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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Der hannoversche Provinzialfonds und der preußische Landtag.

X Die erste Februarwoche des laufenden Jahres hat zu Debatten des
Preußischen Landtags Veranlassung gegeben, welche an Bedeutung und Inter¬
esse alles hinter sich ließen, was seit Jahren in dem Hause am Dönhofsplatz
verhandelt worden. Dieses Interesse mußte um so bedeutender und nach¬
haltiger sein, als dem Zusammentritt des preußischen Landtags gerade von
Denen mit dem Gefühl einer gewissen Befangenheit entgegen gesehen worden
war, welche von den Resultaten der kurz zuvor beschlossenen Neichstagssesston
mit voller Befriedigung geschieden waren. Vielfach fürchtete man einerseits
die Wiederkehr jener bekannten "Temperatur", welche bis zum Jahre 1866
im Hause der Volksvertretung Preußens geherrscht und schließlich zu einem
Mißbehagen in ganz Deutschland geführt hatte, und andererseits sah man
einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen den alten und neuen Pro¬
vinzen entgegen, die sich bei der Unbekanntschaft mit dem Maß der für das
große Werk der Organisation disponibel" Arbeitskräfte nicht übersehen ließen
War doch das Gefühl, durch die Ereignisse des Sommers 1866 auf einen
"neuen Boden" gelangt zu sein, im außerpreußischen Deutschland von Hause,
aus stärker und entschiedener, als in einem großen Theil des Staats, der
der Träger der ganzen Neugestaltung des Vaterlandes gewesen war; sich auf
das alte, im modernen Sinne "vormärzliche" Preußen besinnen zu können
und besinnen zu müssen, war für die alte Bevölkerung des norddeutschen
Großstaats ein natürliches Erbtheil, für die neuen Bürger dieses Staats
und die Genossen der übrig gebliebenen Bundesstaaten eine von mindestens
gemischten Empfindungen begleitete Nothwendigkeit gewesen. Die Präsidial-
macht des norddeutschen Bundes mit ihrem Kanzler, der zugleich und in
diesem Verhältniß ausschließlich Träger der nationalen Idee war, ihrem neu¬
geschaffenen, durch keine Vergangenheit beengten Beamtenpersonale reprä-
sentirte gleichsam das ideale Preußen, den Staat, nach dessen Gemeinschaft
sich alle diejenigen gesehnt hatten, welche des kleinstaatlichen Jammers und
seiner Kirchthurmsbeschränktheit müde, die moralische Eroberung Deutschlands
durch das Piemont des Nordens erharrt hatten. Daß es neben diesem noch ein


Grenzboten I. 1868. 31
Der hannoversche Provinzialfonds und der preußische Landtag.

X Die erste Februarwoche des laufenden Jahres hat zu Debatten des
Preußischen Landtags Veranlassung gegeben, welche an Bedeutung und Inter¬
esse alles hinter sich ließen, was seit Jahren in dem Hause am Dönhofsplatz
verhandelt worden. Dieses Interesse mußte um so bedeutender und nach¬
haltiger sein, als dem Zusammentritt des preußischen Landtags gerade von
Denen mit dem Gefühl einer gewissen Befangenheit entgegen gesehen worden
war, welche von den Resultaten der kurz zuvor beschlossenen Neichstagssesston
mit voller Befriedigung geschieden waren. Vielfach fürchtete man einerseits
die Wiederkehr jener bekannten „Temperatur", welche bis zum Jahre 1866
im Hause der Volksvertretung Preußens geherrscht und schließlich zu einem
Mißbehagen in ganz Deutschland geführt hatte, und andererseits sah man
einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen den alten und neuen Pro¬
vinzen entgegen, die sich bei der Unbekanntschaft mit dem Maß der für das
große Werk der Organisation disponibel« Arbeitskräfte nicht übersehen ließen
War doch das Gefühl, durch die Ereignisse des Sommers 1866 auf einen
„neuen Boden" gelangt zu sein, im außerpreußischen Deutschland von Hause,
aus stärker und entschiedener, als in einem großen Theil des Staats, der
der Träger der ganzen Neugestaltung des Vaterlandes gewesen war; sich auf
das alte, im modernen Sinne „vormärzliche" Preußen besinnen zu können
und besinnen zu müssen, war für die alte Bevölkerung des norddeutschen
Großstaats ein natürliches Erbtheil, für die neuen Bürger dieses Staats
und die Genossen der übrig gebliebenen Bundesstaaten eine von mindestens
gemischten Empfindungen begleitete Nothwendigkeit gewesen. Die Präsidial-
macht des norddeutschen Bundes mit ihrem Kanzler, der zugleich und in
diesem Verhältniß ausschließlich Träger der nationalen Idee war, ihrem neu¬
geschaffenen, durch keine Vergangenheit beengten Beamtenpersonale reprä-
sentirte gleichsam das ideale Preußen, den Staat, nach dessen Gemeinschaft
sich alle diejenigen gesehnt hatten, welche des kleinstaatlichen Jammers und
seiner Kirchthurmsbeschränktheit müde, die moralische Eroberung Deutschlands
durch das Piemont des Nordens erharrt hatten. Daß es neben diesem noch ein


Grenzboten I. 1868. 31
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[0249] Der hannoversche Provinzialfonds und der preußische Landtag. X Die erste Februarwoche des laufenden Jahres hat zu Debatten des Preußischen Landtags Veranlassung gegeben, welche an Bedeutung und Inter¬ esse alles hinter sich ließen, was seit Jahren in dem Hause am Dönhofsplatz verhandelt worden. Dieses Interesse mußte um so bedeutender und nach¬ haltiger sein, als dem Zusammentritt des preußischen Landtags gerade von Denen mit dem Gefühl einer gewissen Befangenheit entgegen gesehen worden war, welche von den Resultaten der kurz zuvor beschlossenen Neichstagssesston mit voller Befriedigung geschieden waren. Vielfach fürchtete man einerseits die Wiederkehr jener bekannten „Temperatur", welche bis zum Jahre 1866 im Hause der Volksvertretung Preußens geherrscht und schließlich zu einem Mißbehagen in ganz Deutschland geführt hatte, und andererseits sah man einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen den alten und neuen Pro¬ vinzen entgegen, die sich bei der Unbekanntschaft mit dem Maß der für das große Werk der Organisation disponibel« Arbeitskräfte nicht übersehen ließen War doch das Gefühl, durch die Ereignisse des Sommers 1866 auf einen „neuen Boden" gelangt zu sein, im außerpreußischen Deutschland von Hause, aus stärker und entschiedener, als in einem großen Theil des Staats, der der Träger der ganzen Neugestaltung des Vaterlandes gewesen war; sich auf das alte, im modernen Sinne „vormärzliche" Preußen besinnen zu können und besinnen zu müssen, war für die alte Bevölkerung des norddeutschen Großstaats ein natürliches Erbtheil, für die neuen Bürger dieses Staats und die Genossen der übrig gebliebenen Bundesstaaten eine von mindestens gemischten Empfindungen begleitete Nothwendigkeit gewesen. Die Präsidial- macht des norddeutschen Bundes mit ihrem Kanzler, der zugleich und in diesem Verhältniß ausschließlich Träger der nationalen Idee war, ihrem neu¬ geschaffenen, durch keine Vergangenheit beengten Beamtenpersonale reprä- sentirte gleichsam das ideale Preußen, den Staat, nach dessen Gemeinschaft sich alle diejenigen gesehnt hatten, welche des kleinstaatlichen Jammers und seiner Kirchthurmsbeschränktheit müde, die moralische Eroberung Deutschlands durch das Piemont des Nordens erharrt hatten. Daß es neben diesem noch ein Grenzboten I. 1868. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/249>, abgerufen am 05.05.2024.