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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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gen und suchte in diesem Sinn die Sprache weiter zu bilden. Konnte ein
solcher künstlicher Proceß schon zu keinem einheitlichen organischen sprachlichen
Ausdruck führen, so kamen nun noch die ganz entgegengesetzten Künste¬
leien einer raffinirten Rhetorik hinzu, um das Veraltete aufzuputzen, und
brachten eine gespreizte Affectation, einen spielenden Klingklang hervor, der,
überhaupt unleidlich, am schlimmsten die Wirkung der Erzählung beeinträchtigt.
Diesen Ton in der Uebersetzung wiederzugeben würde auch Regis kaum ge¬
lingen; sollte es aber gelingen, würde es nicht zu ertragen sein.

Uebrigens bieten diese Novellen, von sehr verschiedenem Inhalt und Cha¬
rakter, kein geringes Interesse. Sie umfassen wohl so ziemlich den Kreis der
wesentlichen Motive, welche die antike Erzählung verarbeitete, die Varietäten
der Behandlung durch verschiedene Charakteristik und Färbung sind nicht minder
lehrreich. Einige Beispiele der Haupttypen werden das anschaulich machen. Nach
der ganzen Anlage des Romans, welche natürlich mit der geistigen Strömung
im engsten Zusammenhang steht, nimmt das Zauber- und Gespensterwcsen
einen sehr breiten Raum ein und tritt nicht blos in der Exposition in den
Vordergrund. Deshalb stehe auch hier am ersten Platze

1. Eine Gespenstergeschichte.

Dein Versprechen nehme ich mit bestem Dank an und will meine Geschichte
noch einmal anfangen! vorher aber schwöre ich bei der Sonne, die Alles sieht,
daß ich wahrhaftig Erlebtes erzähle, auch werdet ihr das nicht bezweifeln, wenn
ihr in die nächste Stadt Thessaliens kommt, wo das in aller Leute Mund ist,
was vor aller Leute Augen geschah. Damit ihr aber wißt, woher ich bin
und was ich treibe, so will ich nur sagen: ich bin aus Aegina und gehe
mit Honig, Käse und ähnlichen Hökerwaaren in Thessalien, Aetolien und Böo-
tien Hausirer. Als ich hörte, daß in Hypata, der Hauptstadt der Thessa-
lier, frischer Käse von gutem Geschmack um einen sehr billigen Preis verkauft
werde, machte ich mich eilends dahin auf, um den ganzen Vorrath an mich zu
bringen. Aber ich war, wie es einem geht, mit dem linken Fuß angetreten*),
und mit dem gehofften Gewinn war es nichts, denn der Großhändler Lupus
hatte den Tag vorher Alles ausgekauft. Ermüdet von der nun ganz vergeb¬
lichen eiligen Reise begab ich mich mit Anbruch des Abends ins Bad; da sehe ich
mit einemmale meinen alten Freund Sokrates auf der Erde sitzen mit einem
schlechten zerrissenen Mantel halb bekleidet, kaum zu kennen, so entstellt durch
Blässe und Magerkeit, wie ein ganz im Elend Verkommener, der auf der Gasse
um Almosen bettelt. Wie ich meinen Vetter und genauen Bekannten in dem



*) Nach einem constanten Aberglauben mußte man mit dem rechten Fuß antreten, wenn
"me Reise oder überhaupt ein Unternehmen guten Erfolg haben sollte.

gen und suchte in diesem Sinn die Sprache weiter zu bilden. Konnte ein
solcher künstlicher Proceß schon zu keinem einheitlichen organischen sprachlichen
Ausdruck führen, so kamen nun noch die ganz entgegengesetzten Künste¬
leien einer raffinirten Rhetorik hinzu, um das Veraltete aufzuputzen, und
brachten eine gespreizte Affectation, einen spielenden Klingklang hervor, der,
überhaupt unleidlich, am schlimmsten die Wirkung der Erzählung beeinträchtigt.
Diesen Ton in der Uebersetzung wiederzugeben würde auch Regis kaum ge¬
lingen; sollte es aber gelingen, würde es nicht zu ertragen sein.

Uebrigens bieten diese Novellen, von sehr verschiedenem Inhalt und Cha¬
rakter, kein geringes Interesse. Sie umfassen wohl so ziemlich den Kreis der
wesentlichen Motive, welche die antike Erzählung verarbeitete, die Varietäten
der Behandlung durch verschiedene Charakteristik und Färbung sind nicht minder
lehrreich. Einige Beispiele der Haupttypen werden das anschaulich machen. Nach
der ganzen Anlage des Romans, welche natürlich mit der geistigen Strömung
im engsten Zusammenhang steht, nimmt das Zauber- und Gespensterwcsen
einen sehr breiten Raum ein und tritt nicht blos in der Exposition in den
Vordergrund. Deshalb stehe auch hier am ersten Platze

1. Eine Gespenstergeschichte.

Dein Versprechen nehme ich mit bestem Dank an und will meine Geschichte
noch einmal anfangen! vorher aber schwöre ich bei der Sonne, die Alles sieht,
daß ich wahrhaftig Erlebtes erzähle, auch werdet ihr das nicht bezweifeln, wenn
ihr in die nächste Stadt Thessaliens kommt, wo das in aller Leute Mund ist,
was vor aller Leute Augen geschah. Damit ihr aber wißt, woher ich bin
und was ich treibe, so will ich nur sagen: ich bin aus Aegina und gehe
mit Honig, Käse und ähnlichen Hökerwaaren in Thessalien, Aetolien und Böo-
tien Hausirer. Als ich hörte, daß in Hypata, der Hauptstadt der Thessa-
lier, frischer Käse von gutem Geschmack um einen sehr billigen Preis verkauft
werde, machte ich mich eilends dahin auf, um den ganzen Vorrath an mich zu
bringen. Aber ich war, wie es einem geht, mit dem linken Fuß angetreten*),
und mit dem gehofften Gewinn war es nichts, denn der Großhändler Lupus
hatte den Tag vorher Alles ausgekauft. Ermüdet von der nun ganz vergeb¬
lichen eiligen Reise begab ich mich mit Anbruch des Abends ins Bad; da sehe ich
mit einemmale meinen alten Freund Sokrates auf der Erde sitzen mit einem
schlechten zerrissenen Mantel halb bekleidet, kaum zu kennen, so entstellt durch
Blässe und Magerkeit, wie ein ganz im Elend Verkommener, der auf der Gasse
um Almosen bettelt. Wie ich meinen Vetter und genauen Bekannten in dem



*) Nach einem constanten Aberglauben mußte man mit dem rechten Fuß antreten, wenn
«me Reise oder überhaupt ein Unternehmen guten Erfolg haben sollte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/452>, abgerufen am 19.04.2024.