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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Vermischte Literatur.
Konrad der Zweite. Historisches Schauspiel in sechs Handlungen
(und zwei Abtheilungen) von Albert Dult. Leipzig, F. A. Brock¬
haus 1867.

Von den beiden Abtheilungen dieses historischen Schauspiels vermag nur die
zweite einiges Interesse zu erwecken, freilich nicht für Denjenigen, durch dessen Na¬
men beide umfaßt sind: sie macht den Herzog Ernst von Schwaben zum Helden
und sollte nach ihm benannt sein. Was die erste Abtheilung bezweckt und wie sich
der Verfasser ihre Bühnenwirkung denkt, ist nicht recht abzusehen. Allerdings, sie
soll die Exposition zur Tragödie der zweiten Abtheilung geben; aber sie giebt diese
theils so mangelhaft, daß wir über den obwaltenden Conflict niemals ganz klar,
zum mindesten nie genöthigt werden Partei zu ergreifen, theils so völlig zugedeckt
durch ungehörige Bezüge, daß wir, mit unserm guten Willen ganz rathlos in der
Irre umgetncben, uns oft vergebens nach unserm Helden umsehen. Keine Spur
von dramatischer Concentration, aber eine Allseitigkeit der politischen Erörterung,
welche der Monatsübcrsicht der besten modernen Revüe Ehre machen würde. Da
spielt die deutsche, die polnische, die ungarische, die griechische, die burgundische, die
italienische Fcage, und über jede werden wir durch das ganze Stück hindurch auf
dem Laufenden erhalten. Da werden die pseudo-isidorischcn Dccretalien, da wird die
Stellung der Fürsten erörtert, und es giebt Versammlung über Versammlung -- kurz,
wir sind im auswärtigen Amte des Kaisers trotz Schmidt, Bünau und Giesebrecht
zu Hause; aber was soll das, um Gotteswillen? Soll uns das warm machen? Ja
den Kopf macht es uns wirklich warm, und man hat seine liebe Noth, alle die an¬
gedeuteten Beziehungen festzuhalten; aber das Herz bleibt durchaus kühl dabei. Wir
wollen beileibe die politischen sujets nicht von der Bühne ausschließen; aber man
muß sie nur so zuzuspitzen wissen, daß sie uns mitten ins Herz, ins persönlichste
Leben dringen. Da darf kein Ausweichen sein. Auf die Bühne -- das sollten die
Kaiscrdramatiker endlich bedenken -- gehören Alternativen, die angepackt sein
müssen, mögen sie auch den Helden und uns zerreißen, gehören Conflicte, die
uns im Innersten erschüttern, gehören recht eigentlich Existenzfragen. Oder man
gebe uns wenigstens reiche, farbige, historische Bilder voll individuellen Lebens, das
Wogen und Ringen bedeutsamer Charaktere, eigenartiger Gestalten, wie Shakespeare
gethan hat. Aber hier -- und so ist es in fast allen Kaiscrstücken, die wir kennen
-- unterscheidet sich der Eine vom Andern nur durch die Partcistellung, nur durch
eine Nuance des politischen Princips; wir sehen Principien vor uns wandeln, keine
Menschen. Selbst die Frauen unterscheiden sich nicht recht von den Männern.

Der Stoff gehört an sich zu jener ersten schwcrtragischen Art. Aus dem Ver¬
hältnisse, wie es zwischen Herzog Ernst, Kaiser Konrad und Gisela besteht, kann sich
sehr wohl eine Existenzfrage erheben; nur muß sie über eine bloße Erbschaftsstreitig-


Vermischte Literatur.
Konrad der Zweite. Historisches Schauspiel in sechs Handlungen
(und zwei Abtheilungen) von Albert Dult. Leipzig, F. A. Brock¬
haus 1867.

Von den beiden Abtheilungen dieses historischen Schauspiels vermag nur die
zweite einiges Interesse zu erwecken, freilich nicht für Denjenigen, durch dessen Na¬
men beide umfaßt sind: sie macht den Herzog Ernst von Schwaben zum Helden
und sollte nach ihm benannt sein. Was die erste Abtheilung bezweckt und wie sich
der Verfasser ihre Bühnenwirkung denkt, ist nicht recht abzusehen. Allerdings, sie
soll die Exposition zur Tragödie der zweiten Abtheilung geben; aber sie giebt diese
theils so mangelhaft, daß wir über den obwaltenden Conflict niemals ganz klar,
zum mindesten nie genöthigt werden Partei zu ergreifen, theils so völlig zugedeckt
durch ungehörige Bezüge, daß wir, mit unserm guten Willen ganz rathlos in der
Irre umgetncben, uns oft vergebens nach unserm Helden umsehen. Keine Spur
von dramatischer Concentration, aber eine Allseitigkeit der politischen Erörterung,
welche der Monatsübcrsicht der besten modernen Revüe Ehre machen würde. Da
spielt die deutsche, die polnische, die ungarische, die griechische, die burgundische, die
italienische Fcage, und über jede werden wir durch das ganze Stück hindurch auf
dem Laufenden erhalten. Da werden die pseudo-isidorischcn Dccretalien, da wird die
Stellung der Fürsten erörtert, und es giebt Versammlung über Versammlung — kurz,
wir sind im auswärtigen Amte des Kaisers trotz Schmidt, Bünau und Giesebrecht
zu Hause; aber was soll das, um Gotteswillen? Soll uns das warm machen? Ja
den Kopf macht es uns wirklich warm, und man hat seine liebe Noth, alle die an¬
gedeuteten Beziehungen festzuhalten; aber das Herz bleibt durchaus kühl dabei. Wir
wollen beileibe die politischen sujets nicht von der Bühne ausschließen; aber man
muß sie nur so zuzuspitzen wissen, daß sie uns mitten ins Herz, ins persönlichste
Leben dringen. Da darf kein Ausweichen sein. Auf die Bühne — das sollten die
Kaiscrdramatiker endlich bedenken — gehören Alternativen, die angepackt sein
müssen, mögen sie auch den Helden und uns zerreißen, gehören Conflicte, die
uns im Innersten erschüttern, gehören recht eigentlich Existenzfragen. Oder man
gebe uns wenigstens reiche, farbige, historische Bilder voll individuellen Lebens, das
Wogen und Ringen bedeutsamer Charaktere, eigenartiger Gestalten, wie Shakespeare
gethan hat. Aber hier — und so ist es in fast allen Kaiscrstücken, die wir kennen
— unterscheidet sich der Eine vom Andern nur durch die Partcistellung, nur durch
eine Nuance des politischen Princips; wir sehen Principien vor uns wandeln, keine
Menschen. Selbst die Frauen unterscheiden sich nicht recht von den Männern.

Der Stoff gehört an sich zu jener ersten schwcrtragischen Art. Aus dem Ver¬
hältnisse, wie es zwischen Herzog Ernst, Kaiser Konrad und Gisela besteht, kann sich
sehr wohl eine Existenzfrage erheben; nur muß sie über eine bloße Erbschaftsstreitig-


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[0042] Vermischte Literatur. Konrad der Zweite. Historisches Schauspiel in sechs Handlungen (und zwei Abtheilungen) von Albert Dult. Leipzig, F. A. Brock¬ haus 1867. Von den beiden Abtheilungen dieses historischen Schauspiels vermag nur die zweite einiges Interesse zu erwecken, freilich nicht für Denjenigen, durch dessen Na¬ men beide umfaßt sind: sie macht den Herzog Ernst von Schwaben zum Helden und sollte nach ihm benannt sein. Was die erste Abtheilung bezweckt und wie sich der Verfasser ihre Bühnenwirkung denkt, ist nicht recht abzusehen. Allerdings, sie soll die Exposition zur Tragödie der zweiten Abtheilung geben; aber sie giebt diese theils so mangelhaft, daß wir über den obwaltenden Conflict niemals ganz klar, zum mindesten nie genöthigt werden Partei zu ergreifen, theils so völlig zugedeckt durch ungehörige Bezüge, daß wir, mit unserm guten Willen ganz rathlos in der Irre umgetncben, uns oft vergebens nach unserm Helden umsehen. Keine Spur von dramatischer Concentration, aber eine Allseitigkeit der politischen Erörterung, welche der Monatsübcrsicht der besten modernen Revüe Ehre machen würde. Da spielt die deutsche, die polnische, die ungarische, die griechische, die burgundische, die italienische Fcage, und über jede werden wir durch das ganze Stück hindurch auf dem Laufenden erhalten. Da werden die pseudo-isidorischcn Dccretalien, da wird die Stellung der Fürsten erörtert, und es giebt Versammlung über Versammlung — kurz, wir sind im auswärtigen Amte des Kaisers trotz Schmidt, Bünau und Giesebrecht zu Hause; aber was soll das, um Gotteswillen? Soll uns das warm machen? Ja den Kopf macht es uns wirklich warm, und man hat seine liebe Noth, alle die an¬ gedeuteten Beziehungen festzuhalten; aber das Herz bleibt durchaus kühl dabei. Wir wollen beileibe die politischen sujets nicht von der Bühne ausschließen; aber man muß sie nur so zuzuspitzen wissen, daß sie uns mitten ins Herz, ins persönlichste Leben dringen. Da darf kein Ausweichen sein. Auf die Bühne — das sollten die Kaiscrdramatiker endlich bedenken — gehören Alternativen, die angepackt sein müssen, mögen sie auch den Helden und uns zerreißen, gehören Conflicte, die uns im Innersten erschüttern, gehören recht eigentlich Existenzfragen. Oder man gebe uns wenigstens reiche, farbige, historische Bilder voll individuellen Lebens, das Wogen und Ringen bedeutsamer Charaktere, eigenartiger Gestalten, wie Shakespeare gethan hat. Aber hier — und so ist es in fast allen Kaiscrstücken, die wir kennen — unterscheidet sich der Eine vom Andern nur durch die Partcistellung, nur durch eine Nuance des politischen Princips; wir sehen Principien vor uns wandeln, keine Menschen. Selbst die Frauen unterscheiden sich nicht recht von den Männern. Der Stoff gehört an sich zu jener ersten schwcrtragischen Art. Aus dem Ver¬ hältnisse, wie es zwischen Herzog Ernst, Kaiser Konrad und Gisela besteht, kann sich sehr wohl eine Existenzfrage erheben; nur muß sie über eine bloße Erbschaftsstreitig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/42>, abgerufen am 19.04.2024.