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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Aus dem russischen Hofleben des 18. Jahrhunderts.
II.

Gleich den übrigen Häuptern der Verschwörung, welche Annas Souve-
rainität einzuschränken versucht hatte, wurde Heinrich Fick zum Tode ver¬
urtheilt und dann zur Versendung nach Sibirien begnadigt. Während die
schuldigster Glieder der Familie Dolgoruki nach Beresow verbannt wurden
(die Fürstin Katharina, Braut des verstorbenen Peter II. und nach dessen
Ableben Concurrentin Anna's bei der Kaiserwahl, genas unterwegs eines
Knäbleins, als dessen Vater Lefort einen jungen Gardeosficier Mikterow
bezeichnet), war unserem Fick eine Ortschaft des Gouvernements Tobolsk an¬
gewiesen worden. Auf dem Wege dorthin erlag sein mitverurtheilter Schwieger¬
sohn Schultz den Strapatzen der Reise, der Kammerath selbst gelangte aber
wohlbehalten an Ort und Stelle.

"Wie er dort angekommen war," -- heißt es bei Gadebusch, "gereichte es
ihm zu großer Freude, daß er unter seinen wenigen mitgebrachten Sachen
einen Jahrgang französischer Zeitungen fand. Diese übersetzte er aus dem
Französischen ins Deutsche, und aus dem Deutschen ins Französische und
vervollkommnete sich also in dieser Sprache. Dann schaffte er sich ein Paar
Kühe an, beschickte sie selbst, melkte sie und machte Butter. Einmal ging er
zu Fuß nach Tobolsk, und brachte dem Gouverneur von seiner frischen
Butter. Dieser nahm solches so wohl auf, daß er ihm eine Magd zulegte,
welche die Kühe beschicken mußte. Es trug sich zu, daß er seine Suppe ein¬
mal mit einem silbernen Löffel umrührte und dieser davon schwarz ward.
Er setzte die Suppe seinem Hunde vor, welcher bald hernach,verrenkte.-- In
dieser Gefangenschaft ließ er den Hausprediger des Vicegouverneurs Lorenz
Lange, mit Namen Königshaven aus Jrkutsk zu sich kommen." -- Er empfing
von ihm das Sacrament, bei welcher Gelegenheit er indessen so unziemliche
und unchristliche Reden führte, daß dieser Geistliche als er später nach Livland
kam, noch Gadebusch gegenüber dessen Erwähnung that.

Der erfahrene Kenner russischer Hofzustände scheint sein Exil um so
leichter getragen zu haben, als er sich bei dem trefflichen Zustande seiner
Gesundheit wohl sagen konnte, daß dasselbe mit dem Leben der Kaiserin
Anna ein Ende haben werde und daß das System, welches ihn gestürzt hatte,
ebenso wenig von langer Dauer sein werde, als es die Systeme gewesen,
durch welche er emporgekommen. In dieser Hoffnung hatte er sich nicht
betrogen. Während der neun Jahre, die er in Sibirien zubrachte, starb
nicht nur die Kaiserin Anna, sondern erfolgten zwei Thronrevolutionen,


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Aus dem russischen Hofleben des 18. Jahrhunderts.
II.

Gleich den übrigen Häuptern der Verschwörung, welche Annas Souve-
rainität einzuschränken versucht hatte, wurde Heinrich Fick zum Tode ver¬
urtheilt und dann zur Versendung nach Sibirien begnadigt. Während die
schuldigster Glieder der Familie Dolgoruki nach Beresow verbannt wurden
(die Fürstin Katharina, Braut des verstorbenen Peter II. und nach dessen
Ableben Concurrentin Anna's bei der Kaiserwahl, genas unterwegs eines
Knäbleins, als dessen Vater Lefort einen jungen Gardeosficier Mikterow
bezeichnet), war unserem Fick eine Ortschaft des Gouvernements Tobolsk an¬
gewiesen worden. Auf dem Wege dorthin erlag sein mitverurtheilter Schwieger¬
sohn Schultz den Strapatzen der Reise, der Kammerath selbst gelangte aber
wohlbehalten an Ort und Stelle.

„Wie er dort angekommen war," — heißt es bei Gadebusch, „gereichte es
ihm zu großer Freude, daß er unter seinen wenigen mitgebrachten Sachen
einen Jahrgang französischer Zeitungen fand. Diese übersetzte er aus dem
Französischen ins Deutsche, und aus dem Deutschen ins Französische und
vervollkommnete sich also in dieser Sprache. Dann schaffte er sich ein Paar
Kühe an, beschickte sie selbst, melkte sie und machte Butter. Einmal ging er
zu Fuß nach Tobolsk, und brachte dem Gouverneur von seiner frischen
Butter. Dieser nahm solches so wohl auf, daß er ihm eine Magd zulegte,
welche die Kühe beschicken mußte. Es trug sich zu, daß er seine Suppe ein¬
mal mit einem silbernen Löffel umrührte und dieser davon schwarz ward.
Er setzte die Suppe seinem Hunde vor, welcher bald hernach,verrenkte.— In
dieser Gefangenschaft ließ er den Hausprediger des Vicegouverneurs Lorenz
Lange, mit Namen Königshaven aus Jrkutsk zu sich kommen." — Er empfing
von ihm das Sacrament, bei welcher Gelegenheit er indessen so unziemliche
und unchristliche Reden führte, daß dieser Geistliche als er später nach Livland
kam, noch Gadebusch gegenüber dessen Erwähnung that.

Der erfahrene Kenner russischer Hofzustände scheint sein Exil um so
leichter getragen zu haben, als er sich bei dem trefflichen Zustande seiner
Gesundheit wohl sagen konnte, daß dasselbe mit dem Leben der Kaiserin
Anna ein Ende haben werde und daß das System, welches ihn gestürzt hatte,
ebenso wenig von langer Dauer sein werde, als es die Systeme gewesen,
durch welche er emporgekommen. In dieser Hoffnung hatte er sich nicht
betrogen. Während der neun Jahre, die er in Sibirien zubrachte, starb
nicht nur die Kaiserin Anna, sondern erfolgten zwei Thronrevolutionen,


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[0475] Aus dem russischen Hofleben des 18. Jahrhunderts. II. Gleich den übrigen Häuptern der Verschwörung, welche Annas Souve- rainität einzuschränken versucht hatte, wurde Heinrich Fick zum Tode ver¬ urtheilt und dann zur Versendung nach Sibirien begnadigt. Während die schuldigster Glieder der Familie Dolgoruki nach Beresow verbannt wurden (die Fürstin Katharina, Braut des verstorbenen Peter II. und nach dessen Ableben Concurrentin Anna's bei der Kaiserwahl, genas unterwegs eines Knäbleins, als dessen Vater Lefort einen jungen Gardeosficier Mikterow bezeichnet), war unserem Fick eine Ortschaft des Gouvernements Tobolsk an¬ gewiesen worden. Auf dem Wege dorthin erlag sein mitverurtheilter Schwieger¬ sohn Schultz den Strapatzen der Reise, der Kammerath selbst gelangte aber wohlbehalten an Ort und Stelle. „Wie er dort angekommen war," — heißt es bei Gadebusch, „gereichte es ihm zu großer Freude, daß er unter seinen wenigen mitgebrachten Sachen einen Jahrgang französischer Zeitungen fand. Diese übersetzte er aus dem Französischen ins Deutsche, und aus dem Deutschen ins Französische und vervollkommnete sich also in dieser Sprache. Dann schaffte er sich ein Paar Kühe an, beschickte sie selbst, melkte sie und machte Butter. Einmal ging er zu Fuß nach Tobolsk, und brachte dem Gouverneur von seiner frischen Butter. Dieser nahm solches so wohl auf, daß er ihm eine Magd zulegte, welche die Kühe beschicken mußte. Es trug sich zu, daß er seine Suppe ein¬ mal mit einem silbernen Löffel umrührte und dieser davon schwarz ward. Er setzte die Suppe seinem Hunde vor, welcher bald hernach,verrenkte.— In dieser Gefangenschaft ließ er den Hausprediger des Vicegouverneurs Lorenz Lange, mit Namen Königshaven aus Jrkutsk zu sich kommen." — Er empfing von ihm das Sacrament, bei welcher Gelegenheit er indessen so unziemliche und unchristliche Reden führte, daß dieser Geistliche als er später nach Livland kam, noch Gadebusch gegenüber dessen Erwähnung that. Der erfahrene Kenner russischer Hofzustände scheint sein Exil um so leichter getragen zu haben, als er sich bei dem trefflichen Zustande seiner Gesundheit wohl sagen konnte, daß dasselbe mit dem Leben der Kaiserin Anna ein Ende haben werde und daß das System, welches ihn gestürzt hatte, ebenso wenig von langer Dauer sein werde, als es die Systeme gewesen, durch welche er emporgekommen. In dieser Hoffnung hatte er sich nicht betrogen. Während der neun Jahre, die er in Sibirien zubrachte, starb nicht nur die Kaiserin Anna, sondern erfolgten zwei Thronrevolutionen, 59*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/475>, abgerufen am 04.05.2024.