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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Horvitth's ungarische Geschichte.

(Fünfundzwanzig Jcchrc aus der Geschichte Ungarns von 1823 -- 1848 von
Michael Horvüth. Aus dem Ungarischen übersetzt von Joseph Novelli. 2 Bde.
Brockhaus, 1867.)

Ein historisches Werk, welches die Ereignisse der Gegenwart im liberalen
Sinne auffaßt und sie zur Freude der liberalen Parteien erzählt, welches auf
politischem Gebiete durchaus dem Fortschritte huldigt, auf kirchlichem Boden diesen
wenigstens duldet und doch aus der Feder eines katholischen Bischofs stammt, ist gewiß
eine große Seltenheit, ja geradezu ein Unicum. Nur die ungarische Abstam¬
mung Michael Horväth's erklärt diese räthselhafte Erscheinung. Gehörte er
einem großen Volke an, dessen nationales Dasein gar nicht in Frage gestellt
werden kann, dessen Existenz so gewiß ist, wie die Sonne am Himmel, wo es
sich nicht mehr darum handelt, eine sichere Grundlage für das Leben und Wirken
zu gewinnen, sondern wo die einzelnen Classen und Stände sich um den größern
Antheil an der Regierung streiten: so würde wahrscheinlich die Kirche ihre An¬
sprüche auf Horvä,es behauptet haben. Als Sohn eines kleinen in seiner
Existenz bedrohten Stammes hängt er zuerst und mit wahrhaft religiösem Eifer
an der Nationalität; diese zu vertheidigen erscheint ihm als die wichtigste
Pflicht, welcher alle besonderen Standesrücksichten weichen müssen. Horvä.es ist
ist zunächst nur Magyar, dann erst Priester und Bischof; er trägt nicht gerade
eine unkirchliche Gesinnung zur Schau, er hat aber für die ultramontane Doctrin
der deutschen und französischen Priester, nach welcher überall das Interesse der Kirche
ausschließlich gewahrt werden muß, kein Verständniß. HorvÄths Gesinnungsgenossen
sind unter dem slawischen und magyarischen Klerus nicht selten. Gebildeter
als durchschnittlich der Mittelstand, mit dem Kern des Volkes in unmittelbarer
Berührung, verhältnißmäßig unabhängiger als die Beamten, haben bei den
Polen, Czechen, Kroaten und Magyaren die Kleriker vorzugsweise sich für die
nationalen Rechte begeistert und selbst den Kampf für die Nationalität nicht


Grenzboten IV. 1867. z
Horvitth's ungarische Geschichte.

(Fünfundzwanzig Jcchrc aus der Geschichte Ungarns von 1823 — 1848 von
Michael Horvüth. Aus dem Ungarischen übersetzt von Joseph Novelli. 2 Bde.
Brockhaus, 1867.)

Ein historisches Werk, welches die Ereignisse der Gegenwart im liberalen
Sinne auffaßt und sie zur Freude der liberalen Parteien erzählt, welches auf
politischem Gebiete durchaus dem Fortschritte huldigt, auf kirchlichem Boden diesen
wenigstens duldet und doch aus der Feder eines katholischen Bischofs stammt, ist gewiß
eine große Seltenheit, ja geradezu ein Unicum. Nur die ungarische Abstam¬
mung Michael Horväth's erklärt diese räthselhafte Erscheinung. Gehörte er
einem großen Volke an, dessen nationales Dasein gar nicht in Frage gestellt
werden kann, dessen Existenz so gewiß ist, wie die Sonne am Himmel, wo es
sich nicht mehr darum handelt, eine sichere Grundlage für das Leben und Wirken
zu gewinnen, sondern wo die einzelnen Classen und Stände sich um den größern
Antheil an der Regierung streiten: so würde wahrscheinlich die Kirche ihre An¬
sprüche auf Horvä,es behauptet haben. Als Sohn eines kleinen in seiner
Existenz bedrohten Stammes hängt er zuerst und mit wahrhaft religiösem Eifer
an der Nationalität; diese zu vertheidigen erscheint ihm als die wichtigste
Pflicht, welcher alle besonderen Standesrücksichten weichen müssen. Horvä.es ist
ist zunächst nur Magyar, dann erst Priester und Bischof; er trägt nicht gerade
eine unkirchliche Gesinnung zur Schau, er hat aber für die ultramontane Doctrin
der deutschen und französischen Priester, nach welcher überall das Interesse der Kirche
ausschließlich gewahrt werden muß, kein Verständniß. HorvÄths Gesinnungsgenossen
sind unter dem slawischen und magyarischen Klerus nicht selten. Gebildeter
als durchschnittlich der Mittelstand, mit dem Kern des Volkes in unmittelbarer
Berührung, verhältnißmäßig unabhängiger als die Beamten, haben bei den
Polen, Czechen, Kroaten und Magyaren die Kleriker vorzugsweise sich für die
nationalen Rechte begeistert und selbst den Kampf für die Nationalität nicht


Grenzboten IV. 1867. z
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[0005] Horvitth's ungarische Geschichte. (Fünfundzwanzig Jcchrc aus der Geschichte Ungarns von 1823 — 1848 von Michael Horvüth. Aus dem Ungarischen übersetzt von Joseph Novelli. 2 Bde. Brockhaus, 1867.) Ein historisches Werk, welches die Ereignisse der Gegenwart im liberalen Sinne auffaßt und sie zur Freude der liberalen Parteien erzählt, welches auf politischem Gebiete durchaus dem Fortschritte huldigt, auf kirchlichem Boden diesen wenigstens duldet und doch aus der Feder eines katholischen Bischofs stammt, ist gewiß eine große Seltenheit, ja geradezu ein Unicum. Nur die ungarische Abstam¬ mung Michael Horväth's erklärt diese räthselhafte Erscheinung. Gehörte er einem großen Volke an, dessen nationales Dasein gar nicht in Frage gestellt werden kann, dessen Existenz so gewiß ist, wie die Sonne am Himmel, wo es sich nicht mehr darum handelt, eine sichere Grundlage für das Leben und Wirken zu gewinnen, sondern wo die einzelnen Classen und Stände sich um den größern Antheil an der Regierung streiten: so würde wahrscheinlich die Kirche ihre An¬ sprüche auf Horvä,es behauptet haben. Als Sohn eines kleinen in seiner Existenz bedrohten Stammes hängt er zuerst und mit wahrhaft religiösem Eifer an der Nationalität; diese zu vertheidigen erscheint ihm als die wichtigste Pflicht, welcher alle besonderen Standesrücksichten weichen müssen. Horvä.es ist ist zunächst nur Magyar, dann erst Priester und Bischof; er trägt nicht gerade eine unkirchliche Gesinnung zur Schau, er hat aber für die ultramontane Doctrin der deutschen und französischen Priester, nach welcher überall das Interesse der Kirche ausschließlich gewahrt werden muß, kein Verständniß. HorvÄths Gesinnungsgenossen sind unter dem slawischen und magyarischen Klerus nicht selten. Gebildeter als durchschnittlich der Mittelstand, mit dem Kern des Volkes in unmittelbarer Berührung, verhältnißmäßig unabhängiger als die Beamten, haben bei den Polen, Czechen, Kroaten und Magyaren die Kleriker vorzugsweise sich für die nationalen Rechte begeistert und selbst den Kampf für die Nationalität nicht Grenzboten IV. 1867. z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/5>, abgerufen am 25.04.2024.