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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Bald kamen wir zu Thal; der Fluß ging noch in gelben reißenden
Wogen. Hunderte von Menschen, alle in ihre blauen Kapuzen gehüllt,
standen mit ihren Eseln und Karren an beiden Ufern und warteten, ob sich
die Ueberfahrt ermöglichen würde. Man glaubt es kaum, daß dieser größte
Fluß Siciliens so lange ohne Brücke bleiben konnte; eine jammervolle Fähre,
auch für den gewöhnlichen Bedarf unzureichend, hat bis jetzt den Verkehr
vermittelt. Das Volk wartete geduldig und fing an sich zu lagern; wir
entließen unsern Wagen, benutzten eine Barke, aus welcher die Passagiere
der Post überfuhren, und fanden drüben unter den Kutschen, die zurück¬
kehren mußten, eine, die uns aufnahm. Der Kerl, der die Ueberfahrt leitete,
sich für einen königlichen Beamten ausgab und auf das Gesetz berief, hatte
uns in die Barke nicht aufnehmen wollen. Die Einheimischen aber erklärten
ihm, er verstände gar nichts vom Gesetze, wir zogen unser Geld hervor, und
Beides steckte er gleich ruhig ein.

So kamen wir wohlbehalten nach Catania zurück.


M. ".


Wie große Woche des Reichstages.

Da den Abgeordneten des Reichstags nicht erspart wird, den größten Theil
der Zeit mit kritischer Emendation von unfertigen Gesetzesparagraphen zu ver¬
bringen, so gilt ihnen und der Nation als Festtagsverhandlung, wenn sie einmal
die großen politischen Fragen ihres Staates zu erörtern veranlaßt sind. Solche
gute Tage waren die Debatten über bessere Organisation der Bundesregierung und
über Ausdehnung der Bundescompetenz auf das Civilrecht der Deutschen. Beide
Anträge hängen innig zusammen und suchen im Grunde dasselbe Ziel. An beiden
Tagen entsprachen die Verhandlungen im Ganzen der Bedeutung des Gegenstandes,
sie hatten wenigstens eine der Wirkungen, welche von den Antragstellern beabsichtigt
waren, sie lenkten in eindringlicher Weise die Aufmerksamkeit der Regierenden auf höchst
berechtigte Forderungen der Nation.

Das stärkste Interesse, auch ein dramatisches, erregten die Verhandlungen über
den Tochter-Münster'schen Antrag "uf Einsetzung von Bundesministerien. Während
Tochter die Nothwendigkeit verantwortlicher Bundesminister als Consequenz dessen,
was bereits im Bunde gethan sei, darstellte und Graf Münster sehr wohl-
meinend, aber nicht zeitgemäß, als wünschenswerthe Folge ein Kaiserthum der
Hohenzollern am Horizont aufsteigen ließ, betonte der sächsische Bevollmächtigte,
Herr v. Friesen, mit allem in seiner Stellung nöthigen Tact die bundesgemäßen
Rechte und die Selbständigkeit der Einzelregierungen. Det Bundeskanzler über, im
Anfange geneigt, den Antrag als ein Mißtrauensvotum zu betrachten, welches seiner


Bald kamen wir zu Thal; der Fluß ging noch in gelben reißenden
Wogen. Hunderte von Menschen, alle in ihre blauen Kapuzen gehüllt,
standen mit ihren Eseln und Karren an beiden Ufern und warteten, ob sich
die Ueberfahrt ermöglichen würde. Man glaubt es kaum, daß dieser größte
Fluß Siciliens so lange ohne Brücke bleiben konnte; eine jammervolle Fähre,
auch für den gewöhnlichen Bedarf unzureichend, hat bis jetzt den Verkehr
vermittelt. Das Volk wartete geduldig und fing an sich zu lagern; wir
entließen unsern Wagen, benutzten eine Barke, aus welcher die Passagiere
der Post überfuhren, und fanden drüben unter den Kutschen, die zurück¬
kehren mußten, eine, die uns aufnahm. Der Kerl, der die Ueberfahrt leitete,
sich für einen königlichen Beamten ausgab und auf das Gesetz berief, hatte
uns in die Barke nicht aufnehmen wollen. Die Einheimischen aber erklärten
ihm, er verstände gar nichts vom Gesetze, wir zogen unser Geld hervor, und
Beides steckte er gleich ruhig ein.

So kamen wir wohlbehalten nach Catania zurück.


M. ».


Wie große Woche des Reichstages.

Da den Abgeordneten des Reichstags nicht erspart wird, den größten Theil
der Zeit mit kritischer Emendation von unfertigen Gesetzesparagraphen zu ver¬
bringen, so gilt ihnen und der Nation als Festtagsverhandlung, wenn sie einmal
die großen politischen Fragen ihres Staates zu erörtern veranlaßt sind. Solche
gute Tage waren die Debatten über bessere Organisation der Bundesregierung und
über Ausdehnung der Bundescompetenz auf das Civilrecht der Deutschen. Beide
Anträge hängen innig zusammen und suchen im Grunde dasselbe Ziel. An beiden
Tagen entsprachen die Verhandlungen im Ganzen der Bedeutung des Gegenstandes,
sie hatten wenigstens eine der Wirkungen, welche von den Antragstellern beabsichtigt
waren, sie lenkten in eindringlicher Weise die Aufmerksamkeit der Regierenden auf höchst
berechtigte Forderungen der Nation.

Das stärkste Interesse, auch ein dramatisches, erregten die Verhandlungen über
den Tochter-Münster'schen Antrag «uf Einsetzung von Bundesministerien. Während
Tochter die Nothwendigkeit verantwortlicher Bundesminister als Consequenz dessen,
was bereits im Bunde gethan sei, darstellte und Graf Münster sehr wohl-
meinend, aber nicht zeitgemäß, als wünschenswerthe Folge ein Kaiserthum der
Hohenzollern am Horizont aufsteigen ließ, betonte der sächsische Bevollmächtigte,
Herr v. Friesen, mit allem in seiner Stellung nöthigen Tact die bundesgemäßen
Rechte und die Selbständigkeit der Einzelregierungen. Det Bundeskanzler über, im
Anfange geneigt, den Antrag als ein Mißtrauensvotum zu betrachten, welches seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/166>, abgerufen am 04.05.2024.