Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Apoll von Belvedere.

Seit Winckelmann seine begeisterte Beschreibung des Apoll von Velve¬
dere, die wie ein Hymnus auf die wiedererweckte Schönheit die empfänglichen
Gemüther entzündete, zu den Füßen des Götterbildes niederlegte, dessen Haupt
ihm für seine Kränze zu hoch erschien, wurde es ein Glaubenssatz für alle, dei
nur von alter Kunst mitreden wollten, daß der Apoll von Belvedere das Ideal
männlicher Schönheit, die höchste, unübertreffliche Leistung der bildenden Kunst
sei. Seitdem echte Werke der großen und edlen griechischen Kunst bekannt
wurden, war es freilich leicht wahrzunehmen, wie weit gerade der vaticanische
Apoll sich von der erhabenen Ruhe, von der einfachen Größe entfernte, die
Winckelmann selbst als die Merkmale der wahren griechischen Kunst wie ein
Seher gepriesen hatte, dessen Prophezeihungen nun an den Sculpturen des
Phidias in Erfüllung gingen. Aus den Apoll von Belvedere siel aber ein ganz
anderes Licht, Schwächen und Mängel wurden an ihm sichtbar, ihn traf ent¬
schiedene Ungunst, mancher ließ das Kunstwerk jetzt die Uebcrschwänglichkeit seiner
Loder entgelten. Daneben wirkte auch die alte Tradition unbesieglich fort:
das populäre Kunsturtheil sieht noch heute im Apoll von Belvedere das Muster
der Kunstschönheit. Wie man sich aber auch mit der ästhetischen Würdigung
der Statue abfinden mochte, für die wissenschaftliche Archäologie wurde dieselbe
immer mehr ein unbequemes Problem. Denn weder auf die Frage, welcher
Zeit sie angehöre, noch auf die zweite, was sie denn, genau genommen, dar¬
stelle, gab sie befriedigende Antwort.

Daß sie nicht der Blüthezeit der griechischen Kunst, wie früher sum¬
marisch angenommen wurde, angehören könne, war jetzt klar: die virtuose
Technik, die bestechende Eleganz, die theatralische Lebhaftigkeit des Pathos, dieser
überraschende Effect weisen auf viel spätere Zeit hin. Die Hypothese von
einer seit Phidias bis Hadrian im Wesentlichen auf gleicher Hohe gebliebenen
Kunst, welche in der Verzweiflung die hergebrachte Werthschätzung allbewunder-


Grenzboten IV. 15.67. 6
Der Apoll von Belvedere.

Seit Winckelmann seine begeisterte Beschreibung des Apoll von Velve¬
dere, die wie ein Hymnus auf die wiedererweckte Schönheit die empfänglichen
Gemüther entzündete, zu den Füßen des Götterbildes niederlegte, dessen Haupt
ihm für seine Kränze zu hoch erschien, wurde es ein Glaubenssatz für alle, dei
nur von alter Kunst mitreden wollten, daß der Apoll von Belvedere das Ideal
männlicher Schönheit, die höchste, unübertreffliche Leistung der bildenden Kunst
sei. Seitdem echte Werke der großen und edlen griechischen Kunst bekannt
wurden, war es freilich leicht wahrzunehmen, wie weit gerade der vaticanische
Apoll sich von der erhabenen Ruhe, von der einfachen Größe entfernte, die
Winckelmann selbst als die Merkmale der wahren griechischen Kunst wie ein
Seher gepriesen hatte, dessen Prophezeihungen nun an den Sculpturen des
Phidias in Erfüllung gingen. Aus den Apoll von Belvedere siel aber ein ganz
anderes Licht, Schwächen und Mängel wurden an ihm sichtbar, ihn traf ent¬
schiedene Ungunst, mancher ließ das Kunstwerk jetzt die Uebcrschwänglichkeit seiner
Loder entgelten. Daneben wirkte auch die alte Tradition unbesieglich fort:
das populäre Kunsturtheil sieht noch heute im Apoll von Belvedere das Muster
der Kunstschönheit. Wie man sich aber auch mit der ästhetischen Würdigung
der Statue abfinden mochte, für die wissenschaftliche Archäologie wurde dieselbe
immer mehr ein unbequemes Problem. Denn weder auf die Frage, welcher
Zeit sie angehöre, noch auf die zweite, was sie denn, genau genommen, dar¬
stelle, gab sie befriedigende Antwort.

Daß sie nicht der Blüthezeit der griechischen Kunst, wie früher sum¬
marisch angenommen wurde, angehören könne, war jetzt klar: die virtuose
Technik, die bestechende Eleganz, die theatralische Lebhaftigkeit des Pathos, dieser
überraschende Effect weisen auf viel spätere Zeit hin. Die Hypothese von
einer seit Phidias bis Hadrian im Wesentlichen auf gleicher Hohe gebliebenen
Kunst, welche in der Verzweiflung die hergebrachte Werthschätzung allbewunder-


Grenzboten IV. 15.67. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191806"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Apoll von Belvedere.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_83"> Seit Winckelmann seine begeisterte Beschreibung des Apoll von Velve¬<lb/>
dere, die wie ein Hymnus auf die wiedererweckte Schönheit die empfänglichen<lb/>
Gemüther entzündete, zu den Füßen des Götterbildes niederlegte, dessen Haupt<lb/>
ihm für seine Kränze zu hoch erschien, wurde es ein Glaubenssatz für alle, dei<lb/>
nur von alter Kunst mitreden wollten, daß der Apoll von Belvedere das Ideal<lb/>
männlicher Schönheit, die höchste, unübertreffliche Leistung der bildenden Kunst<lb/>
sei. Seitdem echte Werke der großen und edlen griechischen Kunst bekannt<lb/>
wurden, war es freilich leicht wahrzunehmen, wie weit gerade der vaticanische<lb/>
Apoll sich von der erhabenen Ruhe, von der einfachen Größe entfernte, die<lb/>
Winckelmann selbst als die Merkmale der wahren griechischen Kunst wie ein<lb/>
Seher gepriesen hatte, dessen Prophezeihungen nun an den Sculpturen des<lb/>
Phidias in Erfüllung gingen. Aus den Apoll von Belvedere siel aber ein ganz<lb/>
anderes Licht, Schwächen und Mängel wurden an ihm sichtbar, ihn traf ent¬<lb/>
schiedene Ungunst, mancher ließ das Kunstwerk jetzt die Uebcrschwänglichkeit seiner<lb/>
Loder entgelten. Daneben wirkte auch die alte Tradition unbesieglich fort:<lb/>
das populäre Kunsturtheil sieht noch heute im Apoll von Belvedere das Muster<lb/>
der Kunstschönheit. Wie man sich aber auch mit der ästhetischen Würdigung<lb/>
der Statue abfinden mochte, für die wissenschaftliche Archäologie wurde dieselbe<lb/>
immer mehr ein unbequemes Problem. Denn weder auf die Frage, welcher<lb/>
Zeit sie angehöre, noch auf die zweite, was sie denn, genau genommen, dar¬<lb/>
stelle, gab sie befriedigende Antwort.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84" next="#ID_85"> Daß sie nicht der Blüthezeit der griechischen Kunst, wie früher sum¬<lb/>
marisch angenommen wurde, angehören könne, war jetzt klar: die virtuose<lb/>
Technik, die bestechende Eleganz, die theatralische Lebhaftigkeit des Pathos, dieser<lb/>
überraschende Effect weisen auf viel spätere Zeit hin. Die Hypothese von<lb/>
einer seit Phidias bis Hadrian im Wesentlichen auf gleicher Hohe gebliebenen<lb/>
Kunst, welche in der Verzweiflung die hergebrachte Werthschätzung allbewunder-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 15.67. 6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Der Apoll von Belvedere. Seit Winckelmann seine begeisterte Beschreibung des Apoll von Velve¬ dere, die wie ein Hymnus auf die wiedererweckte Schönheit die empfänglichen Gemüther entzündete, zu den Füßen des Götterbildes niederlegte, dessen Haupt ihm für seine Kränze zu hoch erschien, wurde es ein Glaubenssatz für alle, dei nur von alter Kunst mitreden wollten, daß der Apoll von Belvedere das Ideal männlicher Schönheit, die höchste, unübertreffliche Leistung der bildenden Kunst sei. Seitdem echte Werke der großen und edlen griechischen Kunst bekannt wurden, war es freilich leicht wahrzunehmen, wie weit gerade der vaticanische Apoll sich von der erhabenen Ruhe, von der einfachen Größe entfernte, die Winckelmann selbst als die Merkmale der wahren griechischen Kunst wie ein Seher gepriesen hatte, dessen Prophezeihungen nun an den Sculpturen des Phidias in Erfüllung gingen. Aus den Apoll von Belvedere siel aber ein ganz anderes Licht, Schwächen und Mängel wurden an ihm sichtbar, ihn traf ent¬ schiedene Ungunst, mancher ließ das Kunstwerk jetzt die Uebcrschwänglichkeit seiner Loder entgelten. Daneben wirkte auch die alte Tradition unbesieglich fort: das populäre Kunsturtheil sieht noch heute im Apoll von Belvedere das Muster der Kunstschönheit. Wie man sich aber auch mit der ästhetischen Würdigung der Statue abfinden mochte, für die wissenschaftliche Archäologie wurde dieselbe immer mehr ein unbequemes Problem. Denn weder auf die Frage, welcher Zeit sie angehöre, noch auf die zweite, was sie denn, genau genommen, dar¬ stelle, gab sie befriedigende Antwort. Daß sie nicht der Blüthezeit der griechischen Kunst, wie früher sum¬ marisch angenommen wurde, angehören könne, war jetzt klar: die virtuose Technik, die bestechende Eleganz, die theatralische Lebhaftigkeit des Pathos, dieser überraschende Effect weisen auf viel spätere Zeit hin. Die Hypothese von einer seit Phidias bis Hadrian im Wesentlichen auf gleicher Hohe gebliebenen Kunst, welche in der Verzweiflung die hergebrachte Werthschätzung allbewunder- Grenzboten IV. 15.67. 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/45>, abgerufen am 25.04.2024.