordentlichen, 1836 bereits, also mit 26 Jahren zum ordentlichen Professor ernannt ward. In dieselbe Zeit fällt seine Heirath mit der Tochter des großen Bankiers Warschauer einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/242>, abgerufen am 19.04.2024.