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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Die Ertheilung des Adels an Bürgerliche.

Es gibt einige sociale Wahrheiten, über welche in der Theorie alle Welt
einig ist und die in der Praxis von Staaten und Einzelnen mit großer
Naivetät verleugnet werden. Zur Besprechung einer solchen allbekannten
und viel gemißhandelten Wahrheit wählt dies Blatt die Christwoche, in
welcher Menschenfreundlichkeit und billige Rücksicht sür die Schwächen des
Nächsten oben auf sind. Denn es ist dabei nicht die Absicht, wehe zu thun,
vielmehr zu gewinnen, und heilsam, nicht schädlich zu werden. Vielleicht ist nicht
unnütz, das längst Giltige wieder einmal von den Gesichtspunkten zu betrach¬
ten, welche dem Deutschen durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre
nahe gelegt sind.

Ueber den politischen Werth, welchen das Institut des deutschen Adels
für die Nation hat, mag die Nachwelt urtheilen, welche diese sociale Erfin¬
dung als eine historische Erscheinung vom Anfang bis zur Vollendung über¬
sehen wird. Die Institution ist uns aus dem Mittelalter überkommen, sie
ist entstanden unter einer Staatsform, welche mit dem modernen Staat
wenig Aehnlichkeit hat; sie hat in verschiedenen Jahrhunderten sehr verschie¬
dene Bedeutung gehabt. Jetzt ist sie zahlreichen unserer Landsleute, Mit¬
bürger und Freunde ein werther Familienbesitz, für viele Tausende ein we¬
sentliches Moment ihrer Selbstachtung, insofern auch ein Quell von sittlichen
und ethischen Forderungen, die sie an sich und ihre Genossen stellen.
Wir wollen also bereitwillig zugeben, daß der Adel nicht wenigen eine
wesentliche Stütze und Bereicherung ihres Lebens ist; wir halten die
Freude, welche dem Sohn eines alten Geschlechts ansehnliche und ge¬
ehrte Vorfahren gewähren, für höchst berechtigt; wir alle sind willig zu
rühmen, wo in der Vergangenheit unserer Adelsgeschlechter Tüchtigkeit und
ein wohlthätiger Einfluß auf die großen Interessen der Nation erkennbar ist;
ja wir sind auch bereit, uns um die Wette mit unsern adligen Freunden
an-den schwierigen Problemen der adligsten aller Wissenschaften, der Heraldik,
zu versuchen, und über den Ursprung des Rautenkranzes und aller Sparren
und Schrägbalken Vermuthungen aufzustellen, und wir erklären eifrig, daß


Gttnzboten I. 1S68. 1
Die Ertheilung des Adels an Bürgerliche.

Es gibt einige sociale Wahrheiten, über welche in der Theorie alle Welt
einig ist und die in der Praxis von Staaten und Einzelnen mit großer
Naivetät verleugnet werden. Zur Besprechung einer solchen allbekannten
und viel gemißhandelten Wahrheit wählt dies Blatt die Christwoche, in
welcher Menschenfreundlichkeit und billige Rücksicht sür die Schwächen des
Nächsten oben auf sind. Denn es ist dabei nicht die Absicht, wehe zu thun,
vielmehr zu gewinnen, und heilsam, nicht schädlich zu werden. Vielleicht ist nicht
unnütz, das längst Giltige wieder einmal von den Gesichtspunkten zu betrach¬
ten, welche dem Deutschen durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre
nahe gelegt sind.

Ueber den politischen Werth, welchen das Institut des deutschen Adels
für die Nation hat, mag die Nachwelt urtheilen, welche diese sociale Erfin¬
dung als eine historische Erscheinung vom Anfang bis zur Vollendung über¬
sehen wird. Die Institution ist uns aus dem Mittelalter überkommen, sie
ist entstanden unter einer Staatsform, welche mit dem modernen Staat
wenig Aehnlichkeit hat; sie hat in verschiedenen Jahrhunderten sehr verschie¬
dene Bedeutung gehabt. Jetzt ist sie zahlreichen unserer Landsleute, Mit¬
bürger und Freunde ein werther Familienbesitz, für viele Tausende ein we¬
sentliches Moment ihrer Selbstachtung, insofern auch ein Quell von sittlichen
und ethischen Forderungen, die sie an sich und ihre Genossen stellen.
Wir wollen also bereitwillig zugeben, daß der Adel nicht wenigen eine
wesentliche Stütze und Bereicherung ihres Lebens ist; wir halten die
Freude, welche dem Sohn eines alten Geschlechts ansehnliche und ge¬
ehrte Vorfahren gewähren, für höchst berechtigt; wir alle sind willig zu
rühmen, wo in der Vergangenheit unserer Adelsgeschlechter Tüchtigkeit und
ein wohlthätiger Einfluß auf die großen Interessen der Nation erkennbar ist;
ja wir sind auch bereit, uns um die Wette mit unsern adligen Freunden
an-den schwierigen Problemen der adligsten aller Wissenschaften, der Heraldik,
zu versuchen, und über den Ursprung des Rautenkranzes und aller Sparren
und Schrägbalken Vermuthungen aufzustellen, und wir erklären eifrig, daß


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[0009] Die Ertheilung des Adels an Bürgerliche. Es gibt einige sociale Wahrheiten, über welche in der Theorie alle Welt einig ist und die in der Praxis von Staaten und Einzelnen mit großer Naivetät verleugnet werden. Zur Besprechung einer solchen allbekannten und viel gemißhandelten Wahrheit wählt dies Blatt die Christwoche, in welcher Menschenfreundlichkeit und billige Rücksicht sür die Schwächen des Nächsten oben auf sind. Denn es ist dabei nicht die Absicht, wehe zu thun, vielmehr zu gewinnen, und heilsam, nicht schädlich zu werden. Vielleicht ist nicht unnütz, das längst Giltige wieder einmal von den Gesichtspunkten zu betrach¬ ten, welche dem Deutschen durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre nahe gelegt sind. Ueber den politischen Werth, welchen das Institut des deutschen Adels für die Nation hat, mag die Nachwelt urtheilen, welche diese sociale Erfin¬ dung als eine historische Erscheinung vom Anfang bis zur Vollendung über¬ sehen wird. Die Institution ist uns aus dem Mittelalter überkommen, sie ist entstanden unter einer Staatsform, welche mit dem modernen Staat wenig Aehnlichkeit hat; sie hat in verschiedenen Jahrhunderten sehr verschie¬ dene Bedeutung gehabt. Jetzt ist sie zahlreichen unserer Landsleute, Mit¬ bürger und Freunde ein werther Familienbesitz, für viele Tausende ein we¬ sentliches Moment ihrer Selbstachtung, insofern auch ein Quell von sittlichen und ethischen Forderungen, die sie an sich und ihre Genossen stellen. Wir wollen also bereitwillig zugeben, daß der Adel nicht wenigen eine wesentliche Stütze und Bereicherung ihres Lebens ist; wir halten die Freude, welche dem Sohn eines alten Geschlechts ansehnliche und ge¬ ehrte Vorfahren gewähren, für höchst berechtigt; wir alle sind willig zu rühmen, wo in der Vergangenheit unserer Adelsgeschlechter Tüchtigkeit und ein wohlthätiger Einfluß auf die großen Interessen der Nation erkennbar ist; ja wir sind auch bereit, uns um die Wette mit unsern adligen Freunden an-den schwierigen Problemen der adligsten aller Wissenschaften, der Heraldik, zu versuchen, und über den Ursprung des Rautenkranzes und aller Sparren und Schrägbalken Vermuthungen aufzustellen, und wir erklären eifrig, daß Gttnzboten I. 1S68. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/9>, abgerufen am 05.05.2024.