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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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heftigsten Erscheinungen ausdrücken, ist Wohl nie ganz verkannt worden, und
auch in der homerischen Schilderung klingt der Ton der alten Naturpoesie im
Mythus durch die epische Darstellung hindurch. Im Sturm und Gewitter zeigt
Apollo nicht seine eigentliche Natur und Kraft; wenn man in solchen Er¬
scheinungen unter ganz besonderen Umständen ihn als wirksam betheiligt wahr¬
zunehmen glaubte, so marnsestirte er sich als den von seinem Vater Zeus ge¬
sandten und ausgerüsteten Stellvertreter. Diese Vorstellung sprach sich darin
aus, daß das Rettungssest zuerst dem Zeus als dem Retter und erst meh"-n ihm
dem Apollo gewidmet wurde, der doch der eigentliche Gott des pythischen Hei¬
ligtums war. Leibhaftig aber drückte sie die Statue aus, welche Apollo mit
der von Zeus ihm übergebenen Aegis in der Linken darstellte, wie er über die
im Moment vernichteten Feinde triumphirt. Es ist daher eine durchaus be¬
friedigende Voraussetzung, daß ein Weihgeschenk, welches bestimmt war den Sieg
über die Kelten durch ein Bild des Gottes selbst zu verherrlichen, das Original
der auf uns gekommenen Wiederholungen sei. Sucht man in der Vorstellung
den Apoll von Belvedere aller Zuthaten des Luxus und Raffinements zu
entkleiden und auf die ursprüngliche Reinheit und Simplicität zurückzuführen, so
bleibt ein Gebilde, das nach Auffassung, Anlage und Verhältnissen der Kunst¬
übung dieser Zeit am ehesten entspricht.

So ist durch glückliche Entdeckungen und geistreiche Combination Schritt
vor Schritt die Bedeutung und die kunstgeschichtliche Stellung des Apoll von
Belvedere ins Klare gebracht. Auch das, was noch vermißt wird, ein bestimmtes Zeug¬
niß über die Entstehungszeit und den Namen des Künstlers, der das Original
bildete, beschert vielleicht noch ein günstiger Fund.


Otto Jahr.


Mseit der Heerstraße.

Wie kräftig trotz aller Hemmnisse die Fortschritte der Deutschen in Wohlstand,
Bildung und erfreulichem Behagen sind, hat in diesem Frühjahr und Sommer
wieder jeder erfahren, der aus seiner Winterstube eine Fahrt in die blühende
sonnige Landschaft unternahm. Wo der Dampfwagen irgend anhält, stehen
schattige Linden und Kastanien, ragen Fliedergebüsche und Goldregen um die


Grenzboten IV. 1867. 7

heftigsten Erscheinungen ausdrücken, ist Wohl nie ganz verkannt worden, und
auch in der homerischen Schilderung klingt der Ton der alten Naturpoesie im
Mythus durch die epische Darstellung hindurch. Im Sturm und Gewitter zeigt
Apollo nicht seine eigentliche Natur und Kraft; wenn man in solchen Er¬
scheinungen unter ganz besonderen Umständen ihn als wirksam betheiligt wahr¬
zunehmen glaubte, so marnsestirte er sich als den von seinem Vater Zeus ge¬
sandten und ausgerüsteten Stellvertreter. Diese Vorstellung sprach sich darin
aus, daß das Rettungssest zuerst dem Zeus als dem Retter und erst meh«-n ihm
dem Apollo gewidmet wurde, der doch der eigentliche Gott des pythischen Hei¬
ligtums war. Leibhaftig aber drückte sie die Statue aus, welche Apollo mit
der von Zeus ihm übergebenen Aegis in der Linken darstellte, wie er über die
im Moment vernichteten Feinde triumphirt. Es ist daher eine durchaus be¬
friedigende Voraussetzung, daß ein Weihgeschenk, welches bestimmt war den Sieg
über die Kelten durch ein Bild des Gottes selbst zu verherrlichen, das Original
der auf uns gekommenen Wiederholungen sei. Sucht man in der Vorstellung
den Apoll von Belvedere aller Zuthaten des Luxus und Raffinements zu
entkleiden und auf die ursprüngliche Reinheit und Simplicität zurückzuführen, so
bleibt ein Gebilde, das nach Auffassung, Anlage und Verhältnissen der Kunst¬
übung dieser Zeit am ehesten entspricht.

So ist durch glückliche Entdeckungen und geistreiche Combination Schritt
vor Schritt die Bedeutung und die kunstgeschichtliche Stellung des Apoll von
Belvedere ins Klare gebracht. Auch das, was noch vermißt wird, ein bestimmtes Zeug¬
niß über die Entstehungszeit und den Namen des Künstlers, der das Original
bildete, beschert vielleicht noch ein günstiger Fund.


Otto Jahr.


Mseit der Heerstraße.

Wie kräftig trotz aller Hemmnisse die Fortschritte der Deutschen in Wohlstand,
Bildung und erfreulichem Behagen sind, hat in diesem Frühjahr und Sommer
wieder jeder erfahren, der aus seiner Winterstube eine Fahrt in die blühende
sonnige Landschaft unternahm. Wo der Dampfwagen irgend anhält, stehen
schattige Linden und Kastanien, ragen Fliedergebüsche und Goldregen um die


Grenzboten IV. 1867. 7
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[0053] heftigsten Erscheinungen ausdrücken, ist Wohl nie ganz verkannt worden, und auch in der homerischen Schilderung klingt der Ton der alten Naturpoesie im Mythus durch die epische Darstellung hindurch. Im Sturm und Gewitter zeigt Apollo nicht seine eigentliche Natur und Kraft; wenn man in solchen Er¬ scheinungen unter ganz besonderen Umständen ihn als wirksam betheiligt wahr¬ zunehmen glaubte, so marnsestirte er sich als den von seinem Vater Zeus ge¬ sandten und ausgerüsteten Stellvertreter. Diese Vorstellung sprach sich darin aus, daß das Rettungssest zuerst dem Zeus als dem Retter und erst meh«-n ihm dem Apollo gewidmet wurde, der doch der eigentliche Gott des pythischen Hei¬ ligtums war. Leibhaftig aber drückte sie die Statue aus, welche Apollo mit der von Zeus ihm übergebenen Aegis in der Linken darstellte, wie er über die im Moment vernichteten Feinde triumphirt. Es ist daher eine durchaus be¬ friedigende Voraussetzung, daß ein Weihgeschenk, welches bestimmt war den Sieg über die Kelten durch ein Bild des Gottes selbst zu verherrlichen, das Original der auf uns gekommenen Wiederholungen sei. Sucht man in der Vorstellung den Apoll von Belvedere aller Zuthaten des Luxus und Raffinements zu entkleiden und auf die ursprüngliche Reinheit und Simplicität zurückzuführen, so bleibt ein Gebilde, das nach Auffassung, Anlage und Verhältnissen der Kunst¬ übung dieser Zeit am ehesten entspricht. So ist durch glückliche Entdeckungen und geistreiche Combination Schritt vor Schritt die Bedeutung und die kunstgeschichtliche Stellung des Apoll von Belvedere ins Klare gebracht. Auch das, was noch vermißt wird, ein bestimmtes Zeug¬ niß über die Entstehungszeit und den Namen des Künstlers, der das Original bildete, beschert vielleicht noch ein günstiger Fund. Otto Jahr. Mseit der Heerstraße. Wie kräftig trotz aller Hemmnisse die Fortschritte der Deutschen in Wohlstand, Bildung und erfreulichem Behagen sind, hat in diesem Frühjahr und Sommer wieder jeder erfahren, der aus seiner Winterstube eine Fahrt in die blühende sonnige Landschaft unternahm. Wo der Dampfwagen irgend anhält, stehen schattige Linden und Kastanien, ragen Fliedergebüsche und Goldregen um die Grenzboten IV. 1867. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/53>, abgerufen am 28.03.2024.