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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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braucht und nicht leicht Jahre lang auf einen zu erzielenden Gewinn
warten kann. Wenn das Geschäft überhaupt eine Erhöhung der Löhne ver¬
tragen kann, oder richtiger, wenn eine solche im geschäftlichen, stets beider¬
seitigen Interesse vortheilhaft ist-?- so warte man nicht Jahr und Tag mit der
Auszahlung der Summe, sondern gewähre sie pro liatg. des ordinären Lohnes.

Doch wir wollten nur zur Vorsicht ernähren, nicht unsere Ansichten
als Dogmen aufstellen. Die Praxis wird lehren, wer Recht hat. diese wird
auch in Deutschland versucht werden, denn auch in unserem Vaterland mehren
sich in Folge der internationalen Arbeiter-Association die Arbeitseinstellungen
allenthalben und drängen immer mehr auf den Versuch hin.




, Wenn man um die Zeit der Abenddämmerung im blauen Stern zu
Königgrätz und zwar in der gewölbten Vorderstube sitzt, deren Wände mit
so viel verschiedenen und feinen Wurstgattungen als der Kaiserstaat Natio¬
nalitäten zählt verziert sind, so muß man oft über Alt- und Neuöstreich ein
wenig nachdenken. Neuöstreich ist ein Kraft- und Zauberwort, womit Fest¬
redner und Zeitungsschreiber sich fleißig zu erinnern suchen, daß sie nicht
träumen, sondern der Herrschaft Metternich's und Schwarzenberg's und
Bach's und Cardinal Rauscher's wirklich entronnen sind. "Altöstreich ist
todt, Neuöstreich ist erstanden!" läutet es früh und spät in den wiener Leit¬
artikeln. -- Sitzt man lange genug, um ein Seidel Bier oder Wein gemäch¬
lich auszuschlürfen, so treten währenddem zehn, zwölf "Burschen" d. h. Fou-
rierschützen oder Offiziersdiener nach einander herein, um ein bescheidenes
Abendbrot, gewöhnlich auf Borg bis zum Ersten, für ihre Herren zu holen.
Plötzlich entsteht ein Geschrei, als wäre ein Racenkrieg ausgebrochen. Was
fehlt der dicken Frau hinter dem Schenktisch? Sie schnappt mit halboffenem
Munde nach Luft, ihre blassen fetten Wangen beben sichtlich vor Zorn und
mit dem langen Küchenmesser gen Himmel drohend scheint sie eine Medea
oder Wlasta, von Meisterhand in Speck gehauen. Die Sache ist, sie versteht
so wenig von der Sprache Arpad's wie der Bursche vor dem Tisch von einer
anderen, und ihr Bruder, der Wirth, der als Geselle in Pesth einige magya¬
rische Brocken erworben hat, ist in Geschäften verreist. Der Bursche also
begleitet jedes Wort zur näheren Erklärung mit einem starken "Bossomo"
und stampft dazu kräftig aus den Boden; und "Nix Bossomo -- Sakra-
menski" schreit jedesmal die schrille Stimme der Amazone zurück. Endlich
hat der Soldat unverrichteter Dinge das Feld geräumt, aber noch kocht es


braucht und nicht leicht Jahre lang auf einen zu erzielenden Gewinn
warten kann. Wenn das Geschäft überhaupt eine Erhöhung der Löhne ver¬
tragen kann, oder richtiger, wenn eine solche im geschäftlichen, stets beider¬
seitigen Interesse vortheilhaft ist-?- so warte man nicht Jahr und Tag mit der
Auszahlung der Summe, sondern gewähre sie pro liatg. des ordinären Lohnes.

Doch wir wollten nur zur Vorsicht ernähren, nicht unsere Ansichten
als Dogmen aufstellen. Die Praxis wird lehren, wer Recht hat. diese wird
auch in Deutschland versucht werden, denn auch in unserem Vaterland mehren
sich in Folge der internationalen Arbeiter-Association die Arbeitseinstellungen
allenthalben und drängen immer mehr auf den Versuch hin.




, Wenn man um die Zeit der Abenddämmerung im blauen Stern zu
Königgrätz und zwar in der gewölbten Vorderstube sitzt, deren Wände mit
so viel verschiedenen und feinen Wurstgattungen als der Kaiserstaat Natio¬
nalitäten zählt verziert sind, so muß man oft über Alt- und Neuöstreich ein
wenig nachdenken. Neuöstreich ist ein Kraft- und Zauberwort, womit Fest¬
redner und Zeitungsschreiber sich fleißig zu erinnern suchen, daß sie nicht
träumen, sondern der Herrschaft Metternich's und Schwarzenberg's und
Bach's und Cardinal Rauscher's wirklich entronnen sind. „Altöstreich ist
todt, Neuöstreich ist erstanden!" läutet es früh und spät in den wiener Leit¬
artikeln. — Sitzt man lange genug, um ein Seidel Bier oder Wein gemäch¬
lich auszuschlürfen, so treten währenddem zehn, zwölf „Burschen" d. h. Fou-
rierschützen oder Offiziersdiener nach einander herein, um ein bescheidenes
Abendbrot, gewöhnlich auf Borg bis zum Ersten, für ihre Herren zu holen.
Plötzlich entsteht ein Geschrei, als wäre ein Racenkrieg ausgebrochen. Was
fehlt der dicken Frau hinter dem Schenktisch? Sie schnappt mit halboffenem
Munde nach Luft, ihre blassen fetten Wangen beben sichtlich vor Zorn und
mit dem langen Küchenmesser gen Himmel drohend scheint sie eine Medea
oder Wlasta, von Meisterhand in Speck gehauen. Die Sache ist, sie versteht
so wenig von der Sprache Arpad's wie der Bursche vor dem Tisch von einer
anderen, und ihr Bruder, der Wirth, der als Geselle in Pesth einige magya¬
rische Brocken erworben hat, ist in Geschäften verreist. Der Bursche also
begleitet jedes Wort zur näheren Erklärung mit einem starken „Bossomo"
und stampft dazu kräftig aus den Boden; und „Nix Bossomo — Sakra-
menski" schreit jedesmal die schrille Stimme der Amazone zurück. Endlich
hat der Soldat unverrichteter Dinge das Feld geräumt, aber noch kocht es


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[0508] braucht und nicht leicht Jahre lang auf einen zu erzielenden Gewinn warten kann. Wenn das Geschäft überhaupt eine Erhöhung der Löhne ver¬ tragen kann, oder richtiger, wenn eine solche im geschäftlichen, stets beider¬ seitigen Interesse vortheilhaft ist-?- so warte man nicht Jahr und Tag mit der Auszahlung der Summe, sondern gewähre sie pro liatg. des ordinären Lohnes. Doch wir wollten nur zur Vorsicht ernähren, nicht unsere Ansichten als Dogmen aufstellen. Die Praxis wird lehren, wer Recht hat. diese wird auch in Deutschland versucht werden, denn auch in unserem Vaterland mehren sich in Folge der internationalen Arbeiter-Association die Arbeitseinstellungen allenthalben und drängen immer mehr auf den Versuch hin. , Wenn man um die Zeit der Abenddämmerung im blauen Stern zu Königgrätz und zwar in der gewölbten Vorderstube sitzt, deren Wände mit so viel verschiedenen und feinen Wurstgattungen als der Kaiserstaat Natio¬ nalitäten zählt verziert sind, so muß man oft über Alt- und Neuöstreich ein wenig nachdenken. Neuöstreich ist ein Kraft- und Zauberwort, womit Fest¬ redner und Zeitungsschreiber sich fleißig zu erinnern suchen, daß sie nicht träumen, sondern der Herrschaft Metternich's und Schwarzenberg's und Bach's und Cardinal Rauscher's wirklich entronnen sind. „Altöstreich ist todt, Neuöstreich ist erstanden!" läutet es früh und spät in den wiener Leit¬ artikeln. — Sitzt man lange genug, um ein Seidel Bier oder Wein gemäch¬ lich auszuschlürfen, so treten währenddem zehn, zwölf „Burschen" d. h. Fou- rierschützen oder Offiziersdiener nach einander herein, um ein bescheidenes Abendbrot, gewöhnlich auf Borg bis zum Ersten, für ihre Herren zu holen. Plötzlich entsteht ein Geschrei, als wäre ein Racenkrieg ausgebrochen. Was fehlt der dicken Frau hinter dem Schenktisch? Sie schnappt mit halboffenem Munde nach Luft, ihre blassen fetten Wangen beben sichtlich vor Zorn und mit dem langen Küchenmesser gen Himmel drohend scheint sie eine Medea oder Wlasta, von Meisterhand in Speck gehauen. Die Sache ist, sie versteht so wenig von der Sprache Arpad's wie der Bursche vor dem Tisch von einer anderen, und ihr Bruder, der Wirth, der als Geselle in Pesth einige magya¬ rische Brocken erworben hat, ist in Geschäften verreist. Der Bursche also begleitet jedes Wort zur näheren Erklärung mit einem starken „Bossomo" und stampft dazu kräftig aus den Boden; und „Nix Bossomo — Sakra- menski" schreit jedesmal die schrille Stimme der Amazone zurück. Endlich hat der Soldat unverrichteter Dinge das Feld geräumt, aber noch kocht es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/508>, abgerufen am 04.05.2024.