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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Die griechische Kunst und die Monarchie.

Die griechische Kunst hat sich lange Zeit fast ausschließlich an der Dar¬
stellung der Götter und heroischen Mythen herangebildet. Der hellenische
Olymp war so reich bevölkert, die gemeinsam griechischen Sagen wie diejeni¬
gen der einzelnen Landschaften und Orte waren durch mündliche Tradition
und dichterische Behandlung so mannigfaltig aus- und umgebildet worden,
daß der der Kunst dadurch gebotene Stoff ein fast unendlicher war und da¬
bei mit dem Reichthum verschiedenartigster Motive den Vorzug allgemeiner
Verständlichkeit verband. Auch wo es galt, Ereignisse der Gegenwart durch
Werke der bildenden Kunst zu verherrlichen, wurden dieselben nur sehr selten in
ihrer nackten Realität vorgeführt; entweder die Götter mischten sich wie in
den homerischen Schlachten in die Reihe der Marathonskämpfer, oder man
deutete die Thaten der Mitlebenden nur symbolisch an durch den Hinweis
auf ähnliche Begebenheiten der heroischen Vorzeit. So ward in den Giebel¬
feldern des Athenatempels auf Aegina die Erinnerung des Sieges von Sa¬
lamis dadurch gefeiert, daß die Großthaten der alten aeginetisch-salaminischen
Helden gegenüber den östlichen Barbaren vor Troja dargestellt wurden. Das
Einzelindividuum trat vollends fast ganz zurück. Ward es dargestellt, so
erschien es entweder als Werkzeug und Diener der Gottheit: so namentlich
in den zahllosen Statuen von Siegern in den Nationalspielen, welche jedoch
nicht portraitmäßig gebildet werden durften, sondern nur als allgemeine Bil¬
der von Siegern, denen die Gottheit gnädig gewesen war; oder der ein¬
zelne Mensch zeigte sich als Glied des Staatsganzen: so konnte in dem del¬
phischen Weihgeschenk der Athener, einem Erstlingswerke des jungen Phidias,
der Sieger von Marathon dem Kreise attischer Götter und Heroen zuge¬
sellt werden. Lebenden Standbilder zu errichten galt noch für unstatthaft
und auch Todten ward diese Ehre öffentlich nur selten zu Theil. -- Es ist
nicht zum wenigsten diese Beschränkung, welche zu den Bedingungen der
Größe und abgeschlossenen Vollendung der griechischen Kunst gehört; auch
hier bewährt sich Maß und weise Genügsamkeit als Erbtheil des griechischen
Künstlergeistes. Ebenso reift daneben in allmählicher und geduldiger Ent¬
wickelung Schritt vor Schritt die Aneignung aller technischen Mittel sowohl,
Wie die Herrschaft über die äußere Formdarstellung heran. Die Kunst über¬
eilt sich nirgend, sie wartet wie die Frucht am Baume ihre Reife ruhig
ab, dann aber steht sie auch nach allen Seiten gleichmäßig vollendet da.

Das ist in kurzen Zügen der Verlauf der griechischen Kunstentwicklung
bis zum peloponnesischen Kriege, welcher Griechenland vollständig verändert
Zurückließ. Die größte Kraft ist erlahmt, der höchste Schwung auf dem Ge-


Die griechische Kunst und die Monarchie.

Die griechische Kunst hat sich lange Zeit fast ausschließlich an der Dar¬
stellung der Götter und heroischen Mythen herangebildet. Der hellenische
Olymp war so reich bevölkert, die gemeinsam griechischen Sagen wie diejeni¬
gen der einzelnen Landschaften und Orte waren durch mündliche Tradition
und dichterische Behandlung so mannigfaltig aus- und umgebildet worden,
daß der der Kunst dadurch gebotene Stoff ein fast unendlicher war und da¬
bei mit dem Reichthum verschiedenartigster Motive den Vorzug allgemeiner
Verständlichkeit verband. Auch wo es galt, Ereignisse der Gegenwart durch
Werke der bildenden Kunst zu verherrlichen, wurden dieselben nur sehr selten in
ihrer nackten Realität vorgeführt; entweder die Götter mischten sich wie in
den homerischen Schlachten in die Reihe der Marathonskämpfer, oder man
deutete die Thaten der Mitlebenden nur symbolisch an durch den Hinweis
auf ähnliche Begebenheiten der heroischen Vorzeit. So ward in den Giebel¬
feldern des Athenatempels auf Aegina die Erinnerung des Sieges von Sa¬
lamis dadurch gefeiert, daß die Großthaten der alten aeginetisch-salaminischen
Helden gegenüber den östlichen Barbaren vor Troja dargestellt wurden. Das
Einzelindividuum trat vollends fast ganz zurück. Ward es dargestellt, so
erschien es entweder als Werkzeug und Diener der Gottheit: so namentlich
in den zahllosen Statuen von Siegern in den Nationalspielen, welche jedoch
nicht portraitmäßig gebildet werden durften, sondern nur als allgemeine Bil¬
der von Siegern, denen die Gottheit gnädig gewesen war; oder der ein¬
zelne Mensch zeigte sich als Glied des Staatsganzen: so konnte in dem del¬
phischen Weihgeschenk der Athener, einem Erstlingswerke des jungen Phidias,
der Sieger von Marathon dem Kreise attischer Götter und Heroen zuge¬
sellt werden. Lebenden Standbilder zu errichten galt noch für unstatthaft
und auch Todten ward diese Ehre öffentlich nur selten zu Theil. — Es ist
nicht zum wenigsten diese Beschränkung, welche zu den Bedingungen der
Größe und abgeschlossenen Vollendung der griechischen Kunst gehört; auch
hier bewährt sich Maß und weise Genügsamkeit als Erbtheil des griechischen
Künstlergeistes. Ebenso reift daneben in allmählicher und geduldiger Ent¬
wickelung Schritt vor Schritt die Aneignung aller technischen Mittel sowohl,
Wie die Herrschaft über die äußere Formdarstellung heran. Die Kunst über¬
eilt sich nirgend, sie wartet wie die Frucht am Baume ihre Reife ruhig
ab, dann aber steht sie auch nach allen Seiten gleichmäßig vollendet da.

Das ist in kurzen Zügen der Verlauf der griechischen Kunstentwicklung
bis zum peloponnesischen Kriege, welcher Griechenland vollständig verändert
Zurückließ. Die größte Kraft ist erlahmt, der höchste Schwung auf dem Ge-


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[0401] Die griechische Kunst und die Monarchie. Die griechische Kunst hat sich lange Zeit fast ausschließlich an der Dar¬ stellung der Götter und heroischen Mythen herangebildet. Der hellenische Olymp war so reich bevölkert, die gemeinsam griechischen Sagen wie diejeni¬ gen der einzelnen Landschaften und Orte waren durch mündliche Tradition und dichterische Behandlung so mannigfaltig aus- und umgebildet worden, daß der der Kunst dadurch gebotene Stoff ein fast unendlicher war und da¬ bei mit dem Reichthum verschiedenartigster Motive den Vorzug allgemeiner Verständlichkeit verband. Auch wo es galt, Ereignisse der Gegenwart durch Werke der bildenden Kunst zu verherrlichen, wurden dieselben nur sehr selten in ihrer nackten Realität vorgeführt; entweder die Götter mischten sich wie in den homerischen Schlachten in die Reihe der Marathonskämpfer, oder man deutete die Thaten der Mitlebenden nur symbolisch an durch den Hinweis auf ähnliche Begebenheiten der heroischen Vorzeit. So ward in den Giebel¬ feldern des Athenatempels auf Aegina die Erinnerung des Sieges von Sa¬ lamis dadurch gefeiert, daß die Großthaten der alten aeginetisch-salaminischen Helden gegenüber den östlichen Barbaren vor Troja dargestellt wurden. Das Einzelindividuum trat vollends fast ganz zurück. Ward es dargestellt, so erschien es entweder als Werkzeug und Diener der Gottheit: so namentlich in den zahllosen Statuen von Siegern in den Nationalspielen, welche jedoch nicht portraitmäßig gebildet werden durften, sondern nur als allgemeine Bil¬ der von Siegern, denen die Gottheit gnädig gewesen war; oder der ein¬ zelne Mensch zeigte sich als Glied des Staatsganzen: so konnte in dem del¬ phischen Weihgeschenk der Athener, einem Erstlingswerke des jungen Phidias, der Sieger von Marathon dem Kreise attischer Götter und Heroen zuge¬ sellt werden. Lebenden Standbilder zu errichten galt noch für unstatthaft und auch Todten ward diese Ehre öffentlich nur selten zu Theil. — Es ist nicht zum wenigsten diese Beschränkung, welche zu den Bedingungen der Größe und abgeschlossenen Vollendung der griechischen Kunst gehört; auch hier bewährt sich Maß und weise Genügsamkeit als Erbtheil des griechischen Künstlergeistes. Ebenso reift daneben in allmählicher und geduldiger Ent¬ wickelung Schritt vor Schritt die Aneignung aller technischen Mittel sowohl, Wie die Herrschaft über die äußere Formdarstellung heran. Die Kunst über¬ eilt sich nirgend, sie wartet wie die Frucht am Baume ihre Reife ruhig ab, dann aber steht sie auch nach allen Seiten gleichmäßig vollendet da. Das ist in kurzen Zügen der Verlauf der griechischen Kunstentwicklung bis zum peloponnesischen Kriege, welcher Griechenland vollständig verändert Zurückließ. Die größte Kraft ist erlahmt, der höchste Schwung auf dem Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/401>, abgerufen am 04.05.2024.