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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Berliner "Korrespondenz.
Die Generaldebatte über den Etat des Cultusministeriums.

X

Nachdem die Regierung durch den Mund des Grafen Eulenburg ver¬
kündet hatte, daß sie sich der Ausführung des Guerard'schen Antrages nicht
widersetzen werde, sah alle Welt die Berathung über den Etat des Cultus-
und Unterrichtsministeriums als den wichtigsten und entscheidendsten Punkt
des parlamentarischen Winterfeldzugs, mindestens als den Punkt an, der für
die liberalen Parteien die größte Wichtigkeit haben werde. Diese Parteien
mußten, wenn überhaupt, so bei dieser Gelegenheit zeigen, was sie konnten
und was sie gelernt hatten. Der Minister von Muster hatte nach allen
Seiten hin den peinlichsten Anstoß gegeben, in den alten, wie in den neuen
Provinzen, bet den nationalen und bei den Demokraten mannigfaches Aergerniß
bereitet, hier durch einseitige Betonung des starrsten Confesstonalis'mus, dort
durch büreaukratische Einmischung in städtische und ländliche Schulverhält¬
nisse böses Blut gemacht. Wurde die Sache mit einigem Geschick behandelt,
so ließ sich mindestens ein starker Eindruck auf den leitenden Minister
erwarten, dem an der Erhaltung eines unbeliebten Collegen nicht viel gelegen
sein konnte.

Wie hoch die allgemeine Aufmerksamkeit gespannt war, zeigte schon ein
Blick aus die überfüllten Galerien und auf den ziemlich schwach besetzten
Ministertisch, in dessen Mitte der blasse, etwas steife und trotz aller äußeren Ruhe
sichtlich erregte Mann dasaß, der den heranziehenden Sturm mit Hilfe zweier
düster blickender Commissarien bestehen sollte. Die Bänke des Hauses waren
dicht besetzt -- die Rechte saß in erwartungsvollen Schweigen da, auf der
Linken zeigte sichs, daß Etwas im Werk sei.

Auf der Rednerliste (die Dank den Bemühungen der Demokratie sammt
der alten Geschäftsordnung noch immer in Uebung ist) standen nicht weniger als
sechszehn Redner; zwei Dritttheile derselben wollten den Minister angreifen.
Kam auch nur die Hälfte zu Wort, so ließ sich ein günstiges Ende nicht
absehen. Wie war eine so lange, noch dazu wesentlich mit unbekannten
Namen erfüllte Liste mit einer ordentlichen Taktik der aggressiven Fractionen
zu vereinigen? Zwei Punkte, auf die es wesentlich ankam, und für jeden
derselben fünf Redner? Wie mochten da wohl die Rollen vertheilt sein, wer
die Regie übernommen haben?

Nichtsdestoweniger ließ die Sache sich recht günstig an. Prediger Richter
eröffnete den Kampf mit einer Rede, die zwar an Länge und Breite des
Guten zu viel that, auch wegen der eingestreuten Liederverse nicht besonders


Berliner «Korrespondenz.
Die Generaldebatte über den Etat des Cultusministeriums.

X

Nachdem die Regierung durch den Mund des Grafen Eulenburg ver¬
kündet hatte, daß sie sich der Ausführung des Guerard'schen Antrages nicht
widersetzen werde, sah alle Welt die Berathung über den Etat des Cultus-
und Unterrichtsministeriums als den wichtigsten und entscheidendsten Punkt
des parlamentarischen Winterfeldzugs, mindestens als den Punkt an, der für
die liberalen Parteien die größte Wichtigkeit haben werde. Diese Parteien
mußten, wenn überhaupt, so bei dieser Gelegenheit zeigen, was sie konnten
und was sie gelernt hatten. Der Minister von Muster hatte nach allen
Seiten hin den peinlichsten Anstoß gegeben, in den alten, wie in den neuen
Provinzen, bet den nationalen und bei den Demokraten mannigfaches Aergerniß
bereitet, hier durch einseitige Betonung des starrsten Confesstonalis'mus, dort
durch büreaukratische Einmischung in städtische und ländliche Schulverhält¬
nisse böses Blut gemacht. Wurde die Sache mit einigem Geschick behandelt,
so ließ sich mindestens ein starker Eindruck auf den leitenden Minister
erwarten, dem an der Erhaltung eines unbeliebten Collegen nicht viel gelegen
sein konnte.

Wie hoch die allgemeine Aufmerksamkeit gespannt war, zeigte schon ein
Blick aus die überfüllten Galerien und auf den ziemlich schwach besetzten
Ministertisch, in dessen Mitte der blasse, etwas steife und trotz aller äußeren Ruhe
sichtlich erregte Mann dasaß, der den heranziehenden Sturm mit Hilfe zweier
düster blickender Commissarien bestehen sollte. Die Bänke des Hauses waren
dicht besetzt — die Rechte saß in erwartungsvollen Schweigen da, auf der
Linken zeigte sichs, daß Etwas im Werk sei.

Auf der Rednerliste (die Dank den Bemühungen der Demokratie sammt
der alten Geschäftsordnung noch immer in Uebung ist) standen nicht weniger als
sechszehn Redner; zwei Dritttheile derselben wollten den Minister angreifen.
Kam auch nur die Hälfte zu Wort, so ließ sich ein günstiges Ende nicht
absehen. Wie war eine so lange, noch dazu wesentlich mit unbekannten
Namen erfüllte Liste mit einer ordentlichen Taktik der aggressiven Fractionen
zu vereinigen? Zwei Punkte, auf die es wesentlich ankam, und für jeden
derselben fünf Redner? Wie mochten da wohl die Rollen vertheilt sein, wer
die Regie übernommen haben?

Nichtsdestoweniger ließ die Sache sich recht günstig an. Prediger Richter
eröffnete den Kampf mit einer Rede, die zwar an Länge und Breite des
Guten zu viel that, auch wegen der eingestreuten Liederverse nicht besonders


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[0508] Berliner «Korrespondenz. Die Generaldebatte über den Etat des Cultusministeriums. X Nachdem die Regierung durch den Mund des Grafen Eulenburg ver¬ kündet hatte, daß sie sich der Ausführung des Guerard'schen Antrages nicht widersetzen werde, sah alle Welt die Berathung über den Etat des Cultus- und Unterrichtsministeriums als den wichtigsten und entscheidendsten Punkt des parlamentarischen Winterfeldzugs, mindestens als den Punkt an, der für die liberalen Parteien die größte Wichtigkeit haben werde. Diese Parteien mußten, wenn überhaupt, so bei dieser Gelegenheit zeigen, was sie konnten und was sie gelernt hatten. Der Minister von Muster hatte nach allen Seiten hin den peinlichsten Anstoß gegeben, in den alten, wie in den neuen Provinzen, bet den nationalen und bei den Demokraten mannigfaches Aergerniß bereitet, hier durch einseitige Betonung des starrsten Confesstonalis'mus, dort durch büreaukratische Einmischung in städtische und ländliche Schulverhält¬ nisse böses Blut gemacht. Wurde die Sache mit einigem Geschick behandelt, so ließ sich mindestens ein starker Eindruck auf den leitenden Minister erwarten, dem an der Erhaltung eines unbeliebten Collegen nicht viel gelegen sein konnte. Wie hoch die allgemeine Aufmerksamkeit gespannt war, zeigte schon ein Blick aus die überfüllten Galerien und auf den ziemlich schwach besetzten Ministertisch, in dessen Mitte der blasse, etwas steife und trotz aller äußeren Ruhe sichtlich erregte Mann dasaß, der den heranziehenden Sturm mit Hilfe zweier düster blickender Commissarien bestehen sollte. Die Bänke des Hauses waren dicht besetzt — die Rechte saß in erwartungsvollen Schweigen da, auf der Linken zeigte sichs, daß Etwas im Werk sei. Auf der Rednerliste (die Dank den Bemühungen der Demokratie sammt der alten Geschäftsordnung noch immer in Uebung ist) standen nicht weniger als sechszehn Redner; zwei Dritttheile derselben wollten den Minister angreifen. Kam auch nur die Hälfte zu Wort, so ließ sich ein günstiges Ende nicht absehen. Wie war eine so lange, noch dazu wesentlich mit unbekannten Namen erfüllte Liste mit einer ordentlichen Taktik der aggressiven Fractionen zu vereinigen? Zwei Punkte, auf die es wesentlich ankam, und für jeden derselben fünf Redner? Wie mochten da wohl die Rollen vertheilt sein, wer die Regie übernommen haben? Nichtsdestoweniger ließ die Sache sich recht günstig an. Prediger Richter eröffnete den Kampf mit einer Rede, die zwar an Länge und Breite des Guten zu viel that, auch wegen der eingestreuten Liederverse nicht besonders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/508>, abgerufen am 03.05.2024.