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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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da'ruf dort vergessen hatte. Auf der Stelle schießt ihm durch den Kopf, was
vorgefallen sei, aber ohne die Frau oder einen Bekannten etwas merken zu
lassen, nimmt er sie aus, stockt sie heimlich in den Busen und läßt den Myrmex
durch andere Sclaven binden und auf den Markt vors Gericht bringen. In
stummem Grollen richtete er selbst eilig seine Schritte dahin, denn er war sicher,
durch die Schuhe dem Liebhaber selbst auf die Spur zu kommen. Als Barbarus
so mit zornigen Geberden und drohenden Augenbrauen über die Straße daher
kam, neben ihm Myrmex, zwar nicht aus der That ertappt, abur schuld¬
bewußt mit Thränen und Wehklagen vergebens um Mitleid flehend, da begeg¬
nete ihm im rechten Moment Philetärus. Er hatte ein anderes Geschäft zu
besorgen vor, aber durch den unerwarteten Anblick betroffen, erinnert er sich
sogleich, was er in der Eile vergessen hatte und erräth sofort auch den Zusam¬
menhang. Augenblicklich gefaßt drängt er die Sclaven bei Seite und geht laut
rufend auf Myrmex zu: "Möge dich, du niederträchtiger Lump, dein Herr da
und alle Götter im Himmel, bei denen du deine Meineide schwörst, in Grund
und Boden verderben! Gestern hast du mir im Bade meine Schuhe gestohlen.
Wahrhaftig du verdienst die Ketten, die du trägst, und daß du ins Loch ge¬
worfen wirst." Die glückliche List des braven Jungen verdutzte den Barbarus
und ließ ihn alles glauben. Er ging gleich wieder nach Hause, ließ Myrmex
zu sich kommen, gab ihm die Schuhe, hieß ihn sie dem Eigenthümer zurück¬
bringen und verzieh ihm sein Unrecht.




An den Schluß dieser Auswahl, die sich leicht, aber vielleicht nicht zur
Unterhaltung des Lesers, weiter ausdehnen ließe, stelle ich, was man vielleicht
in der alten Literatur nicht vermuthet, sondern für specifisch modern halten
möchte,


4. Eine Criminalgeschichte.

Der Besitzer des Hauses hatte einen Sohn von tüchtiger wissenschaftlicher
Bildung, der sich demgemäß auch durch kindliche Liebe und Bescheidenheit aus¬
zeichnete, wie man sich nur einen Sohn wünscht. Seine Mutter war vor lan¬
ger Zeit gestorben, der Vater war eine neue Ehe eingegangen und hatte von
der zweiten Frau noch einen anderen Sohn, der auch bereits das zwölfte Jahr
überschritten hatte. Die Stiefmutter aber, die mehr durch ihre Schönheit als
durch ihren Charakter den Mann und das Haus beherrschte, warf -- war sie
nun von Natur wollüstig oder trieb sie ihr Geschick zu dem entsetzlichen Ver¬
brechen -- ein Auge auf den Stiefsohn. So lange die Frau dem Liebesgott
Wie einem zarten Knäblein die erste Nahrung bot, widerstand sie leicht seinen
schwachen Kräften und unterdrückte schweigend die aufflammende Neigung. Aber
als Amor ihr Herz mit dem Feuer rasender Leidenschaft ganz entzündete, da


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da'ruf dort vergessen hatte. Auf der Stelle schießt ihm durch den Kopf, was
vorgefallen sei, aber ohne die Frau oder einen Bekannten etwas merken zu
lassen, nimmt er sie aus, stockt sie heimlich in den Busen und läßt den Myrmex
durch andere Sclaven binden und auf den Markt vors Gericht bringen. In
stummem Grollen richtete er selbst eilig seine Schritte dahin, denn er war sicher,
durch die Schuhe dem Liebhaber selbst auf die Spur zu kommen. Als Barbarus
so mit zornigen Geberden und drohenden Augenbrauen über die Straße daher
kam, neben ihm Myrmex, zwar nicht aus der That ertappt, abur schuld¬
bewußt mit Thränen und Wehklagen vergebens um Mitleid flehend, da begeg¬
nete ihm im rechten Moment Philetärus. Er hatte ein anderes Geschäft zu
besorgen vor, aber durch den unerwarteten Anblick betroffen, erinnert er sich
sogleich, was er in der Eile vergessen hatte und erräth sofort auch den Zusam¬
menhang. Augenblicklich gefaßt drängt er die Sclaven bei Seite und geht laut
rufend auf Myrmex zu: „Möge dich, du niederträchtiger Lump, dein Herr da
und alle Götter im Himmel, bei denen du deine Meineide schwörst, in Grund
und Boden verderben! Gestern hast du mir im Bade meine Schuhe gestohlen.
Wahrhaftig du verdienst die Ketten, die du trägst, und daß du ins Loch ge¬
worfen wirst." Die glückliche List des braven Jungen verdutzte den Barbarus
und ließ ihn alles glauben. Er ging gleich wieder nach Hause, ließ Myrmex
zu sich kommen, gab ihm die Schuhe, hieß ihn sie dem Eigenthümer zurück¬
bringen und verzieh ihm sein Unrecht.




An den Schluß dieser Auswahl, die sich leicht, aber vielleicht nicht zur
Unterhaltung des Lesers, weiter ausdehnen ließe, stelle ich, was man vielleicht
in der alten Literatur nicht vermuthet, sondern für specifisch modern halten
möchte,


4. Eine Criminalgeschichte.

Der Besitzer des Hauses hatte einen Sohn von tüchtiger wissenschaftlicher
Bildung, der sich demgemäß auch durch kindliche Liebe und Bescheidenheit aus¬
zeichnete, wie man sich nur einen Sohn wünscht. Seine Mutter war vor lan¬
ger Zeit gestorben, der Vater war eine neue Ehe eingegangen und hatte von
der zweiten Frau noch einen anderen Sohn, der auch bereits das zwölfte Jahr
überschritten hatte. Die Stiefmutter aber, die mehr durch ihre Schönheit als
durch ihren Charakter den Mann und das Haus beherrschte, warf — war sie
nun von Natur wollüstig oder trieb sie ihr Geschick zu dem entsetzlichen Ver¬
brechen — ein Auge auf den Stiefsohn. So lange die Frau dem Liebesgott
Wie einem zarten Knäblein die erste Nahrung bot, widerstand sie leicht seinen
schwachen Kräften und unterdrückte schweigend die aufflammende Neigung. Aber
als Amor ihr Herz mit dem Feuer rasender Leidenschaft ganz entzündete, da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/467>, abgerufen am 19.04.2024.