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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Einzug gehalten hätten; aber ganz anders war es im übrigen Italien;
nirgends wollte man von Festen und Freudenkundgebungen etwas wissen,
Alles fühlte sich gedrückt, gedemüthigt. Anstatt daß Italien mit gehobener
Stimmung, mit dem stolzen Bewußtsein, seine Unabhängigkeit und Einheit
vollends erkämpft zu haben, aus dem Kriege hervorging, der ihm eine neue
Provinz zufügte, war die Folge vielmehr die Verdoppelung des zuvor schon
herrschenden Mißvergnügens, eine Fluth von Anklagen und Vorwürfen, die
Fortdauer des Parteihaders. Wie wenig es gelang, die revolutionären Lei¬
denschaften zu beschwichtigen, zeigte bald darauf der neue Römerzug Gari-
baldi's, und das Ende desselben sollte schmerzliche Gewißheit darüber bringen,
wie Italien noch immer zu Frankreich steht. Denn dies war noch die
schlimmste Folge jener Politik, welche die Vortheile der preußischen und der
französischen Freundschaft gleichzeitig genießen wollte: anstatt daß man muthig
die Gelegenheit ergriffen hätte, an der Hand eines uneigennützigen Verbünde¬
ten sich von der Vormundschaft Frankreichs zu befreien, lastet diese heute
wieder fast so schwer als zuvor auf dem Lande. Die Enthüllungen aber,
welche jetzt von allen Seiten zu Tag treten, haben, so peinlich sie für Die¬
jenigen sind, welche den Italienern aufrichtig wohlwollen, doch wenigstens
das Verdienst, daß sie das Dunkel wegziehen von jenen Tagen, in welchen
große Hoffnungen doch nur unvollständig erfüllt worden sind. Schließlich
kann ihre Wirkung nur eine heilsame sein. und schon jetzt ist die öffentliche
Meinung in Italien zum weit größten Theil einig sowohl in der gerechten
Werthschätzung der preußischen Allianz, als in dem Urtheil über die Staats¬
männer, welche ihrer Aufgabe doch nur halb, und über die Generale, welche
ihrer Aufgabe gar nicht gewachsen waren.


W. L.


Die Chimäre einer polnischen Abstimmung.

In Rapperswyl haben sich deutsche Demokraten und Söhne Lechs neu¬
lich dahin geeinigt, daß in den preußisch-polnischen Grenzstrichen beim Wieder¬
erstehen der königlichen Republik Polen die Wahl der Nationalität durch Ab¬
stimmung entschieden werden soll. Zwar -- und leider ist der Vorschlag
deutscherseits nur von Gottfried Kinkel ausgegangen, der wohl aus den
Rang eines deutschen Dichters und Patrioten Anspruch machen kann, der
ihn aber schwerlich selbst auch auf den eines guten Politikers erheben wird,
und die ganze Sache ist nichts mehr als eine Uebung am Phantom; aber


Einzug gehalten hätten; aber ganz anders war es im übrigen Italien;
nirgends wollte man von Festen und Freudenkundgebungen etwas wissen,
Alles fühlte sich gedrückt, gedemüthigt. Anstatt daß Italien mit gehobener
Stimmung, mit dem stolzen Bewußtsein, seine Unabhängigkeit und Einheit
vollends erkämpft zu haben, aus dem Kriege hervorging, der ihm eine neue
Provinz zufügte, war die Folge vielmehr die Verdoppelung des zuvor schon
herrschenden Mißvergnügens, eine Fluth von Anklagen und Vorwürfen, die
Fortdauer des Parteihaders. Wie wenig es gelang, die revolutionären Lei¬
denschaften zu beschwichtigen, zeigte bald darauf der neue Römerzug Gari-
baldi's, und das Ende desselben sollte schmerzliche Gewißheit darüber bringen,
wie Italien noch immer zu Frankreich steht. Denn dies war noch die
schlimmste Folge jener Politik, welche die Vortheile der preußischen und der
französischen Freundschaft gleichzeitig genießen wollte: anstatt daß man muthig
die Gelegenheit ergriffen hätte, an der Hand eines uneigennützigen Verbünde¬
ten sich von der Vormundschaft Frankreichs zu befreien, lastet diese heute
wieder fast so schwer als zuvor auf dem Lande. Die Enthüllungen aber,
welche jetzt von allen Seiten zu Tag treten, haben, so peinlich sie für Die¬
jenigen sind, welche den Italienern aufrichtig wohlwollen, doch wenigstens
das Verdienst, daß sie das Dunkel wegziehen von jenen Tagen, in welchen
große Hoffnungen doch nur unvollständig erfüllt worden sind. Schließlich
kann ihre Wirkung nur eine heilsame sein. und schon jetzt ist die öffentliche
Meinung in Italien zum weit größten Theil einig sowohl in der gerechten
Werthschätzung der preußischen Allianz, als in dem Urtheil über die Staats¬
männer, welche ihrer Aufgabe doch nur halb, und über die Generale, welche
ihrer Aufgabe gar nicht gewachsen waren.


W. L.


Die Chimäre einer polnischen Abstimmung.

In Rapperswyl haben sich deutsche Demokraten und Söhne Lechs neu¬
lich dahin geeinigt, daß in den preußisch-polnischen Grenzstrichen beim Wieder¬
erstehen der königlichen Republik Polen die Wahl der Nationalität durch Ab¬
stimmung entschieden werden soll. Zwar — und leider ist der Vorschlag
deutscherseits nur von Gottfried Kinkel ausgegangen, der wohl aus den
Rang eines deutschen Dichters und Patrioten Anspruch machen kann, der
ihn aber schwerlich selbst auch auf den eines guten Politikers erheben wird,
und die ganze Sache ist nichts mehr als eine Uebung am Phantom; aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/460>, abgerufen am 04.05.2024.