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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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rüsten und wir werden die friedliche 'Arbeit, in welcher wir jetzt stehen, die Be¬
festigung und Erweiterung des deutschen Bundes, nicht abhängig machen von
zufälligen Drohungen oder Kriegslauncn unseres Nachbarn. Wir selbst finden
in unseren häuslichen Angelegenheiten keine Veranlassung zu einem Kriege mit
Frankreich, ja wir hegen den innigen Wunsch, dah die Fäden, welche in diesem
Jahre durch die Industrieausstellung zwischen uns und Frankreich gesponnen
sind, beiden Völkern Vortheile bringen, Annäherung und Freundschaft vermehren.
Aber wir sind gezwungen, mit Befremden auf eine kaiserliche Politik zu blicken,
welche uns unstät. expcrimentirend und fast unberechenbar erscheint, und wir fra¬
gen erstaunt: wo blieb die kluge Sicherheit und das vorsichtige Abwägen, welches
sonst überraschenden Schritten des Kaisers den Erfolg gesichert hat? Und wo
seine weise Mäßigung in wohlbedachten Plänen? Und welchen dauernden Vor¬
theil erwartet er von seinem Römerzuge für Frankreich und sich selbst?


?


Literatur.

H. Heines Leben und Werke, von Adolf Strodtmcmn (Berlin bei Franz
Dunker).

Eine Biographie Heines zu schreiben ist heut zu Tage ein mehr wie kühnes
Unternehmen. Der einst hoch gefeierte Dichter des Buchs der Lieder und der Reise-
bilder steht gegenwärtig im Zenith seiner UnPopularität. Die Reaction gegen das
Unwesen, das unter der Firma des jungen Deutschland getrieben wurde, hat ihr
Werk noch nicht ganz gethan, ihre Vertreter gehorchen noch jenem Gesetz des sich
gegenseitig Ueberbietcnwollens, das nach jeder gewaltsamen Erschütterung der
Geister eine Zeit lang einzutreten Pflegt. Ist eine neue Richtung ans Ruder
gekommen, so mühen sich diejenigen, welche an dem Siege Theil genommen,
im Wettkampf um die schärfste Formel der Verurtheilung des gestürzten Götzen
ab. Das ist von je so gewesen und hat seine relative Berechtigung. Kaum
gegen einen der Repräsentanten der Poesie des Weltschmerzes und der Zerrissen¬
heit hat die Nachwelt so streng verfahren müssen, wie gegen Heine, denn kei¬
ner hat so viel Schaden angerichtet, wie dieser, keiner steht in so schroffem Ge¬
gensatz zu dem nüchternen, sittenstrengen Realismus unserer Tage, wie er, der nie
aus der Negation heraus kam, und die Verhöhnung der bestehenden Weltordnung
zur Parole eines ganzen Geschlechts machte. Uns die wir in Reis und Glied
kämpfen und dem strengen Gesetz der Unterordnung unter bestimmte, crbgcgrcnztc
Zwecke blindlings gehorchen sollen, uns muß der maßlose Subjectivismns, mit
welchem der Dichter des Wintcrmärchcns jede seiner wechselnden Stimmungen zuo
Ausdruck brachte und alles angriff und verhöhnte, was ihm nicht in den poetischen
Kram des Augenblicks paßte, dcftndcrs verhaßt sein. Dazu kommt, daß Heines
Persönlichkeit dem deutschen Sinn und Charakter immerdar fremd und antipathisch
gewesen ist. Wenn es wahr ist. daß der Mensch zu den "crnsthafrcn" Bestien
zählt, so gilt das von dem Deutschen in eminenter Weise. Alles kann der Deut¬
sche verstehen, nur den Scherz nicht -- oder genauer gesagt, den Scherz mit ern¬
sten Dinge". Eine poetische Natur, die immer nur unter dem Eindruck jeweiliger


rüsten und wir werden die friedliche 'Arbeit, in welcher wir jetzt stehen, die Be¬
festigung und Erweiterung des deutschen Bundes, nicht abhängig machen von
zufälligen Drohungen oder Kriegslauncn unseres Nachbarn. Wir selbst finden
in unseren häuslichen Angelegenheiten keine Veranlassung zu einem Kriege mit
Frankreich, ja wir hegen den innigen Wunsch, dah die Fäden, welche in diesem
Jahre durch die Industrieausstellung zwischen uns und Frankreich gesponnen
sind, beiden Völkern Vortheile bringen, Annäherung und Freundschaft vermehren.
Aber wir sind gezwungen, mit Befremden auf eine kaiserliche Politik zu blicken,
welche uns unstät. expcrimentirend und fast unberechenbar erscheint, und wir fra¬
gen erstaunt: wo blieb die kluge Sicherheit und das vorsichtige Abwägen, welches
sonst überraschenden Schritten des Kaisers den Erfolg gesichert hat? Und wo
seine weise Mäßigung in wohlbedachten Plänen? Und welchen dauernden Vor¬
theil erwartet er von seinem Römerzuge für Frankreich und sich selbst?


?


Literatur.

H. Heines Leben und Werke, von Adolf Strodtmcmn (Berlin bei Franz
Dunker).

Eine Biographie Heines zu schreiben ist heut zu Tage ein mehr wie kühnes
Unternehmen. Der einst hoch gefeierte Dichter des Buchs der Lieder und der Reise-
bilder steht gegenwärtig im Zenith seiner UnPopularität. Die Reaction gegen das
Unwesen, das unter der Firma des jungen Deutschland getrieben wurde, hat ihr
Werk noch nicht ganz gethan, ihre Vertreter gehorchen noch jenem Gesetz des sich
gegenseitig Ueberbietcnwollens, das nach jeder gewaltsamen Erschütterung der
Geister eine Zeit lang einzutreten Pflegt. Ist eine neue Richtung ans Ruder
gekommen, so mühen sich diejenigen, welche an dem Siege Theil genommen,
im Wettkampf um die schärfste Formel der Verurtheilung des gestürzten Götzen
ab. Das ist von je so gewesen und hat seine relative Berechtigung. Kaum
gegen einen der Repräsentanten der Poesie des Weltschmerzes und der Zerrissen¬
heit hat die Nachwelt so streng verfahren müssen, wie gegen Heine, denn kei¬
ner hat so viel Schaden angerichtet, wie dieser, keiner steht in so schroffem Ge¬
gensatz zu dem nüchternen, sittenstrengen Realismus unserer Tage, wie er, der nie
aus der Negation heraus kam, und die Verhöhnung der bestehenden Weltordnung
zur Parole eines ganzen Geschlechts machte. Uns die wir in Reis und Glied
kämpfen und dem strengen Gesetz der Unterordnung unter bestimmte, crbgcgrcnztc
Zwecke blindlings gehorchen sollen, uns muß der maßlose Subjectivismns, mit
welchem der Dichter des Wintcrmärchcns jede seiner wechselnden Stimmungen zuo
Ausdruck brachte und alles angriff und verhöhnte, was ihm nicht in den poetischen
Kram des Augenblicks paßte, dcftndcrs verhaßt sein. Dazu kommt, daß Heines
Persönlichkeit dem deutschen Sinn und Charakter immerdar fremd und antipathisch
gewesen ist. Wenn es wahr ist. daß der Mensch zu den „crnsthafrcn" Bestien
zählt, so gilt das von dem Deutschen in eminenter Weise. Alles kann der Deut¬
sche verstehen, nur den Scherz nicht — oder genauer gesagt, den Scherz mit ern¬
sten Dinge». Eine poetische Natur, die immer nur unter dem Eindruck jeweiliger


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[0286] rüsten und wir werden die friedliche 'Arbeit, in welcher wir jetzt stehen, die Be¬ festigung und Erweiterung des deutschen Bundes, nicht abhängig machen von zufälligen Drohungen oder Kriegslauncn unseres Nachbarn. Wir selbst finden in unseren häuslichen Angelegenheiten keine Veranlassung zu einem Kriege mit Frankreich, ja wir hegen den innigen Wunsch, dah die Fäden, welche in diesem Jahre durch die Industrieausstellung zwischen uns und Frankreich gesponnen sind, beiden Völkern Vortheile bringen, Annäherung und Freundschaft vermehren. Aber wir sind gezwungen, mit Befremden auf eine kaiserliche Politik zu blicken, welche uns unstät. expcrimentirend und fast unberechenbar erscheint, und wir fra¬ gen erstaunt: wo blieb die kluge Sicherheit und das vorsichtige Abwägen, welches sonst überraschenden Schritten des Kaisers den Erfolg gesichert hat? Und wo seine weise Mäßigung in wohlbedachten Plänen? Und welchen dauernden Vor¬ theil erwartet er von seinem Römerzuge für Frankreich und sich selbst? ? Literatur. H. Heines Leben und Werke, von Adolf Strodtmcmn (Berlin bei Franz Dunker). Eine Biographie Heines zu schreiben ist heut zu Tage ein mehr wie kühnes Unternehmen. Der einst hoch gefeierte Dichter des Buchs der Lieder und der Reise- bilder steht gegenwärtig im Zenith seiner UnPopularität. Die Reaction gegen das Unwesen, das unter der Firma des jungen Deutschland getrieben wurde, hat ihr Werk noch nicht ganz gethan, ihre Vertreter gehorchen noch jenem Gesetz des sich gegenseitig Ueberbietcnwollens, das nach jeder gewaltsamen Erschütterung der Geister eine Zeit lang einzutreten Pflegt. Ist eine neue Richtung ans Ruder gekommen, so mühen sich diejenigen, welche an dem Siege Theil genommen, im Wettkampf um die schärfste Formel der Verurtheilung des gestürzten Götzen ab. Das ist von je so gewesen und hat seine relative Berechtigung. Kaum gegen einen der Repräsentanten der Poesie des Weltschmerzes und der Zerrissen¬ heit hat die Nachwelt so streng verfahren müssen, wie gegen Heine, denn kei¬ ner hat so viel Schaden angerichtet, wie dieser, keiner steht in so schroffem Ge¬ gensatz zu dem nüchternen, sittenstrengen Realismus unserer Tage, wie er, der nie aus der Negation heraus kam, und die Verhöhnung der bestehenden Weltordnung zur Parole eines ganzen Geschlechts machte. Uns die wir in Reis und Glied kämpfen und dem strengen Gesetz der Unterordnung unter bestimmte, crbgcgrcnztc Zwecke blindlings gehorchen sollen, uns muß der maßlose Subjectivismns, mit welchem der Dichter des Wintcrmärchcns jede seiner wechselnden Stimmungen zuo Ausdruck brachte und alles angriff und verhöhnte, was ihm nicht in den poetischen Kram des Augenblicks paßte, dcftndcrs verhaßt sein. Dazu kommt, daß Heines Persönlichkeit dem deutschen Sinn und Charakter immerdar fremd und antipathisch gewesen ist. Wenn es wahr ist. daß der Mensch zu den „crnsthafrcn" Bestien zählt, so gilt das von dem Deutschen in eminenter Weise. Alles kann der Deut¬ sche verstehen, nur den Scherz nicht — oder genauer gesagt, den Scherz mit ern¬ sten Dinge». Eine poetische Natur, die immer nur unter dem Eindruck jeweiliger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/286>, abgerufen am 29.03.2024.