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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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des öffentlichen Willens in Süddeutschland, was die "eiserne Konsequenz" er¬
schütterte.

Ueber die Debatten selbst nur das eine Wort, daß sie nach allgemeinem
Urtheil, wenige Momente abgerechnet, weit nicht auf der Höhe des Gegen¬
standes waren. Es waren doch zu ausgetretene Geleise, in welchen sie sich
bewegten. Auch der Umstand, daß der Schwerpunkt der Entscheidung in den
jeden Augenblick aus München erwarteten Telegrammen lag, machte sich geltend,
selbst die äußere Physiognomie der Verhandlungen zeigte keineswegs jene Würde,
die man sich von so ernster Entscheidung unzertrennlich denkt. Alles in allem
wird man sich Glück dazu wünschen dürfen, daß dies die letzte Verhandlung von
so weitgreifenden nationalen Interesse gewesen ist, über welche eine Einzelkammer
zu Gericht saß. Die in den Institutionen des Particularstaats zerstückle Stimme
des Volks geht über auf das deutsche Parlament -- das ist ja wohl auch der
tiefste Grund, warum die bisherigen Monopolistendes Constitutionalismus sich
so verzweifelt wehren gegen Bildungen der Zukunft.


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Politische Rundschau.
Der französische Congreßvorschlag.

X

Nach einem bekannten lateinischen Sprichworte werden die Völker geschla¬
gen, wenn und so lange die Fürsten streiten. Die Erfahrung des laufenden
Jahrhunderts hat den Völkern bewiesen, daß es für sie unter Umständen noch
bedenklicher sein könne, wenn ihre Könige Frieden schließen und sich zu vertrau¬
licher Berathung versammeln. Deutschen, Franzosen und Italienern ist die
Erinnerung an die Kongresse und Fürstenconferenzen der Reswurationszeit bei¬
nahe ebenso verhaßt, wie das Andenken der großen Kriege, welche am Wende¬
punkt des Jahrhunderts den Welttheil zerrissen, und wenn die Verhältnisse sich
seit den letzten fünfzig Jahren auch genugsam verändert haben, um die Wieder¬
kehr von wiener, veroneser und carlsbader Beschlüssen unmöglich erscheinen
zu lassen, so hat das Wort "Congreß" doch noch immer einen schlechten Klang
in allen Kreisen, welche nicht direct mit der Diplomatie zusammenhängen. Die
Mißverhältnisse, an denen die verschiedenen europäischen Staaten laboriren,
sind zum größten Theil Conferenzgeschöpfe, während die heilsamen Umwäl-


des öffentlichen Willens in Süddeutschland, was die „eiserne Konsequenz" er¬
schütterte.

Ueber die Debatten selbst nur das eine Wort, daß sie nach allgemeinem
Urtheil, wenige Momente abgerechnet, weit nicht auf der Höhe des Gegen¬
standes waren. Es waren doch zu ausgetretene Geleise, in welchen sie sich
bewegten. Auch der Umstand, daß der Schwerpunkt der Entscheidung in den
jeden Augenblick aus München erwarteten Telegrammen lag, machte sich geltend,
selbst die äußere Physiognomie der Verhandlungen zeigte keineswegs jene Würde,
die man sich von so ernster Entscheidung unzertrennlich denkt. Alles in allem
wird man sich Glück dazu wünschen dürfen, daß dies die letzte Verhandlung von
so weitgreifenden nationalen Interesse gewesen ist, über welche eine Einzelkammer
zu Gericht saß. Die in den Institutionen des Particularstaats zerstückle Stimme
des Volks geht über auf das deutsche Parlament — das ist ja wohl auch der
tiefste Grund, warum die bisherigen Monopolistendes Constitutionalismus sich
so verzweifelt wehren gegen Bildungen der Zukunft.


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Politische Rundschau.
Der französische Congreßvorschlag.

X

Nach einem bekannten lateinischen Sprichworte werden die Völker geschla¬
gen, wenn und so lange die Fürsten streiten. Die Erfahrung des laufenden
Jahrhunderts hat den Völkern bewiesen, daß es für sie unter Umständen noch
bedenklicher sein könne, wenn ihre Könige Frieden schließen und sich zu vertrau¬
licher Berathung versammeln. Deutschen, Franzosen und Italienern ist die
Erinnerung an die Kongresse und Fürstenconferenzen der Reswurationszeit bei¬
nahe ebenso verhaßt, wie das Andenken der großen Kriege, welche am Wende¬
punkt des Jahrhunderts den Welttheil zerrissen, und wenn die Verhältnisse sich
seit den letzten fünfzig Jahren auch genugsam verändert haben, um die Wieder¬
kehr von wiener, veroneser und carlsbader Beschlüssen unmöglich erscheinen
zu lassen, so hat das Wort „Congreß" doch noch immer einen schlechten Klang
in allen Kreisen, welche nicht direct mit der Diplomatie zusammenhängen. Die
Mißverhältnisse, an denen die verschiedenen europäischen Staaten laboriren,
sind zum größten Theil Conferenzgeschöpfe, während die heilsamen Umwäl-


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[0318] des öffentlichen Willens in Süddeutschland, was die „eiserne Konsequenz" er¬ schütterte. Ueber die Debatten selbst nur das eine Wort, daß sie nach allgemeinem Urtheil, wenige Momente abgerechnet, weit nicht auf der Höhe des Gegen¬ standes waren. Es waren doch zu ausgetretene Geleise, in welchen sie sich bewegten. Auch der Umstand, daß der Schwerpunkt der Entscheidung in den jeden Augenblick aus München erwarteten Telegrammen lag, machte sich geltend, selbst die äußere Physiognomie der Verhandlungen zeigte keineswegs jene Würde, die man sich von so ernster Entscheidung unzertrennlich denkt. Alles in allem wird man sich Glück dazu wünschen dürfen, daß dies die letzte Verhandlung von so weitgreifenden nationalen Interesse gewesen ist, über welche eine Einzelkammer zu Gericht saß. Die in den Institutionen des Particularstaats zerstückle Stimme des Volks geht über auf das deutsche Parlament — das ist ja wohl auch der tiefste Grund, warum die bisherigen Monopolistendes Constitutionalismus sich so verzweifelt wehren gegen Bildungen der Zukunft. / Politische Rundschau. Der französische Congreßvorschlag. X Nach einem bekannten lateinischen Sprichworte werden die Völker geschla¬ gen, wenn und so lange die Fürsten streiten. Die Erfahrung des laufenden Jahrhunderts hat den Völkern bewiesen, daß es für sie unter Umständen noch bedenklicher sein könne, wenn ihre Könige Frieden schließen und sich zu vertrau¬ licher Berathung versammeln. Deutschen, Franzosen und Italienern ist die Erinnerung an die Kongresse und Fürstenconferenzen der Reswurationszeit bei¬ nahe ebenso verhaßt, wie das Andenken der großen Kriege, welche am Wende¬ punkt des Jahrhunderts den Welttheil zerrissen, und wenn die Verhältnisse sich seit den letzten fünfzig Jahren auch genugsam verändert haben, um die Wieder¬ kehr von wiener, veroneser und carlsbader Beschlüssen unmöglich erscheinen zu lassen, so hat das Wort „Congreß" doch noch immer einen schlechten Klang in allen Kreisen, welche nicht direct mit der Diplomatie zusammenhängen. Die Mißverhältnisse, an denen die verschiedenen europäischen Staaten laboriren, sind zum größten Theil Conferenzgeschöpfe, während die heilsamen Umwäl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/318>, abgerufen am 23.04.2024.