Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bratenem Fleisch. Lieblicher Wein werden wir trinken und ein gutes Leben
führen."

Auch Trost bei verschmähter Liebe und Heilmittel der Liebe sind ihm diese
materiellen Genüsse. Das sehen wir in einem interessanten "Jeuparti" mit ssaikss
ä'^,miöU8, dem Verfasser einer Kunst zu lieben (nach Ovid) die neuerdings
gemeinsam mit einem ihm ebenfalls, aber irrig, zugeschriebenen Heilmittel
der Liebe von Körting herausgegeben ist. Jaikes d'Amiens beklagt sich
über unerwiderte Liebe. Colin sucht ihm durch alle möglichen Mittel von
der Liebe überhaupt abzurathen und schiltet ihm die Schlechtigkeiten der
Weiber. "Es ist ein alter Gebrauch bei ihnen, sie lieben Keinen, der nicht
den Säckel gut gefüllt hat." Als er sieht, daß er den Liebesritter doch nicht
bekehren kann, erklärt er sich zu fetten Kapaunen, leckeren Torten und
gutem Weine zurückziehen zu wollen, er habe seine Liebe den guten Bissen
zugewendet und einem großen Feuer bei dieser Kälte. -- Er fordert den
Jaikes auf seinem Beispiele zu folgen, dann werde er ein gutes Leben
führen. Jaikes jedoch erwiedert ihm: "Suche Du gemüthliche Ruhe in
Deinem Hause, Colin, ich werde Scherz und Lustbarkeit der Liebe suchen,
denn ich kann ihrer nicht entrathen!"

So lernen wir einen Dichter kennen, der an sorgloser Heiterkeit des Ge>
müths und an dichterischer Leichtigkeit mit den besten seines Volkes aus
späterer Zeit wetteifern dürfte. Unter den lyrischen Schöpfungen des drei¬
zehnten Jahrhunderts aber, unter der Masse der sich leicht in todten Formen
und ewigen Wiederholungen bewegenden Kunstdichtungen muß solche Natur-
frische als wahre Oase begrüßt werden.




Aus den Memoiren eines russischen BeKabristen:
III. Beurtheilung und Execution.

Vorbemerkung. Bevor wir unsern Memoirenschreiber über seine fer¬
neren Erlebnisse berichten lassen, scheint uns angemessen, über die merkwürdige
Episode russischer Geschichte, welche zu diesen Aufzeichnungen Veranlassung ge¬
geben, einige Erläuterungen nachzutragen.

Ueber den Verfasser und dessen Erlebnisse brauchen wir Nichts zu be¬
merken. Die schlichte, allenthalben das Gepräge strengster Wahrheitsliebe
tragende Art der Darstellung kennzeichnet den Ehrenmann, der das Ge¬
schick, in welches er sich verflochten, mit Muth und Würde trägt. Unerklärt


bratenem Fleisch. Lieblicher Wein werden wir trinken und ein gutes Leben
führen."

Auch Trost bei verschmähter Liebe und Heilmittel der Liebe sind ihm diese
materiellen Genüsse. Das sehen wir in einem interessanten „Jeuparti" mit ssaikss
ä'^,miöU8, dem Verfasser einer Kunst zu lieben (nach Ovid) die neuerdings
gemeinsam mit einem ihm ebenfalls, aber irrig, zugeschriebenen Heilmittel
der Liebe von Körting herausgegeben ist. Jaikes d'Amiens beklagt sich
über unerwiderte Liebe. Colin sucht ihm durch alle möglichen Mittel von
der Liebe überhaupt abzurathen und schiltet ihm die Schlechtigkeiten der
Weiber. „Es ist ein alter Gebrauch bei ihnen, sie lieben Keinen, der nicht
den Säckel gut gefüllt hat." Als er sieht, daß er den Liebesritter doch nicht
bekehren kann, erklärt er sich zu fetten Kapaunen, leckeren Torten und
gutem Weine zurückziehen zu wollen, er habe seine Liebe den guten Bissen
zugewendet und einem großen Feuer bei dieser Kälte. — Er fordert den
Jaikes auf seinem Beispiele zu folgen, dann werde er ein gutes Leben
führen. Jaikes jedoch erwiedert ihm: „Suche Du gemüthliche Ruhe in
Deinem Hause, Colin, ich werde Scherz und Lustbarkeit der Liebe suchen,
denn ich kann ihrer nicht entrathen!"

So lernen wir einen Dichter kennen, der an sorgloser Heiterkeit des Ge>
müths und an dichterischer Leichtigkeit mit den besten seines Volkes aus
späterer Zeit wetteifern dürfte. Unter den lyrischen Schöpfungen des drei¬
zehnten Jahrhunderts aber, unter der Masse der sich leicht in todten Formen
und ewigen Wiederholungen bewegenden Kunstdichtungen muß solche Natur-
frische als wahre Oase begrüßt werden.




Aus den Memoiren eines russischen BeKabristen:
III. Beurtheilung und Execution.

Vorbemerkung. Bevor wir unsern Memoirenschreiber über seine fer¬
neren Erlebnisse berichten lassen, scheint uns angemessen, über die merkwürdige
Episode russischer Geschichte, welche zu diesen Aufzeichnungen Veranlassung ge¬
geben, einige Erläuterungen nachzutragen.

Ueber den Verfasser und dessen Erlebnisse brauchen wir Nichts zu be¬
merken. Die schlichte, allenthalben das Gepräge strengster Wahrheitsliebe
tragende Art der Darstellung kennzeichnet den Ehrenmann, der das Ge¬
schick, in welches er sich verflochten, mit Muth und Würde trägt. Unerklärt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287458"/>
          <p xml:id="ID_479" prev="#ID_478"> bratenem Fleisch. Lieblicher Wein werden wir trinken und ein gutes Leben<lb/>
führen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_480"> Auch Trost bei verschmähter Liebe und Heilmittel der Liebe sind ihm diese<lb/>
materiellen Genüsse. Das sehen wir in einem interessanten &#x201E;Jeuparti" mit ssaikss<lb/>
ä'^,miöU8, dem Verfasser einer Kunst zu lieben (nach Ovid) die neuerdings<lb/>
gemeinsam mit einem ihm ebenfalls, aber irrig, zugeschriebenen Heilmittel<lb/>
der Liebe von Körting herausgegeben ist. Jaikes d'Amiens beklagt sich<lb/>
über unerwiderte Liebe. Colin sucht ihm durch alle möglichen Mittel von<lb/>
der Liebe überhaupt abzurathen und schiltet ihm die Schlechtigkeiten der<lb/>
Weiber. &#x201E;Es ist ein alter Gebrauch bei ihnen, sie lieben Keinen, der nicht<lb/>
den Säckel gut gefüllt hat." Als er sieht, daß er den Liebesritter doch nicht<lb/>
bekehren kann, erklärt er sich zu fetten Kapaunen, leckeren Torten und<lb/>
gutem Weine zurückziehen zu wollen, er habe seine Liebe den guten Bissen<lb/>
zugewendet und einem großen Feuer bei dieser Kälte. &#x2014; Er fordert den<lb/>
Jaikes auf seinem Beispiele zu folgen, dann werde er ein gutes Leben<lb/>
führen. Jaikes jedoch erwiedert ihm: &#x201E;Suche Du gemüthliche Ruhe in<lb/>
Deinem Hause, Colin, ich werde Scherz und Lustbarkeit der Liebe suchen,<lb/>
denn ich kann ihrer nicht entrathen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_481"> So lernen wir einen Dichter kennen, der an sorgloser Heiterkeit des Ge&gt;<lb/>
müths und an dichterischer Leichtigkeit mit den besten seines Volkes aus<lb/>
späterer Zeit wetteifern dürfte. Unter den lyrischen Schöpfungen des drei¬<lb/>
zehnten Jahrhunderts aber, unter der Masse der sich leicht in todten Formen<lb/>
und ewigen Wiederholungen bewegenden Kunstdichtungen muß solche Natur-<lb/>
frische als wahre Oase begrüßt werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus den Memoiren eines russischen BeKabristen:</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> III. Beurtheilung und Execution.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_482"> Vorbemerkung. Bevor wir unsern Memoirenschreiber über seine fer¬<lb/>
neren Erlebnisse berichten lassen, scheint uns angemessen, über die merkwürdige<lb/>
Episode russischer Geschichte, welche zu diesen Aufzeichnungen Veranlassung ge¬<lb/>
geben, einige Erläuterungen nachzutragen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_483" next="#ID_484"> Ueber den Verfasser und dessen Erlebnisse brauchen wir Nichts zu be¬<lb/>
merken. Die schlichte, allenthalben das Gepräge strengster Wahrheitsliebe<lb/>
tragende Art der Darstellung kennzeichnet den Ehrenmann, der das Ge¬<lb/>
schick, in welches er sich verflochten, mit Muth und Würde trägt. Unerklärt</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] bratenem Fleisch. Lieblicher Wein werden wir trinken und ein gutes Leben führen." Auch Trost bei verschmähter Liebe und Heilmittel der Liebe sind ihm diese materiellen Genüsse. Das sehen wir in einem interessanten „Jeuparti" mit ssaikss ä'^,miöU8, dem Verfasser einer Kunst zu lieben (nach Ovid) die neuerdings gemeinsam mit einem ihm ebenfalls, aber irrig, zugeschriebenen Heilmittel der Liebe von Körting herausgegeben ist. Jaikes d'Amiens beklagt sich über unerwiderte Liebe. Colin sucht ihm durch alle möglichen Mittel von der Liebe überhaupt abzurathen und schiltet ihm die Schlechtigkeiten der Weiber. „Es ist ein alter Gebrauch bei ihnen, sie lieben Keinen, der nicht den Säckel gut gefüllt hat." Als er sieht, daß er den Liebesritter doch nicht bekehren kann, erklärt er sich zu fetten Kapaunen, leckeren Torten und gutem Weine zurückziehen zu wollen, er habe seine Liebe den guten Bissen zugewendet und einem großen Feuer bei dieser Kälte. — Er fordert den Jaikes auf seinem Beispiele zu folgen, dann werde er ein gutes Leben führen. Jaikes jedoch erwiedert ihm: „Suche Du gemüthliche Ruhe in Deinem Hause, Colin, ich werde Scherz und Lustbarkeit der Liebe suchen, denn ich kann ihrer nicht entrathen!" So lernen wir einen Dichter kennen, der an sorgloser Heiterkeit des Ge> müths und an dichterischer Leichtigkeit mit den besten seines Volkes aus späterer Zeit wetteifern dürfte. Unter den lyrischen Schöpfungen des drei¬ zehnten Jahrhunderts aber, unter der Masse der sich leicht in todten Formen und ewigen Wiederholungen bewegenden Kunstdichtungen muß solche Natur- frische als wahre Oase begrüßt werden. Aus den Memoiren eines russischen BeKabristen: III. Beurtheilung und Execution. Vorbemerkung. Bevor wir unsern Memoirenschreiber über seine fer¬ neren Erlebnisse berichten lassen, scheint uns angemessen, über die merkwürdige Episode russischer Geschichte, welche zu diesen Aufzeichnungen Veranlassung ge¬ geben, einige Erläuterungen nachzutragen. Ueber den Verfasser und dessen Erlebnisse brauchen wir Nichts zu be¬ merken. Die schlichte, allenthalben das Gepräge strengster Wahrheitsliebe tragende Art der Darstellung kennzeichnet den Ehrenmann, der das Ge¬ schick, in welches er sich verflochten, mit Muth und Würde trägt. Unerklärt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/186>, abgerufen am 03.05.2024.