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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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wollen uns hüten, zu prophezeien. Doch scheint uns, wenn wir- die Ver"
gangcnheit recht deuten, daß die Resultate großer politischer Erfolge in der
idealen Arbeit einer Nation erst dann ihre besten Früchte reisen, wenn diese Er¬
folge als ein ruhiges Wohlgefühl in die Seelen übergegangen sind. Eine
gewisse heitere Ruhe bedarf nicht nur der Dichter, auch der Gelehrte, der in großer
Arbeit die Thätigkeit vergangener Menschen zu deuten unternimmt.

Es war die Signatur der nächsten Vergangenheit, einer unbefriedigten,
gedrückten, unruhig heischenden Zeit, daß sich dem Geehrten und noch mehr
dem reizbaren Dichter in Stoff und Charakter seiner Abciten die socialen und
Politischen Forderungen des Volkes übermächtig eindrängten. Nur zu oft hat
das beflissene Streben, eine Tendenz zu exemplifiziren, die heitere Wärme ver¬
ringert, welche jeder Arbeit nöthig ist. die menschliches Leben abzubilden unter¬
nimmt. Möge jetzt den Seelen ruhigere Sammlung werden. Den Dichtern
aber ist jetzt der beste Rath, daß sie frischweg bilden, was ihnen das Herz
warm macht, und in künstlerischem Schaffen weder um Vergangenheit der Lite¬
ratur, noch um die Bedürfnisse des Bundesstaats und irgend welche Forderungen
der Gegenwart sorgen. Sind sie tüchtige Gesellen, so wird auch bei weitab
liegendem Stoff und in behaglichem Gestalten des Kleinsten, ohne daß sie es
selbst wissen, der Gewinn sichtbar werden, welchen eine große Kräftigung des.
nationalen Lebens jedem Zeitgenossen mittheilt. Gerade jetzt, wo die Politik
unter den Interessen der Nation oben ansteht, soll der Dichter das Recht des
schönen Schaffens mit Selbstgefühl und treu gegen seine Kunst vor seinem Ge¬
schlecht geltend machen.

In diesem Blatte erschienen vor Jahren die Ansichten des Verfassers über
die romantische Schule, das junge Deutschland und zahlreiche Schriftsteller der
Gegenwart im ersten Wurf als wirkungsvolle Artikel. Von neuem freuen sich
die Grenzboten, daß ein so stattliches Werk bei ihnen seinen Anfang nahm,
und sie senden dem Verfasser heut in alter Freundschaft wieder ihren Glück¬
wunsch zu.




Polnischer Monatsbericht.

X

Während das Verhältniß des französischen Kaiserthums zu den gebildeten
Klassen des französischen Volks täglich unbehaglicher zu werden scheint, die An¬
kleben wachsenden Einflusses der oppositionellen Parteien sich mehren, geheim-
nißvolle Verhaftungen mit Demonstrationen und Maueranschlägen entschiedenen
revolutionären Charakters wechseln, sind Presse und Diplomatie der pariser


Grenzbotw IV. 1867. 60

wollen uns hüten, zu prophezeien. Doch scheint uns, wenn wir- die Ver»
gangcnheit recht deuten, daß die Resultate großer politischer Erfolge in der
idealen Arbeit einer Nation erst dann ihre besten Früchte reisen, wenn diese Er¬
folge als ein ruhiges Wohlgefühl in die Seelen übergegangen sind. Eine
gewisse heitere Ruhe bedarf nicht nur der Dichter, auch der Gelehrte, der in großer
Arbeit die Thätigkeit vergangener Menschen zu deuten unternimmt.

Es war die Signatur der nächsten Vergangenheit, einer unbefriedigten,
gedrückten, unruhig heischenden Zeit, daß sich dem Geehrten und noch mehr
dem reizbaren Dichter in Stoff und Charakter seiner Abciten die socialen und
Politischen Forderungen des Volkes übermächtig eindrängten. Nur zu oft hat
das beflissene Streben, eine Tendenz zu exemplifiziren, die heitere Wärme ver¬
ringert, welche jeder Arbeit nöthig ist. die menschliches Leben abzubilden unter¬
nimmt. Möge jetzt den Seelen ruhigere Sammlung werden. Den Dichtern
aber ist jetzt der beste Rath, daß sie frischweg bilden, was ihnen das Herz
warm macht, und in künstlerischem Schaffen weder um Vergangenheit der Lite¬
ratur, noch um die Bedürfnisse des Bundesstaats und irgend welche Forderungen
der Gegenwart sorgen. Sind sie tüchtige Gesellen, so wird auch bei weitab
liegendem Stoff und in behaglichem Gestalten des Kleinsten, ohne daß sie es
selbst wissen, der Gewinn sichtbar werden, welchen eine große Kräftigung des.
nationalen Lebens jedem Zeitgenossen mittheilt. Gerade jetzt, wo die Politik
unter den Interessen der Nation oben ansteht, soll der Dichter das Recht des
schönen Schaffens mit Selbstgefühl und treu gegen seine Kunst vor seinem Ge¬
schlecht geltend machen.

In diesem Blatte erschienen vor Jahren die Ansichten des Verfassers über
die romantische Schule, das junge Deutschland und zahlreiche Schriftsteller der
Gegenwart im ersten Wurf als wirkungsvolle Artikel. Von neuem freuen sich
die Grenzboten, daß ein so stattliches Werk bei ihnen seinen Anfang nahm,
und sie senden dem Verfasser heut in alter Freundschaft wieder ihren Glück¬
wunsch zu.




Polnischer Monatsbericht.

X

Während das Verhältniß des französischen Kaiserthums zu den gebildeten
Klassen des französischen Volks täglich unbehaglicher zu werden scheint, die An¬
kleben wachsenden Einflusses der oppositionellen Parteien sich mehren, geheim-
nißvolle Verhaftungen mit Demonstrationen und Maueranschlägen entschiedenen
revolutionären Charakters wechseln, sind Presse und Diplomatie der pariser


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[0393] wollen uns hüten, zu prophezeien. Doch scheint uns, wenn wir- die Ver» gangcnheit recht deuten, daß die Resultate großer politischer Erfolge in der idealen Arbeit einer Nation erst dann ihre besten Früchte reisen, wenn diese Er¬ folge als ein ruhiges Wohlgefühl in die Seelen übergegangen sind. Eine gewisse heitere Ruhe bedarf nicht nur der Dichter, auch der Gelehrte, der in großer Arbeit die Thätigkeit vergangener Menschen zu deuten unternimmt. Es war die Signatur der nächsten Vergangenheit, einer unbefriedigten, gedrückten, unruhig heischenden Zeit, daß sich dem Geehrten und noch mehr dem reizbaren Dichter in Stoff und Charakter seiner Abciten die socialen und Politischen Forderungen des Volkes übermächtig eindrängten. Nur zu oft hat das beflissene Streben, eine Tendenz zu exemplifiziren, die heitere Wärme ver¬ ringert, welche jeder Arbeit nöthig ist. die menschliches Leben abzubilden unter¬ nimmt. Möge jetzt den Seelen ruhigere Sammlung werden. Den Dichtern aber ist jetzt der beste Rath, daß sie frischweg bilden, was ihnen das Herz warm macht, und in künstlerischem Schaffen weder um Vergangenheit der Lite¬ ratur, noch um die Bedürfnisse des Bundesstaats und irgend welche Forderungen der Gegenwart sorgen. Sind sie tüchtige Gesellen, so wird auch bei weitab liegendem Stoff und in behaglichem Gestalten des Kleinsten, ohne daß sie es selbst wissen, der Gewinn sichtbar werden, welchen eine große Kräftigung des. nationalen Lebens jedem Zeitgenossen mittheilt. Gerade jetzt, wo die Politik unter den Interessen der Nation oben ansteht, soll der Dichter das Recht des schönen Schaffens mit Selbstgefühl und treu gegen seine Kunst vor seinem Ge¬ schlecht geltend machen. In diesem Blatte erschienen vor Jahren die Ansichten des Verfassers über die romantische Schule, das junge Deutschland und zahlreiche Schriftsteller der Gegenwart im ersten Wurf als wirkungsvolle Artikel. Von neuem freuen sich die Grenzboten, daß ein so stattliches Werk bei ihnen seinen Anfang nahm, und sie senden dem Verfasser heut in alter Freundschaft wieder ihren Glück¬ wunsch zu. Polnischer Monatsbericht. X Während das Verhältniß des französischen Kaiserthums zu den gebildeten Klassen des französischen Volks täglich unbehaglicher zu werden scheint, die An¬ kleben wachsenden Einflusses der oppositionellen Parteien sich mehren, geheim- nißvolle Verhaftungen mit Demonstrationen und Maueranschlägen entschiedenen revolutionären Charakters wechseln, sind Presse und Diplomatie der pariser Grenzbotw IV. 1867. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/393>, abgerufen am 29.03.2024.