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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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mente dazu sind vorhanden: allgemeines Stimmrecht durch Priester geleitet,
eine zahlreiche unzufriedene Bureaukratie und ein ehrgeiziger General an der
Spitze einer Armee, die bei der Errichtung eines freiheitlichen Staats nur
verlieren könnte. Wenn ihr die Entscheidung zufällt, so würde wahrscheinlich
Spanien bald der Reihe jener Staaten angehören, welche die Freiheit zu
schwer und theuer fanden und sich deshalb dem Cäsarismus in die Arme
warfen. Das Wahlmanifest sagt: "die Monarchie dynastischen Ursprungs ist
für immer todt in Spanien, die welche wir poliren wollen, ist die Mo¬
narchie welche aus dem Volksrecht entspringt, durch das allgemeine Stimm¬
recht geheiligt wird, welche die Souveränetät der Nation symbolisirt, alle
öffentlichen Freiheiten consolidirt, die Rechte des Bürgers personificirt, Rechte
welche über allen Institutionen und Gewalten stehen. Es ist die Monarchie,
welche radical das göttliche Recht vernichtet und mit diesem die Suprematie
einer Familie über die Nation, die von demokratischen Institutionen um¬
gebene, die volksthümliche Monarchie." Danach scheint es schon sehr zweifel¬
haft, ob man die Erblichkeit des Königthums erhalten will, und wenn nicht,
so handelt es sich ja eben nur um einen Präsidenten. Mit ähnlichen hoch¬
tönenden Reden zeichneten auch 1790 die Redner der französischen Revolution
ihre Ziele und errichteten auf dem nivellirten Boden eine Verfassung, welche
der erste Sturm wie ein Kartenhaus umwarf. Wir werden sehen, ob in
Spanien heute ähnliche Anläufe andere Resultate ergeben werden.




Aus den Memoiren eines russischen Dekabristen:
VI. Die Uebersiedelung nach Petrowsk.

In Tschita verlebten wir drei Jahre und sieben Monate. Dieses provisorische
Gefängnißleben war von längerer Dauer, weil der Bau des uns definitiv
bestimmten unweit der Stadt Werchne - Udinsk bei der Petrowky'schen Eisen¬
fabrik belegenen Gefängnisses erst im Jahre, unserer Ankunft in Tschita ge¬
plant und durch einen eigens dazu delegirten Jngenieur-Stabsofficier sammt
Gehilfen angelegt worden war. Dieses neue, sehr geräumige Gebäude war
im Sommer 1830 vollendet worden und unser Commandant erhielt um die¬
selbe Zeit Befehl uns dahin zu bringen. Unsere Vorbereitungen waren schnell
gemacht: die Mantelsäcke wurden gepackt, unsere Gemüse sammt Gärten und
unsere hölzernen Geschirre den Einwohnern Tschita's geschenkt. Wir mußten
in zwei Abtheilungen marschiren, weil allenthalben unterwegs nur sehr dürf-


mente dazu sind vorhanden: allgemeines Stimmrecht durch Priester geleitet,
eine zahlreiche unzufriedene Bureaukratie und ein ehrgeiziger General an der
Spitze einer Armee, die bei der Errichtung eines freiheitlichen Staats nur
verlieren könnte. Wenn ihr die Entscheidung zufällt, so würde wahrscheinlich
Spanien bald der Reihe jener Staaten angehören, welche die Freiheit zu
schwer und theuer fanden und sich deshalb dem Cäsarismus in die Arme
warfen. Das Wahlmanifest sagt: „die Monarchie dynastischen Ursprungs ist
für immer todt in Spanien, die welche wir poliren wollen, ist die Mo¬
narchie welche aus dem Volksrecht entspringt, durch das allgemeine Stimm¬
recht geheiligt wird, welche die Souveränetät der Nation symbolisirt, alle
öffentlichen Freiheiten consolidirt, die Rechte des Bürgers personificirt, Rechte
welche über allen Institutionen und Gewalten stehen. Es ist die Monarchie,
welche radical das göttliche Recht vernichtet und mit diesem die Suprematie
einer Familie über die Nation, die von demokratischen Institutionen um¬
gebene, die volksthümliche Monarchie." Danach scheint es schon sehr zweifel¬
haft, ob man die Erblichkeit des Königthums erhalten will, und wenn nicht,
so handelt es sich ja eben nur um einen Präsidenten. Mit ähnlichen hoch¬
tönenden Reden zeichneten auch 1790 die Redner der französischen Revolution
ihre Ziele und errichteten auf dem nivellirten Boden eine Verfassung, welche
der erste Sturm wie ein Kartenhaus umwarf. Wir werden sehen, ob in
Spanien heute ähnliche Anläufe andere Resultate ergeben werden.




Aus den Memoiren eines russischen Dekabristen:
VI. Die Uebersiedelung nach Petrowsk.

In Tschita verlebten wir drei Jahre und sieben Monate. Dieses provisorische
Gefängnißleben war von längerer Dauer, weil der Bau des uns definitiv
bestimmten unweit der Stadt Werchne - Udinsk bei der Petrowky'schen Eisen¬
fabrik belegenen Gefängnisses erst im Jahre, unserer Ankunft in Tschita ge¬
plant und durch einen eigens dazu delegirten Jngenieur-Stabsofficier sammt
Gehilfen angelegt worden war. Dieses neue, sehr geräumige Gebäude war
im Sommer 1830 vollendet worden und unser Commandant erhielt um die¬
selbe Zeit Befehl uns dahin zu bringen. Unsere Vorbereitungen waren schnell
gemacht: die Mantelsäcke wurden gepackt, unsere Gemüse sammt Gärten und
unsere hölzernen Geschirre den Einwohnern Tschita's geschenkt. Wir mußten
in zwei Abtheilungen marschiren, weil allenthalben unterwegs nur sehr dürf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/367>, abgerufen am 02.05.2024.