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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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die Reihen bekannter Häuser vorbei streifen zu müssen, die Steine, welche
ich so oft betreten hatte, wahrscheinlich zum letzten Mal zu sehen, die Alleen
mit ihren schönen Linden und Maulbeerbäumen zu verabschieden. Die
Mauern und Thürme versanken hinter mir, als wenn sie unter die Erde
gingen auf Nimmerwiedersehn, und nach einer Stunde war der freundliche
Himmel Leipzigs nicht mehr über mir.




Der unentgeltliche Unterricht in der Volksschule.
Der neueste Versuch zur Emendation der preußischen Verfassung.

Die Entwickelungsgeschichte des im Art. 26 der preußischen Verfassungs¬
urkunde vom 31. Januar 1860 v.erheißenen Unterrichtsgesetzes, welches
die in Art. 20 -- 25 festgestellten Principien für das Unterrichtswesen zur
Ausführung bringen soll, gleicht der Bahn eines Kometen, der zuweilen für
kurze Zeit dem Auge der Sterblichen sichtbar wird, um dann wieder viele
Jahre spurlos in unabsehbare Ferne zu verschwinden. Wie schon früher die
in den Gesetzen vom 23. October 1817 enthaltene Verheißung einer allge¬
meinen Schulordnung zwar die Ausarbeitung eines Entwurfs durch eine
Commission unter dem Vorsitz des Staatskanzlers v. Hardenberg zur Folge
hatte, dieser Entwurf aber niemals Gesetz geworden ist, so legte auch nach
Emanation der Verfassung der Minister v. Ladenberg sofort Hand ans
Werk und ließ nach mehrfachen Conferenzen von praktischen Schulmännern
ein das ganze Gebiet des Unterrichts umfassendes Gesetz unter Stricker Fest¬
haltung der Principien der Verfassung aufstellen -- allein auch dieser Entwurf
gelangte nicht einmal bis an den Landtag. Denn in der nächsten Legislatur-
Periode erschien statt des Unterrichts-Gesetzes ein neuer Cultusminister --
v. Raumer, der sehr bald offen erklärte, er sei weder im Stande noch Wil¬
lens, ein Unterrichtsgesetz vorzulegen, für welches er ein praktisches Bedürfniß
nicht anerkennen könne. Dagegen fand er das Bedürfniß zum Erlaß der
bekannten Regulative und bald hieß es, das Unterrichtsgesetz werde ein
frommer Wunsch bleiben, weil es kein Wunsch der Frommen sei. In der
neuen Aera wurde ein neuer Anlauf genommen, der Ladenberg'sche Entwurf
wieder hervorgesucht, modificirt und das Gutachten der Behörden eingeholt
-- allein rascher als das Gesetz kam der Conflict, der Rücktritt von v. Beth-
mann-Hollweg und jener Stillstand der Gesetzgebungs-Maschine, der das
Abgeordnetenhaus im April 1865 veranlaßte, auf die sofortige volle Aus¬
führung des Unterrichtsgesetzes vorläufig zu resigniren und im Interesse


die Reihen bekannter Häuser vorbei streifen zu müssen, die Steine, welche
ich so oft betreten hatte, wahrscheinlich zum letzten Mal zu sehen, die Alleen
mit ihren schönen Linden und Maulbeerbäumen zu verabschieden. Die
Mauern und Thürme versanken hinter mir, als wenn sie unter die Erde
gingen auf Nimmerwiedersehn, und nach einer Stunde war der freundliche
Himmel Leipzigs nicht mehr über mir.




Der unentgeltliche Unterricht in der Volksschule.
Der neueste Versuch zur Emendation der preußischen Verfassung.

Die Entwickelungsgeschichte des im Art. 26 der preußischen Verfassungs¬
urkunde vom 31. Januar 1860 v.erheißenen Unterrichtsgesetzes, welches
die in Art. 20 — 25 festgestellten Principien für das Unterrichtswesen zur
Ausführung bringen soll, gleicht der Bahn eines Kometen, der zuweilen für
kurze Zeit dem Auge der Sterblichen sichtbar wird, um dann wieder viele
Jahre spurlos in unabsehbare Ferne zu verschwinden. Wie schon früher die
in den Gesetzen vom 23. October 1817 enthaltene Verheißung einer allge¬
meinen Schulordnung zwar die Ausarbeitung eines Entwurfs durch eine
Commission unter dem Vorsitz des Staatskanzlers v. Hardenberg zur Folge
hatte, dieser Entwurf aber niemals Gesetz geworden ist, so legte auch nach
Emanation der Verfassung der Minister v. Ladenberg sofort Hand ans
Werk und ließ nach mehrfachen Conferenzen von praktischen Schulmännern
ein das ganze Gebiet des Unterrichts umfassendes Gesetz unter Stricker Fest¬
haltung der Principien der Verfassung aufstellen — allein auch dieser Entwurf
gelangte nicht einmal bis an den Landtag. Denn in der nächsten Legislatur-
Periode erschien statt des Unterrichts-Gesetzes ein neuer Cultusminister —
v. Raumer, der sehr bald offen erklärte, er sei weder im Stande noch Wil¬
lens, ein Unterrichtsgesetz vorzulegen, für welches er ein praktisches Bedürfniß
nicht anerkennen könne. Dagegen fand er das Bedürfniß zum Erlaß der
bekannten Regulative und bald hieß es, das Unterrichtsgesetz werde ein
frommer Wunsch bleiben, weil es kein Wunsch der Frommen sei. In der
neuen Aera wurde ein neuer Anlauf genommen, der Ladenberg'sche Entwurf
wieder hervorgesucht, modificirt und das Gutachten der Behörden eingeholt
— allein rascher als das Gesetz kam der Conflict, der Rücktritt von v. Beth-
mann-Hollweg und jener Stillstand der Gesetzgebungs-Maschine, der das
Abgeordnetenhaus im April 1865 veranlaßte, auf die sofortige volle Aus¬
führung des Unterrichtsgesetzes vorläufig zu resigniren und im Interesse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/72>, abgerufen am 03.05.2024.