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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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die englischen Parkanlage" auf vielen unserer Rittergüter betrachten, welche damals
angelegt wurden.

Ungleich schneller und größer ist die Energie unsres Fortschritts, und sie
hat auch da, wo sie das Vorhandene zu verschönern bemüht ist, einen Vorzug
vor jenem kurzen Vorfrühling einer frühern Generation: daß sie mit größerer
Theilnahme und mit größerer Objectivität auf die erhaltenen Ueberreste einer
ältern Vorzeit blickt. Noch gelingt uns nicht immer, monumentale Bauten
alter Zeit geschickt zu restauriren, und wir leiden wieder zu sehr an dem Be¬
streben, Baustile und Kunstformen aus verschiedenen Perioden der Vergangen¬
heit in die Bedürfnisse unseres Lebens einzufügen. Aber wir wissen doch das
Schöne, das in alter Zeit geschaffen wurde, nach seiner Eigenthümlichkeit zu wür¬
digen, auch dem Fremdartigen lebhaften Antheil zuzuwenden.

In dieser Zeit, wo wir der neuen Kraft uns freudig bewußt werden und
vergangene Eigenthümlichkeiten unseres Volkes gern mit der Gegenwart ver¬
gleichen, wird den Lesern dieses Blattes vielleicht nicht unwillkommen sein, einen
Blick von der großen Strömung des modernen Lebens nach solchen Stellen des
deutschen Bodens zu thun, wo die neue Zeit wenig an alten Verhältnissen
geändert hat, oder wo gegenüber der lebhaften Arbeit unsrer Maschinenzeit sich
ein kleinbürgerliches Stillleben mitten unter uns bewahrt hat. In einer Zeit
wo das allgemeine Reiseintercsse nach einer fremden Hauptstadt zieht, mitten
unter die gehäuften Eisindungen moderner Kunstindustrie, soll hier anstatt Be-
richten von der großen Ausstellung zuweilen Bericht gegeben werden von solchen
Stätten unseres Lebens, welche noch jetzt mehr von der großen Vergangenheit
unseres Volkes erkennen lassen, als von dem großen Kampfe der Gegenwart.
Es ist die Absicht, in einer Reihe von solchen Bildern kleinerer Städte auch
den geschichtlichen Weg deutlich zu machen, auf welchem das städtische Leben
seit dem Mittelalter heraufkam und sich umformte. Die Beschreibungen sind von
verschiedenen Verfassern, die Tendenz soll in allen dieselbe sein.

Eine erstarrte deutsche Stadt.

Den Bürgern seiner getreuen Reichsstadt Rotenburg an der Tauber ge¬
stattete im Jahre 134.0 der Wittelsbacher, welcher damals auf dem deutschen
Throne saß, die von Augsburg nach Würzburg und Frankfurt führende Han¬
delsstraße in ihre Mauern zu verlegen; der königlich bairischen unmittelbaren
Stadt des Regierungsbezirks Mittelfranken dagegen ist es im 7. Decennium
des 19. Jahrhunderts nicht gelungen, auf den Fahrplänen der bairischen Staats-
bahn als Station der Strecke von Würzburg nach Gunzenhausen zu figuriren.
Der Besucher der alterthümlichen Taubcrstadt muß sich in einem Postomnibus
auf üblem Vicinalwege, oft im langsamsten Schritt, von einem Bahnhof, der
nach dem unweit gelegenen Dörfchen Steinach genannt ist, zu dem zwei bis


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die englischen Parkanlage» auf vielen unserer Rittergüter betrachten, welche damals
angelegt wurden.

Ungleich schneller und größer ist die Energie unsres Fortschritts, und sie
hat auch da, wo sie das Vorhandene zu verschönern bemüht ist, einen Vorzug
vor jenem kurzen Vorfrühling einer frühern Generation: daß sie mit größerer
Theilnahme und mit größerer Objectivität auf die erhaltenen Ueberreste einer
ältern Vorzeit blickt. Noch gelingt uns nicht immer, monumentale Bauten
alter Zeit geschickt zu restauriren, und wir leiden wieder zu sehr an dem Be¬
streben, Baustile und Kunstformen aus verschiedenen Perioden der Vergangen¬
heit in die Bedürfnisse unseres Lebens einzufügen. Aber wir wissen doch das
Schöne, das in alter Zeit geschaffen wurde, nach seiner Eigenthümlichkeit zu wür¬
digen, auch dem Fremdartigen lebhaften Antheil zuzuwenden.

In dieser Zeit, wo wir der neuen Kraft uns freudig bewußt werden und
vergangene Eigenthümlichkeiten unseres Volkes gern mit der Gegenwart ver¬
gleichen, wird den Lesern dieses Blattes vielleicht nicht unwillkommen sein, einen
Blick von der großen Strömung des modernen Lebens nach solchen Stellen des
deutschen Bodens zu thun, wo die neue Zeit wenig an alten Verhältnissen
geändert hat, oder wo gegenüber der lebhaften Arbeit unsrer Maschinenzeit sich
ein kleinbürgerliches Stillleben mitten unter uns bewahrt hat. In einer Zeit
wo das allgemeine Reiseintercsse nach einer fremden Hauptstadt zieht, mitten
unter die gehäuften Eisindungen moderner Kunstindustrie, soll hier anstatt Be-
richten von der großen Ausstellung zuweilen Bericht gegeben werden von solchen
Stätten unseres Lebens, welche noch jetzt mehr von der großen Vergangenheit
unseres Volkes erkennen lassen, als von dem großen Kampfe der Gegenwart.
Es ist die Absicht, in einer Reihe von solchen Bildern kleinerer Städte auch
den geschichtlichen Weg deutlich zu machen, auf welchem das städtische Leben
seit dem Mittelalter heraufkam und sich umformte. Die Beschreibungen sind von
verschiedenen Verfassern, die Tendenz soll in allen dieselbe sein.

Eine erstarrte deutsche Stadt.

Den Bürgern seiner getreuen Reichsstadt Rotenburg an der Tauber ge¬
stattete im Jahre 134.0 der Wittelsbacher, welcher damals auf dem deutschen
Throne saß, die von Augsburg nach Würzburg und Frankfurt führende Han¬
delsstraße in ihre Mauern zu verlegen; der königlich bairischen unmittelbaren
Stadt des Regierungsbezirks Mittelfranken dagegen ist es im 7. Decennium
des 19. Jahrhunderts nicht gelungen, auf den Fahrplänen der bairischen Staats-
bahn als Station der Strecke von Würzburg nach Gunzenhausen zu figuriren.
Der Besucher der alterthümlichen Taubcrstadt muß sich in einem Postomnibus
auf üblem Vicinalwege, oft im langsamsten Schritt, von einem Bahnhof, der
nach dem unweit gelegenen Dörfchen Steinach genannt ist, zu dem zwei bis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/55>, abgerufen am 25.04.2024.