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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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der Czechen werden jetzt tausende von czechischen Agitatoren erzogen, welche
in der Zukunft die Stellung Böhmens zum Kaiserstaat zu bestimmen haben.
Die Toleranz der kaiserlichen Negierung gegen dergleichen Entfremdung ihrer
Staatsbürger gleicht der Sorglosigkeit eines Landmanns, der seine Kinder
mit Streichhölzern um das Dach seiner Scheuer spielen läßt. Aber nicht
die Regierung allein, auch die Deutschen des Reichstages und der Presse
laden schwere Schuld auf sich, wenn sie in dieser Frage säumig sind; ihre
Aufgabe ist es, die Regierung, soweit für diese pädagogische Aenderung Acte
der Gesetzgebung nöthig sind, zu unterstützen und die Agitation dafür zu be¬
treiben. Es gibt große Culturinteressen, vor denen eine Regierung den Wider¬
spruch einzelner Landschaften, den aufbrennenden Haß der Verletzten und die
politische Verantwortung ungern auf sich nimmt, und in Oestreich ist diese
Scheu jetzt aus vielen Gründen besonders fühlbar. Um so mehr ist es
Pflicht der deutschen Bevölkerung, der Regierung beizustehen. Für den öst¬
reichischen Kaiserstaat steht aber die Sache so. Noch ist die ezechische Frage
ein Strohfeuer, welches in ungeschickten Händen hin und her flackert. Tilge
man diese Flamme nicht, so wird sie in der nächsten Generation ein Brand,
der Gedeihen und Bestand des Staates in Frage stellt. Und dann wird der
deutsche Norden um seiner Selbsterhaltung willen das Schadenfeuer zu löschen
haben. Unter uns ist nirgend Hoffnung und Wunsch auf solche Arbeit; aber
die Oestreicher können der wärmsten Sympathie und jeder Förderung durch
Deutschland sicher sein, wenn sie ernsthaft das Ihre thun, von der Zukunft
ihres Staates eine große Gefahr abzuwehren.




Aus den Memoiren eines russischen BeKabristcn:
II. Untersuchungshaft und Verhör.

Am Morgen des Is. December wurde ich, wie bereits erwähnt, verhaftet.
Der Regimentsadjutant war nach mir gesandt worden; mit ihm su'hr ich
nach kurzem Abschied von meiner Frau (ich war erst acht Monate lang
verheirathet) zum Regimentscommandeur, wo ich alle Offiziere unseres
Regiments versammelt fand. Der General fragte: "Wer von Ihnen, meine
Herren, wünscht den verhafteten Baron R. zum Commandanten zu geleiten?"
Niemand erbot sich dazu. Hieraus wandte der General sich zum Dejour-
offizier Capitän D. A. Tulubjew und befahl ihm, mich in seinem Wagen in
die Kommandantur zu geleiten. In der Canzlei des Commandanten nahm
man mir den Degen ab und führte mich auf die im Winterpalais befindliche
Hauptwache, wo ein Bataillon unseres Regiments die Wachehielt. Ich bat


der Czechen werden jetzt tausende von czechischen Agitatoren erzogen, welche
in der Zukunft die Stellung Böhmens zum Kaiserstaat zu bestimmen haben.
Die Toleranz der kaiserlichen Negierung gegen dergleichen Entfremdung ihrer
Staatsbürger gleicht der Sorglosigkeit eines Landmanns, der seine Kinder
mit Streichhölzern um das Dach seiner Scheuer spielen läßt. Aber nicht
die Regierung allein, auch die Deutschen des Reichstages und der Presse
laden schwere Schuld auf sich, wenn sie in dieser Frage säumig sind; ihre
Aufgabe ist es, die Regierung, soweit für diese pädagogische Aenderung Acte
der Gesetzgebung nöthig sind, zu unterstützen und die Agitation dafür zu be¬
treiben. Es gibt große Culturinteressen, vor denen eine Regierung den Wider¬
spruch einzelner Landschaften, den aufbrennenden Haß der Verletzten und die
politische Verantwortung ungern auf sich nimmt, und in Oestreich ist diese
Scheu jetzt aus vielen Gründen besonders fühlbar. Um so mehr ist es
Pflicht der deutschen Bevölkerung, der Regierung beizustehen. Für den öst¬
reichischen Kaiserstaat steht aber die Sache so. Noch ist die ezechische Frage
ein Strohfeuer, welches in ungeschickten Händen hin und her flackert. Tilge
man diese Flamme nicht, so wird sie in der nächsten Generation ein Brand,
der Gedeihen und Bestand des Staates in Frage stellt. Und dann wird der
deutsche Norden um seiner Selbsterhaltung willen das Schadenfeuer zu löschen
haben. Unter uns ist nirgend Hoffnung und Wunsch auf solche Arbeit; aber
die Oestreicher können der wärmsten Sympathie und jeder Förderung durch
Deutschland sicher sein, wenn sie ernsthaft das Ihre thun, von der Zukunft
ihres Staates eine große Gefahr abzuwehren.




Aus den Memoiren eines russischen BeKabristcn:
II. Untersuchungshaft und Verhör.

Am Morgen des Is. December wurde ich, wie bereits erwähnt, verhaftet.
Der Regimentsadjutant war nach mir gesandt worden; mit ihm su'hr ich
nach kurzem Abschied von meiner Frau (ich war erst acht Monate lang
verheirathet) zum Regimentscommandeur, wo ich alle Offiziere unseres
Regiments versammelt fand. Der General fragte: „Wer von Ihnen, meine
Herren, wünscht den verhafteten Baron R. zum Commandanten zu geleiten?"
Niemand erbot sich dazu. Hieraus wandte der General sich zum Dejour-
offizier Capitän D. A. Tulubjew und befahl ihm, mich in seinem Wagen in
die Kommandantur zu geleiten. In der Canzlei des Commandanten nahm
man mir den Degen ab und führte mich auf die im Winterpalais befindliche
Hauptwache, wo ein Bataillon unseres Regiments die Wachehielt. Ich bat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/150>, abgerufen am 02.05.2024.