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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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die Wirkung der Kleinstaaterei zu schreiben -- dann erhält ein Werk, das nachsichts-
loscn Ernst macht mit dem Amte des Geschichtsschreibers. der rückwärts schauende
Prophet zu sein, noch besonderes Gewicht. Zu diesem Ende dürfen wir aber auch
nicht unterlassen, den Verf. im Hinblick ans eine neue Auflage zu recht sorgfältiger
Revision einzelner bereits von anderen Seiten gerügter sprachlicher Sonderbarkeiten
zu verpflichten, die umso störender sind, weil die Darstellung im allgemeinen so
geschmackvoll ist. --




Grundriß der Geschichte der Philosophie von Prof. Dr. I. E. Erd¬
mann. Zweiter Band: "Philosophie der Neuzeit." Berlin. Hertz.

Während das ältere Werk des Verfassers, das den in vorliegendem Bande
wiederum bearbeiteten Stoff in sechs Bänden darstellte, in seinen einzelnen Partien
von sehr ungleichem Werthe war, ist das gegenwärtige aus einem Gusse von Mei¬
sterhand. Der erste Abschnitt, der von Cartesius bis Kant reicht, ist fast völlig neu
geworden; der darauf folgende (bis zu Hegels Tode) allerdings wesentlich nur Aus¬
zug aus dem größern Werke, aber wie dies bei dem geistreichen, in immer frischen
Formen lehrenden Verfasser nicht anders zu erwarten war, zugleich eine durch alle
neueren Erscheinungen berichtigte, durchaus eigenthümliche Reorganisation des
Stoffes.

Das größte Verdienst aber hat der Anhang, der die wichtigsten Erscheinungen der
neuesten deutschen Philosophie und speculativen Theologie zum erstenmale in Voll¬
ständigkeit zu einem deutlichen Gesammtbilde vereinigt. Die Darstellung strebt
überall nach Objcctivitcit; wenn der Verfasser in der Kritik seinen consequenten
Hegelianismus nirgend verleugnet, so möchten wir ihm das im gegenwärtigen Sta¬
dium nicht zum Tadel anrechnen. Jetzt wo sich immer mehr und mehr das philo¬
sophische Interesse der studirenden Jugend daraus beschränkt, über die Geschichte der
Philosophie mit einem tüchtigen Lehrer zu Philosophien, ist von Seiten des letzter"
eine wenn auch immer einseitige, doch streng systematisch durchgeführte Anschau¬
ung, gegenüber den allenthalben nur Zersplitterung und Indifferentismus erzeugen¬
den beliebten philosophischen Potpourris des Eklekticismus, noch im Stande, zur
Entwicklung neuer und eigenthümlicher Anschauungen wirksam beizutragen. -- Eine
Uebersicht der neuesten philosophischen Richtungen und Erzeugnisse des Auslandes,
die des Verfassers redliche Gründlichkeit abgelehnt, hätte bei einem so vollständigen
Werke doch wenigstens im äußersten Umriß nicht fehlen sollen. Selten sind wir, s"
wie jetzt, stolz auf die Leistungen des Vaterlandes, so unbekümmert um die des
Auslandes geblieben, und doch wäre gerade hier sür den engherzigen Particularis-
mus in der Wissenschaft, die wie keine andere der ganzen Welt angehört, mancher
erfrischende Luftzug zu hoffen.




Verantwortliche Redacteure- Gustav Zreytug u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hüthcl Segler in Leipzig.

die Wirkung der Kleinstaaterei zu schreiben — dann erhält ein Werk, das nachsichts-
loscn Ernst macht mit dem Amte des Geschichtsschreibers. der rückwärts schauende
Prophet zu sein, noch besonderes Gewicht. Zu diesem Ende dürfen wir aber auch
nicht unterlassen, den Verf. im Hinblick ans eine neue Auflage zu recht sorgfältiger
Revision einzelner bereits von anderen Seiten gerügter sprachlicher Sonderbarkeiten
zu verpflichten, die umso störender sind, weil die Darstellung im allgemeinen so
geschmackvoll ist. —




Grundriß der Geschichte der Philosophie von Prof. Dr. I. E. Erd¬
mann. Zweiter Band: „Philosophie der Neuzeit." Berlin. Hertz.

Während das ältere Werk des Verfassers, das den in vorliegendem Bande
wiederum bearbeiteten Stoff in sechs Bänden darstellte, in seinen einzelnen Partien
von sehr ungleichem Werthe war, ist das gegenwärtige aus einem Gusse von Mei¬
sterhand. Der erste Abschnitt, der von Cartesius bis Kant reicht, ist fast völlig neu
geworden; der darauf folgende (bis zu Hegels Tode) allerdings wesentlich nur Aus¬
zug aus dem größern Werke, aber wie dies bei dem geistreichen, in immer frischen
Formen lehrenden Verfasser nicht anders zu erwarten war, zugleich eine durch alle
neueren Erscheinungen berichtigte, durchaus eigenthümliche Reorganisation des
Stoffes.

Das größte Verdienst aber hat der Anhang, der die wichtigsten Erscheinungen der
neuesten deutschen Philosophie und speculativen Theologie zum erstenmale in Voll¬
ständigkeit zu einem deutlichen Gesammtbilde vereinigt. Die Darstellung strebt
überall nach Objcctivitcit; wenn der Verfasser in der Kritik seinen consequenten
Hegelianismus nirgend verleugnet, so möchten wir ihm das im gegenwärtigen Sta¬
dium nicht zum Tadel anrechnen. Jetzt wo sich immer mehr und mehr das philo¬
sophische Interesse der studirenden Jugend daraus beschränkt, über die Geschichte der
Philosophie mit einem tüchtigen Lehrer zu Philosophien, ist von Seiten des letzter»
eine wenn auch immer einseitige, doch streng systematisch durchgeführte Anschau¬
ung, gegenüber den allenthalben nur Zersplitterung und Indifferentismus erzeugen¬
den beliebten philosophischen Potpourris des Eklekticismus, noch im Stande, zur
Entwicklung neuer und eigenthümlicher Anschauungen wirksam beizutragen. — Eine
Uebersicht der neuesten philosophischen Richtungen und Erzeugnisse des Auslandes,
die des Verfassers redliche Gründlichkeit abgelehnt, hätte bei einem so vollständigen
Werke doch wenigstens im äußersten Umriß nicht fehlen sollen. Selten sind wir, s"
wie jetzt, stolz auf die Leistungen des Vaterlandes, so unbekümmert um die des
Auslandes geblieben, und doch wäre gerade hier sür den engherzigen Particularis-
mus in der Wissenschaft, die wie keine andere der ganzen Welt angehört, mancher
erfrischende Luftzug zu hoffen.




Verantwortliche Redacteure- Gustav Zreytug u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthcl Segler in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/328>, abgerufen am 19.04.2024.