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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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der Abgeordneten soll sich ein ziemlich lebhafter Widerwille gegen das An¬
rühren der ganzen Frage bemerkbar machen. Dieselben Persönlichkeiten be¬
stärkten auch Schmerling In seiner Politik des Abwartens und wollten gar
keine Nothwendigkeit erkennen, aus der nomineller Reichsvertretung eine
wirkliche Vertretung des ganzen Reiches zu machen. In der damaligen Ver¬
sammlung fehlten die Ungarn, die Kroaten, die Venetianer, die Südtiroler,
die Tschechen -- sie aber decretirte in aller Ruhe des Gemüths auch für die ren

enden Länder, hielt jeden Verständigungsversuch für unter ihrer Würde, bis
eines schönen Morgens der Dualismus kalt aeeomM war und die bisheri-
gen Centralisten als begeisterte Dualisten erwachten. So getrösten wir uns,
dieselbe compacte Masse auch noch für den reinen Föderalismus schwärmen
zu sehen, sobald sie denselben unvermeidlich gemacht haben wird. Mancher
ehrliche Mann erklärt jetzt: wir dürfen an der kaum einjährigen Verfassung
nicht neuerdings rütteln, dieser ewige Wechsel, dieser gänzliche Mangel der
Stabilität in unserem Verfassungsleben richtet allen Glauben, alles Vertrauen
zu Grunde, nährt den ohnehin so stark wuchernden Pessimismus. Und darin
ist viel Wahres. Aber minder gefährlich als das schrittweise und gezwungene
Zurückweichen ist immer der frische Entschluß, endlich einmal eine Basis zu
gewinnen, auf der sich etwas für die Dauer aufführen läßt. Jetzt kann man
noch mit mäßigen Opfern die Polen halten und die Czechen gewinnen; haben
einmal die ersteren den Reichsrath verlassen, womit sie ernstlich drohen, so
gehen sie auf geringere Zugeständnisse nicht ein, als die Ungarn durchgesetzt
haben. Lif äat,, <M cito nat, das heißt in diesem Falle: wer nicht zu rech¬
ter Zeit gibt, muß nachher doppelt geben, und gegeben werden muß, wenn
Oestreich endlich zur Ruhe und Ordnung kommen soll. -- Seit der Vertagung
unseres Parlaments sind die aus Umgestaltung des Reichsraths abzielenden
Pläne allerdings zurückgestellt und auch die Ansprüche der Tschechen und Polen
in den Hintergrund getreten. Aber es wird nicht lange dauern, so werden
die einen ebenso herausgeholt wie die andern, und wenn der Reichstag wie¬
der zusammentritt, so wird da angeknüpft werden, wo man stehen blieb --
bei der Ueberzeugung, daß es in der bisherigen Weise nicht mehr weiter geht.




Polnischer Monatsbericht.

X

Der Ausfall der französischen Wahlen ist seit fast einem Jahr das
ultimg, riuile gewesen, bis zu welchem sich optimistische und pessimistische Con-
jecturalpolitiker vorwagten, wenn sie in das Meer der Zukunft segelten, um


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der Abgeordneten soll sich ein ziemlich lebhafter Widerwille gegen das An¬
rühren der ganzen Frage bemerkbar machen. Dieselben Persönlichkeiten be¬
stärkten auch Schmerling In seiner Politik des Abwartens und wollten gar
keine Nothwendigkeit erkennen, aus der nomineller Reichsvertretung eine
wirkliche Vertretung des ganzen Reiches zu machen. In der damaligen Ver¬
sammlung fehlten die Ungarn, die Kroaten, die Venetianer, die Südtiroler,
die Tschechen — sie aber decretirte in aller Ruhe des Gemüths auch für die ren

enden Länder, hielt jeden Verständigungsversuch für unter ihrer Würde, bis
eines schönen Morgens der Dualismus kalt aeeomM war und die bisheri-
gen Centralisten als begeisterte Dualisten erwachten. So getrösten wir uns,
dieselbe compacte Masse auch noch für den reinen Föderalismus schwärmen
zu sehen, sobald sie denselben unvermeidlich gemacht haben wird. Mancher
ehrliche Mann erklärt jetzt: wir dürfen an der kaum einjährigen Verfassung
nicht neuerdings rütteln, dieser ewige Wechsel, dieser gänzliche Mangel der
Stabilität in unserem Verfassungsleben richtet allen Glauben, alles Vertrauen
zu Grunde, nährt den ohnehin so stark wuchernden Pessimismus. Und darin
ist viel Wahres. Aber minder gefährlich als das schrittweise und gezwungene
Zurückweichen ist immer der frische Entschluß, endlich einmal eine Basis zu
gewinnen, auf der sich etwas für die Dauer aufführen läßt. Jetzt kann man
noch mit mäßigen Opfern die Polen halten und die Czechen gewinnen; haben
einmal die ersteren den Reichsrath verlassen, womit sie ernstlich drohen, so
gehen sie auf geringere Zugeständnisse nicht ein, als die Ungarn durchgesetzt
haben. Lif äat,, <M cito nat, das heißt in diesem Falle: wer nicht zu rech¬
ter Zeit gibt, muß nachher doppelt geben, und gegeben werden muß, wenn
Oestreich endlich zur Ruhe und Ordnung kommen soll. — Seit der Vertagung
unseres Parlaments sind die aus Umgestaltung des Reichsraths abzielenden
Pläne allerdings zurückgestellt und auch die Ansprüche der Tschechen und Polen
in den Hintergrund getreten. Aber es wird nicht lange dauern, so werden
die einen ebenso herausgeholt wie die andern, und wenn der Reichstag wie¬
der zusammentritt, so wird da angeknüpft werden, wo man stehen blieb —
bei der Ueberzeugung, daß es in der bisherigen Weise nicht mehr weiter geht.




Polnischer Monatsbericht.

X

Der Ausfall der französischen Wahlen ist seit fast einem Jahr das
ultimg, riuile gewesen, bis zu welchem sich optimistische und pessimistische Con-
jecturalpolitiker vorwagten, wenn sie in das Meer der Zukunft segelten, um


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[0387] der Abgeordneten soll sich ein ziemlich lebhafter Widerwille gegen das An¬ rühren der ganzen Frage bemerkbar machen. Dieselben Persönlichkeiten be¬ stärkten auch Schmerling In seiner Politik des Abwartens und wollten gar keine Nothwendigkeit erkennen, aus der nomineller Reichsvertretung eine wirkliche Vertretung des ganzen Reiches zu machen. In der damaligen Ver¬ sammlung fehlten die Ungarn, die Kroaten, die Venetianer, die Südtiroler, die Tschechen — sie aber decretirte in aller Ruhe des Gemüths auch für die ren n¬ enden Länder, hielt jeden Verständigungsversuch für unter ihrer Würde, bis eines schönen Morgens der Dualismus kalt aeeomM war und die bisheri- gen Centralisten als begeisterte Dualisten erwachten. So getrösten wir uns, dieselbe compacte Masse auch noch für den reinen Föderalismus schwärmen zu sehen, sobald sie denselben unvermeidlich gemacht haben wird. Mancher ehrliche Mann erklärt jetzt: wir dürfen an der kaum einjährigen Verfassung nicht neuerdings rütteln, dieser ewige Wechsel, dieser gänzliche Mangel der Stabilität in unserem Verfassungsleben richtet allen Glauben, alles Vertrauen zu Grunde, nährt den ohnehin so stark wuchernden Pessimismus. Und darin ist viel Wahres. Aber minder gefährlich als das schrittweise und gezwungene Zurückweichen ist immer der frische Entschluß, endlich einmal eine Basis zu gewinnen, auf der sich etwas für die Dauer aufführen läßt. Jetzt kann man noch mit mäßigen Opfern die Polen halten und die Czechen gewinnen; haben einmal die ersteren den Reichsrath verlassen, womit sie ernstlich drohen, so gehen sie auf geringere Zugeständnisse nicht ein, als die Ungarn durchgesetzt haben. Lif äat,, <M cito nat, das heißt in diesem Falle: wer nicht zu rech¬ ter Zeit gibt, muß nachher doppelt geben, und gegeben werden muß, wenn Oestreich endlich zur Ruhe und Ordnung kommen soll. — Seit der Vertagung unseres Parlaments sind die aus Umgestaltung des Reichsraths abzielenden Pläne allerdings zurückgestellt und auch die Ansprüche der Tschechen und Polen in den Hintergrund getreten. Aber es wird nicht lange dauern, so werden die einen ebenso herausgeholt wie die andern, und wenn der Reichstag wie¬ der zusammentritt, so wird da angeknüpft werden, wo man stehen blieb — bei der Ueberzeugung, daß es in der bisherigen Weise nicht mehr weiter geht. Polnischer Monatsbericht. X Der Ausfall der französischen Wahlen ist seit fast einem Jahr das ultimg, riuile gewesen, bis zu welchem sich optimistische und pessimistische Con- jecturalpolitiker vorwagten, wenn sie in das Meer der Zukunft segelten, um 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/387>, abgerufen am 04.05.2024.