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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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tung dieses Staatsmannes in geschlossenen Reihen standen, sind seit dem Fall
dieses Cabinets in Uneinigkeit gerathen, was ihre Macht trotz der Majorität
in den Generalstaaten lähmt. Im Ganzen wäre eine Neubildung dieser
Partei überhaupt sehr wünschenswert!). Ihre alte Phalanx bestand zu einem
großen Theil aus den Schülern Thorbecke's, der seiner Zeit bekanntlich Pro¬
fessor in Leyden war. Thorbecke's Werk, die Konstitution von 1848, besteht
nunmehr 21 Jahre, ohne daß irgend eine zeitgemäße Neuerung an derselben
vorgenommen oder auch nur einer der erwiesenen Mängel abgestellt worden
wäre. Ob eine Neugestaltung der liberalen Partei zum gewünschten Ziele
sichren wird, oder ob sich eine neue Partei bilden muß, um uns in zeit"
gemäßere Bahnen zu treiben, bleibt dahin gestellt.

Conservative sowohl wie Liberale -- unsere beiden großen Parteien --
stehen gegenwärtig auf keinem festen Boden; beider Streben ist nicht deutlich
ausgesprochen, deshalb verlieren sie sich in unendliche Zänkereien über klein¬
liche Fragen, deshalb streiten sie um Besetzung der Ministerien und lassen auf
diese Weise die kostbare Zeit ungenützt vorbei gehen. Von dem in hohem
Alter stehenden Herrn Thorbecke ist eine Reorganisation, wie sie die Umstände
fordern, wohl kaum mehr zu erwarten.




MaKart's "Sieben Todsünden" oder die Pest in Florenz.

Die grünen Blätter haben das Makart'sche Bild: "Die sieben Tod¬
sünden" noch nicht erwähnt; dieser Umstand mag mich entschuldigen, wenn
ich, so vielen Berichten nachhinkend, in ganz später Stunde hier mein Votum
niederschreibe. Denn erst in diesen letzten Tagen hatte ich Gelegenheit, das viel¬
gepriesene und vielgeschimpfte Werk in Cöln zu sehen, wo es im Gertrudenhofe für
einige Zeit ausgestellt wird. Meine Erwartungen waren ziemlich hoch gespannt.
Mit keiner Kunstschöpfung hatte sich seit Jahren die öffentliche Meinung so
viel beschäftigt, über keine sind so schroff sich widersprechende Urtheile laut ge¬
worden, wie über das Makart'sche Gemälde. Sowohl das Interesse, welches
viele Kreise an dem Bilde nahmen, wie der Widerstreit der Ansichten mahnte
mich an die Zeit, als Gallait's und Bie'spe's bekannte Werke ihren Rundgang
durch Deutschland machten Und überall, wohin sie kamen, ebenso begeisterte
Verehrer wie erbitterte Gegner fanden. Nur daß damals ausschließlich künst¬
lerische Gründe die Urtheile motivirten, bei dem Makart'schen Bilde auch noch


tung dieses Staatsmannes in geschlossenen Reihen standen, sind seit dem Fall
dieses Cabinets in Uneinigkeit gerathen, was ihre Macht trotz der Majorität
in den Generalstaaten lähmt. Im Ganzen wäre eine Neubildung dieser
Partei überhaupt sehr wünschenswert!). Ihre alte Phalanx bestand zu einem
großen Theil aus den Schülern Thorbecke's, der seiner Zeit bekanntlich Pro¬
fessor in Leyden war. Thorbecke's Werk, die Konstitution von 1848, besteht
nunmehr 21 Jahre, ohne daß irgend eine zeitgemäße Neuerung an derselben
vorgenommen oder auch nur einer der erwiesenen Mängel abgestellt worden
wäre. Ob eine Neugestaltung der liberalen Partei zum gewünschten Ziele
sichren wird, oder ob sich eine neue Partei bilden muß, um uns in zeit«
gemäßere Bahnen zu treiben, bleibt dahin gestellt.

Conservative sowohl wie Liberale — unsere beiden großen Parteien —
stehen gegenwärtig auf keinem festen Boden; beider Streben ist nicht deutlich
ausgesprochen, deshalb verlieren sie sich in unendliche Zänkereien über klein¬
liche Fragen, deshalb streiten sie um Besetzung der Ministerien und lassen auf
diese Weise die kostbare Zeit ungenützt vorbei gehen. Von dem in hohem
Alter stehenden Herrn Thorbecke ist eine Reorganisation, wie sie die Umstände
fordern, wohl kaum mehr zu erwarten.




MaKart's „Sieben Todsünden" oder die Pest in Florenz.

Die grünen Blätter haben das Makart'sche Bild: „Die sieben Tod¬
sünden" noch nicht erwähnt; dieser Umstand mag mich entschuldigen, wenn
ich, so vielen Berichten nachhinkend, in ganz später Stunde hier mein Votum
niederschreibe. Denn erst in diesen letzten Tagen hatte ich Gelegenheit, das viel¬
gepriesene und vielgeschimpfte Werk in Cöln zu sehen, wo es im Gertrudenhofe für
einige Zeit ausgestellt wird. Meine Erwartungen waren ziemlich hoch gespannt.
Mit keiner Kunstschöpfung hatte sich seit Jahren die öffentliche Meinung so
viel beschäftigt, über keine sind so schroff sich widersprechende Urtheile laut ge¬
worden, wie über das Makart'sche Gemälde. Sowohl das Interesse, welches
viele Kreise an dem Bilde nahmen, wie der Widerstreit der Ansichten mahnte
mich an die Zeit, als Gallait's und Bie'spe's bekannte Werke ihren Rundgang
durch Deutschland machten Und überall, wohin sie kamen, ebenso begeisterte
Verehrer wie erbitterte Gegner fanden. Nur daß damals ausschließlich künst¬
lerische Gründe die Urtheile motivirten, bei dem Makart'schen Bilde auch noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/118>, abgerufen am 05.05.2024.