Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der höchsten Sehnsucht des Gemüthes und dem tiefsten Verständniß der Men¬
schennatur, wie beide dem Volke und der Zeit des Dichters möglich sind,
gerecht werden muß. Aus diesem Grunde wird dem Dichter jedes Gebiet
der Stoffe unheimisch bleiben, bei welchem er ein übermächtiges Eindringen
realer Wirklichkeit nicht abwehren kann. Ihm selbst wie seinem Publicum
werden dadurch die Unbefangenheit und die frei gehobene Stimmung, also
die Grundlagen jedes schönen Genusses vermindert. Oeffentliche Charaktere,
welche so bekannt sind, daß der Dichter nur ihre wirkliche Erscheinung copiren
kann; ungelöste politische und sociale Streitfragen, welche den Zuschauer in den
Zank des Marktes hineinziehen, wird er vermeiden. Er wird sogar, wo
er ernste Sammlung der Hörer fordern muß, Schlagworte des Tages darum
besonders mißachten, weil diese Hülfstruppen die Seelen an unkünstlerische
Interessen mahnen. Deshalb wird die Fähigkett des dramatischen Dichters,
Politische und sociale Tagesinteressen zu verwerthen, nur dann größer, wenn
seine Persönlichkeit und das Genre seines Stückes ihm möglich machen, jene sou-
veraine Freiheit dabei siegreich zu wahren, also überall, wo gute Laune, Aus¬
druck eines fröhlichen Herzens, oder gar ein übermüthiges Spiel mit dem
Stoff gestattet ist. Die Politik wird also leichter in das Lustspiel, als
in das ernste Drama eindringen dürfen, am leichtesten und mit der größten
Berechtigung in die ausgelassene Posse, deren beste und echt künstlerische
Wirkungen darauf beruhen, daß in ihr die schaffende Kraft des Dichters am
freiesten und kecksten mit dem Leben spielt. Und in der Posse, so hoffen wir,
wird unsere Nation sich einst auch an der Politik erfreuen.

Unterdeß mag der Brief Goethe's uns erinnern, daß wir ebenfalls unsere
Breter von unkünstlerischer Wirklichkeit rein zu halten haben, wenn wir auch
nicht so peinlich-säuberlich abfegen, wie unser lieber Pater Seraphicus in der
höchsten reinlichsten Zelle.




Das Papfljubiläum.

Regel und Herkommen bestimmen das Osterfest als den Abschluß der
römischen Fremdensaison. Alte Reisehandbücher erzählen von den wohlbepack¬
ten Reisewagen, die gleich nach Ostermontag aus den Thoren Roms rollen,


26 *

der höchsten Sehnsucht des Gemüthes und dem tiefsten Verständniß der Men¬
schennatur, wie beide dem Volke und der Zeit des Dichters möglich sind,
gerecht werden muß. Aus diesem Grunde wird dem Dichter jedes Gebiet
der Stoffe unheimisch bleiben, bei welchem er ein übermächtiges Eindringen
realer Wirklichkeit nicht abwehren kann. Ihm selbst wie seinem Publicum
werden dadurch die Unbefangenheit und die frei gehobene Stimmung, also
die Grundlagen jedes schönen Genusses vermindert. Oeffentliche Charaktere,
welche so bekannt sind, daß der Dichter nur ihre wirkliche Erscheinung copiren
kann; ungelöste politische und sociale Streitfragen, welche den Zuschauer in den
Zank des Marktes hineinziehen, wird er vermeiden. Er wird sogar, wo
er ernste Sammlung der Hörer fordern muß, Schlagworte des Tages darum
besonders mißachten, weil diese Hülfstruppen die Seelen an unkünstlerische
Interessen mahnen. Deshalb wird die Fähigkett des dramatischen Dichters,
Politische und sociale Tagesinteressen zu verwerthen, nur dann größer, wenn
seine Persönlichkeit und das Genre seines Stückes ihm möglich machen, jene sou-
veraine Freiheit dabei siegreich zu wahren, also überall, wo gute Laune, Aus¬
druck eines fröhlichen Herzens, oder gar ein übermüthiges Spiel mit dem
Stoff gestattet ist. Die Politik wird also leichter in das Lustspiel, als
in das ernste Drama eindringen dürfen, am leichtesten und mit der größten
Berechtigung in die ausgelassene Posse, deren beste und echt künstlerische
Wirkungen darauf beruhen, daß in ihr die schaffende Kraft des Dichters am
freiesten und kecksten mit dem Leben spielt. Und in der Posse, so hoffen wir,
wird unsere Nation sich einst auch an der Politik erfreuen.

Unterdeß mag der Brief Goethe's uns erinnern, daß wir ebenfalls unsere
Breter von unkünstlerischer Wirklichkeit rein zu halten haben, wenn wir auch
nicht so peinlich-säuberlich abfegen, wie unser lieber Pater Seraphicus in der
höchsten reinlichsten Zelle.




Das Papfljubiläum.

Regel und Herkommen bestimmen das Osterfest als den Abschluß der
römischen Fremdensaison. Alte Reisehandbücher erzählen von den wohlbepack¬
ten Reisewagen, die gleich nach Ostermontag aus den Thoren Roms rollen,


26 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120898"/>
          <p xml:id="ID_671" prev="#ID_670"> der höchsten Sehnsucht des Gemüthes und dem tiefsten Verständniß der Men¬<lb/>
schennatur, wie beide dem Volke und der Zeit des Dichters möglich sind,<lb/>
gerecht werden muß. Aus diesem Grunde wird dem Dichter jedes Gebiet<lb/>
der Stoffe unheimisch bleiben, bei welchem er ein übermächtiges Eindringen<lb/>
realer Wirklichkeit nicht abwehren kann. Ihm selbst wie seinem Publicum<lb/>
werden dadurch die Unbefangenheit und die frei gehobene Stimmung, also<lb/>
die Grundlagen jedes schönen Genusses vermindert. Oeffentliche Charaktere,<lb/>
welche so bekannt sind, daß der Dichter nur ihre wirkliche Erscheinung copiren<lb/>
kann; ungelöste politische und sociale Streitfragen, welche den Zuschauer in den<lb/>
Zank des Marktes hineinziehen, wird er vermeiden. Er wird sogar, wo<lb/>
er ernste Sammlung der Hörer fordern muß, Schlagworte des Tages darum<lb/>
besonders mißachten, weil diese Hülfstruppen die Seelen an unkünstlerische<lb/>
Interessen mahnen. Deshalb wird die Fähigkett des dramatischen Dichters,<lb/>
Politische und sociale Tagesinteressen zu verwerthen, nur dann größer, wenn<lb/>
seine Persönlichkeit und das Genre seines Stückes ihm möglich machen, jene sou-<lb/>
veraine Freiheit dabei siegreich zu wahren, also überall, wo gute Laune, Aus¬<lb/>
druck eines fröhlichen Herzens, oder gar ein übermüthiges Spiel mit dem<lb/>
Stoff gestattet ist. Die Politik wird also leichter in das Lustspiel, als<lb/>
in das ernste Drama eindringen dürfen, am leichtesten und mit der größten<lb/>
Berechtigung in die ausgelassene Posse, deren beste und echt künstlerische<lb/>
Wirkungen darauf beruhen, daß in ihr die schaffende Kraft des Dichters am<lb/>
freiesten und kecksten mit dem Leben spielt. Und in der Posse, so hoffen wir,<lb/>
wird unsere Nation sich einst auch an der Politik erfreuen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_672"> Unterdeß mag der Brief Goethe's uns erinnern, daß wir ebenfalls unsere<lb/>
Breter von unkünstlerischer Wirklichkeit rein zu halten haben, wenn wir auch<lb/>
nicht so peinlich-säuberlich abfegen, wie unser lieber Pater Seraphicus in der<lb/>
höchsten reinlichsten Zelle.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Papfljubiläum.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_673" next="#ID_674"> Regel und Herkommen bestimmen das Osterfest als den Abschluß der<lb/>
römischen Fremdensaison. Alte Reisehandbücher erzählen von den wohlbepack¬<lb/>
ten Reisewagen, die gleich nach Ostermontag aus den Thoren Roms rollen,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 26 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] der höchsten Sehnsucht des Gemüthes und dem tiefsten Verständniß der Men¬ schennatur, wie beide dem Volke und der Zeit des Dichters möglich sind, gerecht werden muß. Aus diesem Grunde wird dem Dichter jedes Gebiet der Stoffe unheimisch bleiben, bei welchem er ein übermächtiges Eindringen realer Wirklichkeit nicht abwehren kann. Ihm selbst wie seinem Publicum werden dadurch die Unbefangenheit und die frei gehobene Stimmung, also die Grundlagen jedes schönen Genusses vermindert. Oeffentliche Charaktere, welche so bekannt sind, daß der Dichter nur ihre wirkliche Erscheinung copiren kann; ungelöste politische und sociale Streitfragen, welche den Zuschauer in den Zank des Marktes hineinziehen, wird er vermeiden. Er wird sogar, wo er ernste Sammlung der Hörer fordern muß, Schlagworte des Tages darum besonders mißachten, weil diese Hülfstruppen die Seelen an unkünstlerische Interessen mahnen. Deshalb wird die Fähigkett des dramatischen Dichters, Politische und sociale Tagesinteressen zu verwerthen, nur dann größer, wenn seine Persönlichkeit und das Genre seines Stückes ihm möglich machen, jene sou- veraine Freiheit dabei siegreich zu wahren, also überall, wo gute Laune, Aus¬ druck eines fröhlichen Herzens, oder gar ein übermüthiges Spiel mit dem Stoff gestattet ist. Die Politik wird also leichter in das Lustspiel, als in das ernste Drama eindringen dürfen, am leichtesten und mit der größten Berechtigung in die ausgelassene Posse, deren beste und echt künstlerische Wirkungen darauf beruhen, daß in ihr die schaffende Kraft des Dichters am freiesten und kecksten mit dem Leben spielt. Und in der Posse, so hoffen wir, wird unsere Nation sich einst auch an der Politik erfreuen. Unterdeß mag der Brief Goethe's uns erinnern, daß wir ebenfalls unsere Breter von unkünstlerischer Wirklichkeit rein zu halten haben, wenn wir auch nicht so peinlich-säuberlich abfegen, wie unser lieber Pater Seraphicus in der höchsten reinlichsten Zelle. Das Papfljubiläum. Regel und Herkommen bestimmen das Osterfest als den Abschluß der römischen Fremdensaison. Alte Reisehandbücher erzählen von den wohlbepack¬ ten Reisewagen, die gleich nach Ostermontag aus den Thoren Roms rollen, 26 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/211>, abgerufen am 04.05.2024.