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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Die russischen Ostseeprovinzen und die deutsche Presse.

Die jüngsten Vorgänge in den russischen Ostseeprovinzen Liv-, Est- und
Kurland haben das Interesse der deutschen Presse in ungewohnt lebhafter Weise
in Anspruch genommen. Ohne Unterschied der Partcifarbe haben berliner und
Münchner, groß- und kieindeutsche, demokratische und hochconservative Journale
von den Vorgängen Act genommen, welche bestimmt waren, die deutsche Ge¬
schäftssprache jener Länder zu Gunsten der russische" abzuschaffen, der Einfüh¬
rung russischer Schulen die Wege zu bahnen u. s. w. Der Natur der Sache
nach ist der Werth dieser Mittheilungen ein sehr ungleicher gewesen: namentlich
die Kreuzzeitung, die Augsb. Allg., die Kölnische Zeitung u. A. haben sofort
die richtigen Gesichtspunkte für Beurtheilung der eigenthümlichen Verhältnisse
des Ostseclandes zu finden gewußt. Die Einstimmigkeit aber, mit welcher die
deutsche Presse sich der versprengten deutschen Colonie im baltischen Norden an¬
nahm, hat in erfreulicher Weise bekundet, daß das deutsche Nationalgefühl an
Weitsichtigkeit und Selbstbewußtsein zugenommen hat.

Fraglich aber dürfte es erscheinen, ob und in wie weit diese Aeußerungen
berechtigter Theilnahme an dem Geschick eines in das deutsche Rechts- und Cul¬
turleben gezogenen Landes, den Liv-, Est- und Kurländcrn von praktischem
Werth in ihrem Kampfe gegen die moskauer Nationalpartei gewesen sind. So
heilsam es wirken muß, wenn die deutsche Presse für das gute Recht der balti¬
schen Deutschen eintritt und die Schädigung desselben als mit dem Geist des
Jahrhunderts und dem eigenen Interesse Rußlands unverträglich bezeichnet, ebenso
Zweckwidrig, ja schädlich würde es wirken, wenn einzelne Stimmen zu einer diplo¬
matischen Intervention des norddeutschen Bundes drängten oder -- wie es neuer¬
dings geschehen ist -- der preußischen Regierung einen Vorwurf daraus machten,
daß sie das protestantisch-deutsche Element an der russischen Westgrenze nicht direct
unter ihren Schutz genommen. Zunächst kann als zweifellos angesehen werden, daß
eine officielle diplomatische Intervention, auch wenn sie auf einen Notenwechsel


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Die russischen Ostseeprovinzen und die deutsche Presse.

Die jüngsten Vorgänge in den russischen Ostseeprovinzen Liv-, Est- und
Kurland haben das Interesse der deutschen Presse in ungewohnt lebhafter Weise
in Anspruch genommen. Ohne Unterschied der Partcifarbe haben berliner und
Münchner, groß- und kieindeutsche, demokratische und hochconservative Journale
von den Vorgängen Act genommen, welche bestimmt waren, die deutsche Ge¬
schäftssprache jener Länder zu Gunsten der russische» abzuschaffen, der Einfüh¬
rung russischer Schulen die Wege zu bahnen u. s. w. Der Natur der Sache
nach ist der Werth dieser Mittheilungen ein sehr ungleicher gewesen: namentlich
die Kreuzzeitung, die Augsb. Allg., die Kölnische Zeitung u. A. haben sofort
die richtigen Gesichtspunkte für Beurtheilung der eigenthümlichen Verhältnisse
des Ostseclandes zu finden gewußt. Die Einstimmigkeit aber, mit welcher die
deutsche Presse sich der versprengten deutschen Colonie im baltischen Norden an¬
nahm, hat in erfreulicher Weise bekundet, daß das deutsche Nationalgefühl an
Weitsichtigkeit und Selbstbewußtsein zugenommen hat.

Fraglich aber dürfte es erscheinen, ob und in wie weit diese Aeußerungen
berechtigter Theilnahme an dem Geschick eines in das deutsche Rechts- und Cul¬
turleben gezogenen Landes, den Liv-, Est- und Kurländcrn von praktischem
Werth in ihrem Kampfe gegen die moskauer Nationalpartei gewesen sind. So
heilsam es wirken muß, wenn die deutsche Presse für das gute Recht der balti¬
schen Deutschen eintritt und die Schädigung desselben als mit dem Geist des
Jahrhunderts und dem eigenen Interesse Rußlands unverträglich bezeichnet, ebenso
Zweckwidrig, ja schädlich würde es wirken, wenn einzelne Stimmen zu einer diplo¬
matischen Intervention des norddeutschen Bundes drängten oder — wie es neuer¬
dings geschehen ist — der preußischen Regierung einen Vorwurf daraus machten,
daß sie das protestantisch-deutsche Element an der russischen Westgrenze nicht direct
unter ihren Schutz genommen. Zunächst kann als zweifellos angesehen werden, daß
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[0489] Die russischen Ostseeprovinzen und die deutsche Presse. Die jüngsten Vorgänge in den russischen Ostseeprovinzen Liv-, Est- und Kurland haben das Interesse der deutschen Presse in ungewohnt lebhafter Weise in Anspruch genommen. Ohne Unterschied der Partcifarbe haben berliner und Münchner, groß- und kieindeutsche, demokratische und hochconservative Journale von den Vorgängen Act genommen, welche bestimmt waren, die deutsche Ge¬ schäftssprache jener Länder zu Gunsten der russische» abzuschaffen, der Einfüh¬ rung russischer Schulen die Wege zu bahnen u. s. w. Der Natur der Sache nach ist der Werth dieser Mittheilungen ein sehr ungleicher gewesen: namentlich die Kreuzzeitung, die Augsb. Allg., die Kölnische Zeitung u. A. haben sofort die richtigen Gesichtspunkte für Beurtheilung der eigenthümlichen Verhältnisse des Ostseclandes zu finden gewußt. Die Einstimmigkeit aber, mit welcher die deutsche Presse sich der versprengten deutschen Colonie im baltischen Norden an¬ nahm, hat in erfreulicher Weise bekundet, daß das deutsche Nationalgefühl an Weitsichtigkeit und Selbstbewußtsein zugenommen hat. Fraglich aber dürfte es erscheinen, ob und in wie weit diese Aeußerungen berechtigter Theilnahme an dem Geschick eines in das deutsche Rechts- und Cul¬ turleben gezogenen Landes, den Liv-, Est- und Kurländcrn von praktischem Werth in ihrem Kampfe gegen die moskauer Nationalpartei gewesen sind. So heilsam es wirken muß, wenn die deutsche Presse für das gute Recht der balti¬ schen Deutschen eintritt und die Schädigung desselben als mit dem Geist des Jahrhunderts und dem eigenen Interesse Rußlands unverträglich bezeichnet, ebenso Zweckwidrig, ja schädlich würde es wirken, wenn einzelne Stimmen zu einer diplo¬ matischen Intervention des norddeutschen Bundes drängten oder — wie es neuer¬ dings geschehen ist — der preußischen Regierung einen Vorwurf daraus machten, daß sie das protestantisch-deutsche Element an der russischen Westgrenze nicht direct unter ihren Schutz genommen. Zunächst kann als zweifellos angesehen werden, daß eine officielle diplomatische Intervention, auch wenn sie auf einen Notenwechsel Greujboten IV. 1«>N. l!2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/489>, abgerufen am 26.04.2024.