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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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v. Malchus, unter den Neuern von Umpfenbach gehandhabt wird, ist eine
durchsichtige, gemeinfaßliche Sprache getreten. Das Verständniß und die Wür¬
digung jeder einzelnen Einnahme wird erleichtert durch einen kurzen Ueberblick
über ihre historische Entwickelung. Von besonderem Verdienst und Interesse
aber ist die reiche Anzahl statistischer Tabellen, namentlich zu einer Vergleichung
der Finanzwirthschaft in den verschiedenen Hauptstaaten Europas geeignet. Daß
das Buch noch vor der vorjährigen Katastrophe geschrieben ist, thut seiner
Brauchbarkeit keinen Eintrag.




Herder über Leopold II.

Jedes neue Gebiet großer Interessen ändert der Nation Blick und Urtheil
über die Vergangenheit, sie sucht die Anfänge von allem, was ihrer Gegenwart
Bedeutung gewinnt, in Zuständen und Charakteren früherer Zeit. Wir sind,
jetzt nicht mehr zufrieden, in den geistigen Führern des vorigen Jahrhunderts
die Männer zu bewundern, welche die moderne Poesie und Literatur Deutsch¬
lands großzogen, wir mustern auch ihren politischen Inhalt, ihr Verständniß
für die großen Fragen ihrer Zeit und die Stellung, welche sie dazu nahmen.

Nicht immer ist es leicht, bei solcher Prüfung gegen die Vergangenen ge¬
recht zu werden, denn ihre politischen Urtheile sind in der Regel ihre schwache
Seite. Am meisten da, wo sie persönliche Eindrücke berichten, welche ihnen von
vornehmen Herren, den Trägern damaliger Cabinetspolitik, gemacht werden.
Kein größerer Gegensatz ist denkbar, als zwischen den hochgebildeten, feinfühlen¬
den Idealisten, welche die weichen Empfindungen schöner Seelen in sich ver¬
arbeitet hatten, und zwischen den harten Vertretern jener schlauen, hinterhälti¬
gen scrupulöser Politik, welche im Ganzen während des 18. Jahrhunderts die
Signatur der einflußreichsten Diplomaten auf dem Kontinent war. Trafen ein¬
mal die beiden Methoden der Bildung gesellschaftlich zusammen, so waren die
schönseeligcn Humanisten in der Regel die Dupirten, die Ehrfurcht vor erlauch¬
ter Geburt war weit größer, als in der Regel jetzt, für die großen Gesichts¬
punkte eines Politikers fehlte vielen Interesse und Verständniß, der Fürst und
Staatsmann, welche sich mit den Ideen und der Bildung unserer neuen Hu¬
manisten zu putzen wußten, wurden rückhaltlos bewundert, wie unbrauchbar sie
auch als Politiker waren; Dalberg war weit mehr nach dem Herzen des weima-


v. Malchus, unter den Neuern von Umpfenbach gehandhabt wird, ist eine
durchsichtige, gemeinfaßliche Sprache getreten. Das Verständniß und die Wür¬
digung jeder einzelnen Einnahme wird erleichtert durch einen kurzen Ueberblick
über ihre historische Entwickelung. Von besonderem Verdienst und Interesse
aber ist die reiche Anzahl statistischer Tabellen, namentlich zu einer Vergleichung
der Finanzwirthschaft in den verschiedenen Hauptstaaten Europas geeignet. Daß
das Buch noch vor der vorjährigen Katastrophe geschrieben ist, thut seiner
Brauchbarkeit keinen Eintrag.




Herder über Leopold II.

Jedes neue Gebiet großer Interessen ändert der Nation Blick und Urtheil
über die Vergangenheit, sie sucht die Anfänge von allem, was ihrer Gegenwart
Bedeutung gewinnt, in Zuständen und Charakteren früherer Zeit. Wir sind,
jetzt nicht mehr zufrieden, in den geistigen Führern des vorigen Jahrhunderts
die Männer zu bewundern, welche die moderne Poesie und Literatur Deutsch¬
lands großzogen, wir mustern auch ihren politischen Inhalt, ihr Verständniß
für die großen Fragen ihrer Zeit und die Stellung, welche sie dazu nahmen.

Nicht immer ist es leicht, bei solcher Prüfung gegen die Vergangenen ge¬
recht zu werden, denn ihre politischen Urtheile sind in der Regel ihre schwache
Seite. Am meisten da, wo sie persönliche Eindrücke berichten, welche ihnen von
vornehmen Herren, den Trägern damaliger Cabinetspolitik, gemacht werden.
Kein größerer Gegensatz ist denkbar, als zwischen den hochgebildeten, feinfühlen¬
den Idealisten, welche die weichen Empfindungen schöner Seelen in sich ver¬
arbeitet hatten, und zwischen den harten Vertretern jener schlauen, hinterhälti¬
gen scrupulöser Politik, welche im Ganzen während des 18. Jahrhunderts die
Signatur der einflußreichsten Diplomaten auf dem Kontinent war. Trafen ein¬
mal die beiden Methoden der Bildung gesellschaftlich zusammen, so waren die
schönseeligcn Humanisten in der Regel die Dupirten, die Ehrfurcht vor erlauch¬
ter Geburt war weit größer, als in der Regel jetzt, für die großen Gesichts¬
punkte eines Politikers fehlte vielen Interesse und Verständniß, der Fürst und
Staatsmann, welche sich mit den Ideen und der Bildung unserer neuen Hu¬
manisten zu putzen wußten, wurden rückhaltlos bewundert, wie unbrauchbar sie
auch als Politiker waren; Dalberg war weit mehr nach dem Herzen des weima-


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[0508] v. Malchus, unter den Neuern von Umpfenbach gehandhabt wird, ist eine durchsichtige, gemeinfaßliche Sprache getreten. Das Verständniß und die Wür¬ digung jeder einzelnen Einnahme wird erleichtert durch einen kurzen Ueberblick über ihre historische Entwickelung. Von besonderem Verdienst und Interesse aber ist die reiche Anzahl statistischer Tabellen, namentlich zu einer Vergleichung der Finanzwirthschaft in den verschiedenen Hauptstaaten Europas geeignet. Daß das Buch noch vor der vorjährigen Katastrophe geschrieben ist, thut seiner Brauchbarkeit keinen Eintrag. Herder über Leopold II. Jedes neue Gebiet großer Interessen ändert der Nation Blick und Urtheil über die Vergangenheit, sie sucht die Anfänge von allem, was ihrer Gegenwart Bedeutung gewinnt, in Zuständen und Charakteren früherer Zeit. Wir sind, jetzt nicht mehr zufrieden, in den geistigen Führern des vorigen Jahrhunderts die Männer zu bewundern, welche die moderne Poesie und Literatur Deutsch¬ lands großzogen, wir mustern auch ihren politischen Inhalt, ihr Verständniß für die großen Fragen ihrer Zeit und die Stellung, welche sie dazu nahmen. Nicht immer ist es leicht, bei solcher Prüfung gegen die Vergangenen ge¬ recht zu werden, denn ihre politischen Urtheile sind in der Regel ihre schwache Seite. Am meisten da, wo sie persönliche Eindrücke berichten, welche ihnen von vornehmen Herren, den Trägern damaliger Cabinetspolitik, gemacht werden. Kein größerer Gegensatz ist denkbar, als zwischen den hochgebildeten, feinfühlen¬ den Idealisten, welche die weichen Empfindungen schöner Seelen in sich ver¬ arbeitet hatten, und zwischen den harten Vertretern jener schlauen, hinterhälti¬ gen scrupulöser Politik, welche im Ganzen während des 18. Jahrhunderts die Signatur der einflußreichsten Diplomaten auf dem Kontinent war. Trafen ein¬ mal die beiden Methoden der Bildung gesellschaftlich zusammen, so waren die schönseeligcn Humanisten in der Regel die Dupirten, die Ehrfurcht vor erlauch¬ ter Geburt war weit größer, als in der Regel jetzt, für die großen Gesichts¬ punkte eines Politikers fehlte vielen Interesse und Verständniß, der Fürst und Staatsmann, welche sich mit den Ideen und der Bildung unserer neuen Hu¬ manisten zu putzen wußten, wurden rückhaltlos bewundert, wie unbrauchbar sie auch als Politiker waren; Dalberg war weit mehr nach dem Herzen des weima-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/508>, abgerufen am 26.04.2024.