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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Englands auswärtige Politik.

Das Abkommen, welches die zwischen England und Amerika schweben¬
den Differenzen einem schiedsrichterlichen Austrag zuweist, ist der Regierungs¬
presse ein neuer Anlaß geworden, die Verdienste Lord Stanley's zu feiern,
und Disraeli hat demselben beim Lordmajorsbankett sogar ins Blaue hinein
die Aufgabe zugewiesen, zwischen Frankreich und Preußen zu vermitteln, was
der Minister des Auswärtigen selbst gleich darauf in seiner Wahlrede in-
direct ablehnte, indem er erklärte, daß die luxemburger Frage ein Aus¬
nahmsfall gewesen; England dürfe principiell keine Jnterventionspolitik be¬
folgen, seine Lage als Inselreich erfordere eine isolirte Politik.

Wir wollen die Verdienste des Ministers nicht verkleinern, aber dem
übermäßigen Lobe gegenüber scheint es doch an der Zeit, sie aus ihr richtiges
Maß zurückzuführen. Es ist eine alte Erfahrung, daß, wenn man sich auf
der einen Seite wund gelegen hat, als eine große Erleichterung erscheint,
wenn man sich auf die andere wenden kann; so ging es den Engländern
mit ihrer auswärtigen Politik. Das würdelose Verfahren Lord Russell's,
welcher sich in alle Verhältnisse mischte, überall unaufgefordert guten Rath
gab, eventuell drohte und sich dann mit der Faust in der Tasche zurückzog,
hatte die große Mehrheit der Nation mit Unwillen erfüllt; sie war froh, als
dies System zu Ende ging und in Stanley ein Mann ins auswärtige Amt
kam, welcher sich nicht unnöthig um Angelegenheiten Anderer kümmerte und
sich daraus beschränkte, die eigene laufende Politik geschäftsmäßig zu besorgen.
Dies hat der gegenwärtige Minister in anerkennenswerther Weise gethan: er
hat die Tornadofrage mit Spanien erledigt und hat soeben mit dem ameri¬
kanischen Gesandten eine Vereinbarung getroffen, welche die schlimme Diffe¬
renz über die Alabama aller Wahrscheinlichkeit nach beseitigen wird. Das
ist gewiß verdienstlich, aber das ist auch alles, was Lord Stanley gethan;
in allgemeinen Fragen hat er keine Proben einer eigenen positiven Politik
gegeben. Diese Behauptung mag Manchem im Hinblick auf die luxemburger
Conferenz auffallend erscheinen, aber die Bedeutung seines Eingreifens ist


Grenzboten IV. 1868. 41
Englands auswärtige Politik.

Das Abkommen, welches die zwischen England und Amerika schweben¬
den Differenzen einem schiedsrichterlichen Austrag zuweist, ist der Regierungs¬
presse ein neuer Anlaß geworden, die Verdienste Lord Stanley's zu feiern,
und Disraeli hat demselben beim Lordmajorsbankett sogar ins Blaue hinein
die Aufgabe zugewiesen, zwischen Frankreich und Preußen zu vermitteln, was
der Minister des Auswärtigen selbst gleich darauf in seiner Wahlrede in-
direct ablehnte, indem er erklärte, daß die luxemburger Frage ein Aus¬
nahmsfall gewesen; England dürfe principiell keine Jnterventionspolitik be¬
folgen, seine Lage als Inselreich erfordere eine isolirte Politik.

Wir wollen die Verdienste des Ministers nicht verkleinern, aber dem
übermäßigen Lobe gegenüber scheint es doch an der Zeit, sie aus ihr richtiges
Maß zurückzuführen. Es ist eine alte Erfahrung, daß, wenn man sich auf
der einen Seite wund gelegen hat, als eine große Erleichterung erscheint,
wenn man sich auf die andere wenden kann; so ging es den Engländern
mit ihrer auswärtigen Politik. Das würdelose Verfahren Lord Russell's,
welcher sich in alle Verhältnisse mischte, überall unaufgefordert guten Rath
gab, eventuell drohte und sich dann mit der Faust in der Tasche zurückzog,
hatte die große Mehrheit der Nation mit Unwillen erfüllt; sie war froh, als
dies System zu Ende ging und in Stanley ein Mann ins auswärtige Amt
kam, welcher sich nicht unnöthig um Angelegenheiten Anderer kümmerte und
sich daraus beschränkte, die eigene laufende Politik geschäftsmäßig zu besorgen.
Dies hat der gegenwärtige Minister in anerkennenswerther Weise gethan: er
hat die Tornadofrage mit Spanien erledigt und hat soeben mit dem ameri¬
kanischen Gesandten eine Vereinbarung getroffen, welche die schlimme Diffe¬
renz über die Alabama aller Wahrscheinlichkeit nach beseitigen wird. Das
ist gewiß verdienstlich, aber das ist auch alles, was Lord Stanley gethan;
in allgemeinen Fragen hat er keine Proben einer eigenen positiven Politik
gegeben. Diese Behauptung mag Manchem im Hinblick auf die luxemburger
Conferenz auffallend erscheinen, aber die Bedeutung seines Eingreifens ist


Grenzboten IV. 1868. 41
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[0347] Englands auswärtige Politik. Das Abkommen, welches die zwischen England und Amerika schweben¬ den Differenzen einem schiedsrichterlichen Austrag zuweist, ist der Regierungs¬ presse ein neuer Anlaß geworden, die Verdienste Lord Stanley's zu feiern, und Disraeli hat demselben beim Lordmajorsbankett sogar ins Blaue hinein die Aufgabe zugewiesen, zwischen Frankreich und Preußen zu vermitteln, was der Minister des Auswärtigen selbst gleich darauf in seiner Wahlrede in- direct ablehnte, indem er erklärte, daß die luxemburger Frage ein Aus¬ nahmsfall gewesen; England dürfe principiell keine Jnterventionspolitik be¬ folgen, seine Lage als Inselreich erfordere eine isolirte Politik. Wir wollen die Verdienste des Ministers nicht verkleinern, aber dem übermäßigen Lobe gegenüber scheint es doch an der Zeit, sie aus ihr richtiges Maß zurückzuführen. Es ist eine alte Erfahrung, daß, wenn man sich auf der einen Seite wund gelegen hat, als eine große Erleichterung erscheint, wenn man sich auf die andere wenden kann; so ging es den Engländern mit ihrer auswärtigen Politik. Das würdelose Verfahren Lord Russell's, welcher sich in alle Verhältnisse mischte, überall unaufgefordert guten Rath gab, eventuell drohte und sich dann mit der Faust in der Tasche zurückzog, hatte die große Mehrheit der Nation mit Unwillen erfüllt; sie war froh, als dies System zu Ende ging und in Stanley ein Mann ins auswärtige Amt kam, welcher sich nicht unnöthig um Angelegenheiten Anderer kümmerte und sich daraus beschränkte, die eigene laufende Politik geschäftsmäßig zu besorgen. Dies hat der gegenwärtige Minister in anerkennenswerther Weise gethan: er hat die Tornadofrage mit Spanien erledigt und hat soeben mit dem ameri¬ kanischen Gesandten eine Vereinbarung getroffen, welche die schlimme Diffe¬ renz über die Alabama aller Wahrscheinlichkeit nach beseitigen wird. Das ist gewiß verdienstlich, aber das ist auch alles, was Lord Stanley gethan; in allgemeinen Fragen hat er keine Proben einer eigenen positiven Politik gegeben. Diese Behauptung mag Manchem im Hinblick auf die luxemburger Conferenz auffallend erscheinen, aber die Bedeutung seines Eingreifens ist Grenzboten IV. 1868. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/347>, abgerufen am 02.05.2024.