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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Kunstgeschmack der Mode über das ganze Reich dictirte, auch den Unbe¬
mittelten eine gewisse Theilnahme an den Kunstschätzen der Hauptstadt
ermöglicht.


Otto Jahr.


Port^Ro-Lat.

Jeder Fremde, der in Paris war, hat auch wohl Versailles besucht. Fährt
man weiter nach Rambouillet, so liegt ungefähr in der Mitte des Weges
Chevreuse. In der Nähe dieses Orts erhoben sich vor zwei Jahrhunderten
die Gebäude der altberühmten Abtei "Port-Royal des Changs". Racine,
ein Schüler von Port-Royal, besingt in seinen Jugendgedichten die stille
Landschaft, die Wiesen, die Felder, den Wald, das Ktrchlein im Dorfe, die
schöne heilige Natur. Heute findet der Wanderer dort kein Ueberbleibsel der
Erinnerung mehr; den Intriguen der Jesuiten war es schon 1710 gelungen,
daß Port-Royal von Grund aus zerstört und dem Erdboden gleichgemacht
wurde. Auch der Geist, der in jenen Mauern geherrscht und von dort aus¬
gegangen, war getödtet worden. Doch glücklicherweise nicht für immer.

Von der ziemlich zahlreichen Literatur über Port-Royal ist das Werk
von Sainte-Beuve*) das bedeutendste. Von demselben ist kürzlich bereits die
dritte Auflage erschienen: eine Gelegenheit mehr, jene denkwürdigen Ereig¬
nisse mit den denkwürdigen Menschen näher kennen zu lernen. Es gibt in
der Geschichte des Frankreich Ludwig XIV. kaum etwas Interessanteres und
Erhabenderes als die Geschichte dieser einfachen Abtei. Diese schwachen
Frauen, diese von der Welt zurückgezogenen Einsiedler haben eine lange
Reihe von Jahren hindurch Päpsten und Bischöfen, Ministern, ja selbst einem
Könige Widerstand geleistet. Sie repräsentiren die besten Momente des so¬
cialen, religiösen und philosophischen Lebens ihrer Zeit. Der Jansenismus,
Saint-Cyran und die Mutter Angelika bedrohen nicht die Kirche Christi, aber
diejenige Roms, Pascal und Arnauld kämpfen mit den Jesuiten einen Kampf
auf Leben und Tod, Nicole vertritt die Sache der Wahrheit in der Philo¬
sophie, Racine in der Poesie, Lancelot in der Erziehung, Andilly am Hose.
Und im Hintergrunde umschweben edle Frauenbilder das Ganze, wie Frau
v. Plessis, Frau v. Liancourt, Frau v. Longueville, Frau v. Sable, die



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Kunstgeschmack der Mode über das ganze Reich dictirte, auch den Unbe¬
mittelten eine gewisse Theilnahme an den Kunstschätzen der Hauptstadt
ermöglicht.


Otto Jahr.


Port^Ro-Lat.

Jeder Fremde, der in Paris war, hat auch wohl Versailles besucht. Fährt
man weiter nach Rambouillet, so liegt ungefähr in der Mitte des Weges
Chevreuse. In der Nähe dieses Orts erhoben sich vor zwei Jahrhunderten
die Gebäude der altberühmten Abtei „Port-Royal des Changs". Racine,
ein Schüler von Port-Royal, besingt in seinen Jugendgedichten die stille
Landschaft, die Wiesen, die Felder, den Wald, das Ktrchlein im Dorfe, die
schöne heilige Natur. Heute findet der Wanderer dort kein Ueberbleibsel der
Erinnerung mehr; den Intriguen der Jesuiten war es schon 1710 gelungen,
daß Port-Royal von Grund aus zerstört und dem Erdboden gleichgemacht
wurde. Auch der Geist, der in jenen Mauern geherrscht und von dort aus¬
gegangen, war getödtet worden. Doch glücklicherweise nicht für immer.

Von der ziemlich zahlreichen Literatur über Port-Royal ist das Werk
von Sainte-Beuve*) das bedeutendste. Von demselben ist kürzlich bereits die
dritte Auflage erschienen: eine Gelegenheit mehr, jene denkwürdigen Ereig¬
nisse mit den denkwürdigen Menschen näher kennen zu lernen. Es gibt in
der Geschichte des Frankreich Ludwig XIV. kaum etwas Interessanteres und
Erhabenderes als die Geschichte dieser einfachen Abtei. Diese schwachen
Frauen, diese von der Welt zurückgezogenen Einsiedler haben eine lange
Reihe von Jahren hindurch Päpsten und Bischöfen, Ministern, ja selbst einem
Könige Widerstand geleistet. Sie repräsentiren die besten Momente des so¬
cialen, religiösen und philosophischen Lebens ihrer Zeit. Der Jansenismus,
Saint-Cyran und die Mutter Angelika bedrohen nicht die Kirche Christi, aber
diejenige Roms, Pascal und Arnauld kämpfen mit den Jesuiten einen Kampf
auf Leben und Tod, Nicole vertritt die Sache der Wahrheit in der Philo¬
sophie, Racine in der Poesie, Lancelot in der Erziehung, Andilly am Hose.
Und im Hintergrunde umschweben edle Frauenbilder das Ganze, wie Frau
v. Plessis, Frau v. Liancourt, Frau v. Longueville, Frau v. Sable, die



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[0197] Kunstgeschmack der Mode über das ganze Reich dictirte, auch den Unbe¬ mittelten eine gewisse Theilnahme an den Kunstschätzen der Hauptstadt ermöglicht. Otto Jahr. Port^Ro-Lat. Jeder Fremde, der in Paris war, hat auch wohl Versailles besucht. Fährt man weiter nach Rambouillet, so liegt ungefähr in der Mitte des Weges Chevreuse. In der Nähe dieses Orts erhoben sich vor zwei Jahrhunderten die Gebäude der altberühmten Abtei „Port-Royal des Changs". Racine, ein Schüler von Port-Royal, besingt in seinen Jugendgedichten die stille Landschaft, die Wiesen, die Felder, den Wald, das Ktrchlein im Dorfe, die schöne heilige Natur. Heute findet der Wanderer dort kein Ueberbleibsel der Erinnerung mehr; den Intriguen der Jesuiten war es schon 1710 gelungen, daß Port-Royal von Grund aus zerstört und dem Erdboden gleichgemacht wurde. Auch der Geist, der in jenen Mauern geherrscht und von dort aus¬ gegangen, war getödtet worden. Doch glücklicherweise nicht für immer. Von der ziemlich zahlreichen Literatur über Port-Royal ist das Werk von Sainte-Beuve*) das bedeutendste. Von demselben ist kürzlich bereits die dritte Auflage erschienen: eine Gelegenheit mehr, jene denkwürdigen Ereig¬ nisse mit den denkwürdigen Menschen näher kennen zu lernen. Es gibt in der Geschichte des Frankreich Ludwig XIV. kaum etwas Interessanteres und Erhabenderes als die Geschichte dieser einfachen Abtei. Diese schwachen Frauen, diese von der Welt zurückgezogenen Einsiedler haben eine lange Reihe von Jahren hindurch Päpsten und Bischöfen, Ministern, ja selbst einem Könige Widerstand geleistet. Sie repräsentiren die besten Momente des so¬ cialen, religiösen und philosophischen Lebens ihrer Zeit. Der Jansenismus, Saint-Cyran und die Mutter Angelika bedrohen nicht die Kirche Christi, aber diejenige Roms, Pascal und Arnauld kämpfen mit den Jesuiten einen Kampf auf Leben und Tod, Nicole vertritt die Sache der Wahrheit in der Philo¬ sophie, Racine in der Poesie, Lancelot in der Erziehung, Andilly am Hose. Und im Hintergrunde umschweben edle Frauenbilder das Ganze, wie Frau v. Plessis, Frau v. Liancourt, Frau v. Longueville, Frau v. Sable, die ») ?ort-RovÄl, PA' U. 6. A,. KiuntoIZouve. 3. öäitiov. 6 vol. Zu — 1s. IlaeKottv. 23 "

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/197>, abgerufen am 04.05.2024.