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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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englische Verfassungsrecht hat, noch nach halbtausendjährigem Bestand, ganz
andere Stürme zu bestehen gehabt, und hat sie überwunden. In allen Tagen
großer parlamentarischer Kämpfe wird Junius wieder lebendig werden, jeden¬
falls aber die Lehre, die den Sinn seines Namens bildet: daß niemals Zeit
ist. am Vaterlande zu verzweifeln.




Eine Merkwürdigkeit der Leipziger Ostermesse von 1707.

"ääisu ^1tra>vLtäät, ton sejour ne me xls.1t pg.8." Diese Worte hat
Carl XII. mit einem Diamantring in eines der Fenster von Schloß Altran-
stcidt geritzt und dadurch bekundet, daß ihm jede Ruhe, auch die auf dem Gipfel¬
punkte seines Glücks und Ruhms unerträglich sei, daß sein unstäter Geist
ihn rastlos dem Verhängniß entgegentrieb,, dem er verfallen sollte. Von
einer der spärlichen Ruhestunden, welche sich dieser merkwürdige Fürst -- der zu
Schwedens Unglück "nur Krieger, nicht Staatsmann, nur Soldat, nicht Feld¬
herr" war -- gönnte, liefert die nachstehende Schilderung Bericht, welche aus
dem Tagebuche eines angesehenen bremer Handelsherrn stammt, der die leip¬
ziger Messe im I. 1707 besuchte und "die königliche Majestät zu.Schweden"
als größte Merkwürdigkeit derselben zu Gesicht zu bekommen suchte. Ganz im
Geist jener verkommenen Zeit ist von der Feindseligkeit, mit welcher Carl
das besiegte Sachsen behandelte, mit keinem Wort die Rede, es wird des
Krieges, der den Schwedenkönig nach Deutschland führte, nicht einmal ge¬
dacht, sondern die Majestät als solche angestaunt und bewundert. Ziemlich
prägnant ist der Gegensatz zwischen Carl und August dem Starken, der aus
dieser harmlosen Beschreibung hervortritt: hier die finstere Heldengestalt,
die, in ihre großen Pläne versenkt, der Außenwelt kaum Beachtung schenkt,
dort der leichtfertige Genußmensch, der inmitten schwerer politischer Schläge
die Laune nicht verliert. Von beiden Monarchen berichtet unser ehrsamer
Kaufherr mit gleicher Ehrfurcht und ohne jede Spur einer Kritik ihrer Hand¬
lungsweise, die trotz ihrer Verschiedenheit jedem der beiden Volker, über
welche diese Fürsten walteten, verhängnißvoll werden sollte.

Aus einer Reise von Hamburg nach Leipzig.

"Wir kamen am 16. Mai 1707 Mittags in Leipzig gesund und wohl
an und nahmen, unser Quartier in der Frau Doctor B. Hause. -- Es
war eben Messe und kamen immer mehr Kaufleute an. Die schwedischen


englische Verfassungsrecht hat, noch nach halbtausendjährigem Bestand, ganz
andere Stürme zu bestehen gehabt, und hat sie überwunden. In allen Tagen
großer parlamentarischer Kämpfe wird Junius wieder lebendig werden, jeden¬
falls aber die Lehre, die den Sinn seines Namens bildet: daß niemals Zeit
ist. am Vaterlande zu verzweifeln.




Eine Merkwürdigkeit der Leipziger Ostermesse von 1707.

„ääisu ^1tra>vLtäät, ton sejour ne me xls.1t pg.8." Diese Worte hat
Carl XII. mit einem Diamantring in eines der Fenster von Schloß Altran-
stcidt geritzt und dadurch bekundet, daß ihm jede Ruhe, auch die auf dem Gipfel¬
punkte seines Glücks und Ruhms unerträglich sei, daß sein unstäter Geist
ihn rastlos dem Verhängniß entgegentrieb,, dem er verfallen sollte. Von
einer der spärlichen Ruhestunden, welche sich dieser merkwürdige Fürst — der zu
Schwedens Unglück „nur Krieger, nicht Staatsmann, nur Soldat, nicht Feld¬
herr" war — gönnte, liefert die nachstehende Schilderung Bericht, welche aus
dem Tagebuche eines angesehenen bremer Handelsherrn stammt, der die leip¬
ziger Messe im I. 1707 besuchte und „die königliche Majestät zu.Schweden"
als größte Merkwürdigkeit derselben zu Gesicht zu bekommen suchte. Ganz im
Geist jener verkommenen Zeit ist von der Feindseligkeit, mit welcher Carl
das besiegte Sachsen behandelte, mit keinem Wort die Rede, es wird des
Krieges, der den Schwedenkönig nach Deutschland führte, nicht einmal ge¬
dacht, sondern die Majestät als solche angestaunt und bewundert. Ziemlich
prägnant ist der Gegensatz zwischen Carl und August dem Starken, der aus
dieser harmlosen Beschreibung hervortritt: hier die finstere Heldengestalt,
die, in ihre großen Pläne versenkt, der Außenwelt kaum Beachtung schenkt,
dort der leichtfertige Genußmensch, der inmitten schwerer politischer Schläge
die Laune nicht verliert. Von beiden Monarchen berichtet unser ehrsamer
Kaufherr mit gleicher Ehrfurcht und ohne jede Spur einer Kritik ihrer Hand¬
lungsweise, die trotz ihrer Verschiedenheit jedem der beiden Volker, über
welche diese Fürsten walteten, verhängnißvoll werden sollte.

Aus einer Reise von Hamburg nach Leipzig.

„Wir kamen am 16. Mai 1707 Mittags in Leipzig gesund und wohl
an und nahmen, unser Quartier in der Frau Doctor B. Hause. — Es
war eben Messe und kamen immer mehr Kaufleute an. Die schwedischen


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[0279] englische Verfassungsrecht hat, noch nach halbtausendjährigem Bestand, ganz andere Stürme zu bestehen gehabt, und hat sie überwunden. In allen Tagen großer parlamentarischer Kämpfe wird Junius wieder lebendig werden, jeden¬ falls aber die Lehre, die den Sinn seines Namens bildet: daß niemals Zeit ist. am Vaterlande zu verzweifeln. Eine Merkwürdigkeit der Leipziger Ostermesse von 1707. „ääisu ^1tra>vLtäät, ton sejour ne me xls.1t pg.8." Diese Worte hat Carl XII. mit einem Diamantring in eines der Fenster von Schloß Altran- stcidt geritzt und dadurch bekundet, daß ihm jede Ruhe, auch die auf dem Gipfel¬ punkte seines Glücks und Ruhms unerträglich sei, daß sein unstäter Geist ihn rastlos dem Verhängniß entgegentrieb,, dem er verfallen sollte. Von einer der spärlichen Ruhestunden, welche sich dieser merkwürdige Fürst — der zu Schwedens Unglück „nur Krieger, nicht Staatsmann, nur Soldat, nicht Feld¬ herr" war — gönnte, liefert die nachstehende Schilderung Bericht, welche aus dem Tagebuche eines angesehenen bremer Handelsherrn stammt, der die leip¬ ziger Messe im I. 1707 besuchte und „die königliche Majestät zu.Schweden" als größte Merkwürdigkeit derselben zu Gesicht zu bekommen suchte. Ganz im Geist jener verkommenen Zeit ist von der Feindseligkeit, mit welcher Carl das besiegte Sachsen behandelte, mit keinem Wort die Rede, es wird des Krieges, der den Schwedenkönig nach Deutschland führte, nicht einmal ge¬ dacht, sondern die Majestät als solche angestaunt und bewundert. Ziemlich prägnant ist der Gegensatz zwischen Carl und August dem Starken, der aus dieser harmlosen Beschreibung hervortritt: hier die finstere Heldengestalt, die, in ihre großen Pläne versenkt, der Außenwelt kaum Beachtung schenkt, dort der leichtfertige Genußmensch, der inmitten schwerer politischer Schläge die Laune nicht verliert. Von beiden Monarchen berichtet unser ehrsamer Kaufherr mit gleicher Ehrfurcht und ohne jede Spur einer Kritik ihrer Hand¬ lungsweise, die trotz ihrer Verschiedenheit jedem der beiden Volker, über welche diese Fürsten walteten, verhängnißvoll werden sollte. Aus einer Reise von Hamburg nach Leipzig. „Wir kamen am 16. Mai 1707 Mittags in Leipzig gesund und wohl an und nahmen, unser Quartier in der Frau Doctor B. Hause. — Es war eben Messe und kamen immer mehr Kaufleute an. Die schwedischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/279>, abgerufen am 05.05.2024.