Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte des preußischen Preßgesetzes.

Die Herren Duncker und Eberty, ein berliner Buchhändler und ein
berliner Stadtrichter, haben sich gemeinsam im preußischen Abgeordneten¬
hause der Mühe unterzogen, die Angelegenheiten der preußischen Presse gegen¬
über der Gesetzgebung in erneute Anregung zu bringen. Daß ihre Be¬
strebungen innerhalb des geschlossenen Kreises der legislativen Factoren
Preußens zunächst völlig erfolglos verlaufen werden, ist ohne Weiteres gewiß.
Die Regierung verhält sich ablehnend, erhebt den dilatorischen Einwand der für
die Reichsgesetzgebung vorbehaltenen Materien, und, wenn man selbst dieses
Hinderniß überwinden zu können hoffte, so würde das Herrenhaus auf diesem
Gebiet sicherlich unüberwindlich bleiben. Noch gewichtiger machen sich innere
Bedenken geltend, ob denn überhaupt auf dem von jenen Herren einge¬
schlagenen Wege der Speciallegislation das Ziel einer von allen ihrem Wesen
feindlichen Beschränkungen befreiten Presse zu erreichen ist.

Unzweifelhaft ist das preußische Gesetz über die Presse v. 12. Mai 1857
ein recht schlechtes Erzeugniß moderner Gesetzgebung. Es ist nicht allein
ein höchst beschränkter, kleinlicher, ängstlicher Standpunkt, der das Gesetz
gegenüber den vermeintlichen Gefahren der plötzlich entfesselten geistigen Ele¬
mente einnimmt -- die Zeit, in der es entstand, kannte keinen höheren --
es ist vor allem Anderen auch in seiner juristischen Technik, seiner redaetio-
nellen und sprachlichen Form durch und durch mangelhaft und verkehrt. Ueberall
merkt man es den Verfassern an, daß ihnen selbst jede Erfahrung abging,
und sie sich dafür abmühten, die roheste politische Empirik der Franzosen
nachzuahmen. Die krankhafte Sucht, welcher die Jurisprudenz des Ober¬
tribunals einige ihrer schönsten Blüthen verdankt, nur ja für jedes Pre߬
erzeugniß eine möglichst verantwortliche Person "greifen" zu können, die zum
Theil darauf beruhenden Abstufungen der Schuld, vom Drucker an durch die
Personen des Verlegers, Vertreibers, Herausgebers, Redacteurs hindurch
bis zum Verfasser, die unklare Terminologie, in der besonders mit dem "Her¬
ausgeber" umgesprungen wird, machen das Gesetz für jeden, der es anzu-


Grenzlwten I. 1369. 36
Zur Geschichte des preußischen Preßgesetzes.

Die Herren Duncker und Eberty, ein berliner Buchhändler und ein
berliner Stadtrichter, haben sich gemeinsam im preußischen Abgeordneten¬
hause der Mühe unterzogen, die Angelegenheiten der preußischen Presse gegen¬
über der Gesetzgebung in erneute Anregung zu bringen. Daß ihre Be¬
strebungen innerhalb des geschlossenen Kreises der legislativen Factoren
Preußens zunächst völlig erfolglos verlaufen werden, ist ohne Weiteres gewiß.
Die Regierung verhält sich ablehnend, erhebt den dilatorischen Einwand der für
die Reichsgesetzgebung vorbehaltenen Materien, und, wenn man selbst dieses
Hinderniß überwinden zu können hoffte, so würde das Herrenhaus auf diesem
Gebiet sicherlich unüberwindlich bleiben. Noch gewichtiger machen sich innere
Bedenken geltend, ob denn überhaupt auf dem von jenen Herren einge¬
schlagenen Wege der Speciallegislation das Ziel einer von allen ihrem Wesen
feindlichen Beschränkungen befreiten Presse zu erreichen ist.

Unzweifelhaft ist das preußische Gesetz über die Presse v. 12. Mai 1857
ein recht schlechtes Erzeugniß moderner Gesetzgebung. Es ist nicht allein
ein höchst beschränkter, kleinlicher, ängstlicher Standpunkt, der das Gesetz
gegenüber den vermeintlichen Gefahren der plötzlich entfesselten geistigen Ele¬
mente einnimmt — die Zeit, in der es entstand, kannte keinen höheren —
es ist vor allem Anderen auch in seiner juristischen Technik, seiner redaetio-
nellen und sprachlichen Form durch und durch mangelhaft und verkehrt. Ueberall
merkt man es den Verfassern an, daß ihnen selbst jede Erfahrung abging,
und sie sich dafür abmühten, die roheste politische Empirik der Franzosen
nachzuahmen. Die krankhafte Sucht, welcher die Jurisprudenz des Ober¬
tribunals einige ihrer schönsten Blüthen verdankt, nur ja für jedes Pre߬
erzeugniß eine möglichst verantwortliche Person „greifen" zu können, die zum
Theil darauf beruhenden Abstufungen der Schuld, vom Drucker an durch die
Personen des Verlegers, Vertreibers, Herausgebers, Redacteurs hindurch
bis zum Verfasser, die unklare Terminologie, in der besonders mit dem „Her¬
ausgeber" umgesprungen wird, machen das Gesetz für jeden, der es anzu-


Grenzlwten I. 1369. 36
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120482"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Geschichte des preußischen Preßgesetzes.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_836"> Die Herren Duncker und Eberty, ein berliner Buchhändler und ein<lb/>
berliner Stadtrichter, haben sich gemeinsam im preußischen Abgeordneten¬<lb/>
hause der Mühe unterzogen, die Angelegenheiten der preußischen Presse gegen¬<lb/>
über der Gesetzgebung in erneute Anregung zu bringen. Daß ihre Be¬<lb/>
strebungen innerhalb des geschlossenen Kreises der legislativen Factoren<lb/>
Preußens zunächst völlig erfolglos verlaufen werden, ist ohne Weiteres gewiß.<lb/>
Die Regierung verhält sich ablehnend, erhebt den dilatorischen Einwand der für<lb/>
die Reichsgesetzgebung vorbehaltenen Materien, und, wenn man selbst dieses<lb/>
Hinderniß überwinden zu können hoffte, so würde das Herrenhaus auf diesem<lb/>
Gebiet sicherlich unüberwindlich bleiben. Noch gewichtiger machen sich innere<lb/>
Bedenken geltend, ob denn überhaupt auf dem von jenen Herren einge¬<lb/>
schlagenen Wege der Speciallegislation das Ziel einer von allen ihrem Wesen<lb/>
feindlichen Beschränkungen befreiten Presse zu erreichen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> Unzweifelhaft ist das preußische Gesetz über die Presse v. 12. Mai 1857<lb/>
ein recht schlechtes Erzeugniß moderner Gesetzgebung. Es ist nicht allein<lb/>
ein höchst beschränkter, kleinlicher, ängstlicher Standpunkt, der das Gesetz<lb/>
gegenüber den vermeintlichen Gefahren der plötzlich entfesselten geistigen Ele¬<lb/>
mente einnimmt &#x2014; die Zeit, in der es entstand, kannte keinen höheren &#x2014;<lb/>
es ist vor allem Anderen auch in seiner juristischen Technik, seiner redaetio-<lb/>
nellen und sprachlichen Form durch und durch mangelhaft und verkehrt. Ueberall<lb/>
merkt man es den Verfassern an, daß ihnen selbst jede Erfahrung abging,<lb/>
und sie sich dafür abmühten, die roheste politische Empirik der Franzosen<lb/>
nachzuahmen. Die krankhafte Sucht, welcher die Jurisprudenz des Ober¬<lb/>
tribunals einige ihrer schönsten Blüthen verdankt, nur ja für jedes Pre߬<lb/>
erzeugniß eine möglichst verantwortliche Person &#x201E;greifen" zu können, die zum<lb/>
Theil darauf beruhenden Abstufungen der Schuld, vom Drucker an durch die<lb/>
Personen des Verlegers, Vertreibers, Herausgebers, Redacteurs hindurch<lb/>
bis zum Verfasser, die unklare Terminologie, in der besonders mit dem &#x201E;Her¬<lb/>
ausgeber" umgesprungen wird, machen das Gesetz für jeden, der es anzu-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzlwten I. 1369. 36</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Zur Geschichte des preußischen Preßgesetzes. Die Herren Duncker und Eberty, ein berliner Buchhändler und ein berliner Stadtrichter, haben sich gemeinsam im preußischen Abgeordneten¬ hause der Mühe unterzogen, die Angelegenheiten der preußischen Presse gegen¬ über der Gesetzgebung in erneute Anregung zu bringen. Daß ihre Be¬ strebungen innerhalb des geschlossenen Kreises der legislativen Factoren Preußens zunächst völlig erfolglos verlaufen werden, ist ohne Weiteres gewiß. Die Regierung verhält sich ablehnend, erhebt den dilatorischen Einwand der für die Reichsgesetzgebung vorbehaltenen Materien, und, wenn man selbst dieses Hinderniß überwinden zu können hoffte, so würde das Herrenhaus auf diesem Gebiet sicherlich unüberwindlich bleiben. Noch gewichtiger machen sich innere Bedenken geltend, ob denn überhaupt auf dem von jenen Herren einge¬ schlagenen Wege der Speciallegislation das Ziel einer von allen ihrem Wesen feindlichen Beschränkungen befreiten Presse zu erreichen ist. Unzweifelhaft ist das preußische Gesetz über die Presse v. 12. Mai 1857 ein recht schlechtes Erzeugniß moderner Gesetzgebung. Es ist nicht allein ein höchst beschränkter, kleinlicher, ängstlicher Standpunkt, der das Gesetz gegenüber den vermeintlichen Gefahren der plötzlich entfesselten geistigen Ele¬ mente einnimmt — die Zeit, in der es entstand, kannte keinen höheren — es ist vor allem Anderen auch in seiner juristischen Technik, seiner redaetio- nellen und sprachlichen Form durch und durch mangelhaft und verkehrt. Ueberall merkt man es den Verfassern an, daß ihnen selbst jede Erfahrung abging, und sie sich dafür abmühten, die roheste politische Empirik der Franzosen nachzuahmen. Die krankhafte Sucht, welcher die Jurisprudenz des Ober¬ tribunals einige ihrer schönsten Blüthen verdankt, nur ja für jedes Pre߬ erzeugniß eine möglichst verantwortliche Person „greifen" zu können, die zum Theil darauf beruhenden Abstufungen der Schuld, vom Drucker an durch die Personen des Verlegers, Vertreibers, Herausgebers, Redacteurs hindurch bis zum Verfasser, die unklare Terminologie, in der besonders mit dem „Her¬ ausgeber" umgesprungen wird, machen das Gesetz für jeden, der es anzu- Grenzlwten I. 1369. 36

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/293>, abgerufen am 03.05.2024.