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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Blatt, welches freilich von verständiger Bedeutung ist. Unser werther, oft
fördender, wohl aber auch retardirender Freund, übernahm die Schuld der
Verspätung.

Darf ich bei dieser Gelegenheit um ein gefälliges Vorwort bitten? Jhro
Kaiser!. Hoheit hatte ich vor Höchst Jhro Abreise nach Dornburg ein Bänd¬
chen zugestellt: Briefe eines Verstorbenen. Schwerlich ist dieses in
dem Augenblicke für Jhro Hoheit interessant, da man mit den Lebendigen
so viel zu thun hat. Dürft ich bitten Sich für dessen Rückgabe zu verwen¬
den: ich werde deshalb gemahnt und es steht in ruhigeren Augenblicken
wieder zu Diensten.


treu angehörig

Weimar, d. 18. Scvtbr. 1830.


I. W. v. Goethe.
13.

Ein Bericht der Generalin von Beaulieu-Marconnay, im Jahre

1830 für Goethe bestimm.

Dieses Schreiben enthält einen Auftrag der Frau von Türkheim (Lilli in
Goethe's Gedichten), welchen die Schreiberin seit 1793 im Herzen bewahrt,
endlich zu seiner Kenntniß zu bringen wünschte.

Die wenigen Zeilen seiner Antwort beweisen, wie tief G-zethe durch diese
Mittheilung ergriffen worden war.

"Die an mich ergangen" Aufforderung, dasjenige, was sich in Bezug
auf eine der edelsten Frauen meinem Gedächtnisse unauslöschlich eingeprägt
hat, schriftlich mitzutheilen, ersüllt mich mit wehmüthiger Freude, weil ich
mich dadurch berechtigt sehe, das heilige Vermächtnis), welches die Treffliche
einst in meinem Herzen niederlegte, dem einzig geliebten Freund ihrer
Jugend zu übergeben und auf diese Weise dem Vertrauen zu entsprechen,
dessen sie mich vor einer langen Reihe von Jahren würdigte.

Ich muß in diese zurückkehren und bemerken, daß zur Zeit der französi¬
schen Revolution, namentlich Anno 1793 und 1794 die Fürstenthümer Anspach
und Baireuth mit Emigranten überfüllt waren, besonders Erlangen, wo ich
mich damals aufhielt und sehr zurückgezogen lebte. Um so mehr mußte es
mich überraschen, zu hören, es befände sich unter den Ausgewanderten eine
Frau von Türkheim, die großes Verlangen trage, mich kennen zu lernen. Ich
konnte mir keinen anderen Grund ihres lebhaft geäußerten Wunsches denken,
als die Wahrscheinlichkeit, sie bedürfe vielleicht meiner Unterstützung, und dies be¬
wog mich, trotz meiner eigenthümlichen Abneigung vor neuen Bekanntschaften,
Frau von Türkheim zu besuchen.

Der Eindruck, den ihre Persönlichkeit im ersten Moment auf mich machte,
läßt sich mit wenig Worten bezeichnen. Ich glaubte Iphigenie vor mir zu
sehen. Die hohe, schlanke Gestalt, der milde, schwermüthige Ausdruck ihrer


Grenzboten III. 1869. 27

Blatt, welches freilich von verständiger Bedeutung ist. Unser werther, oft
fördender, wohl aber auch retardirender Freund, übernahm die Schuld der
Verspätung.

Darf ich bei dieser Gelegenheit um ein gefälliges Vorwort bitten? Jhro
Kaiser!. Hoheit hatte ich vor Höchst Jhro Abreise nach Dornburg ein Bänd¬
chen zugestellt: Briefe eines Verstorbenen. Schwerlich ist dieses in
dem Augenblicke für Jhro Hoheit interessant, da man mit den Lebendigen
so viel zu thun hat. Dürft ich bitten Sich für dessen Rückgabe zu verwen¬
den: ich werde deshalb gemahnt und es steht in ruhigeren Augenblicken
wieder zu Diensten.


treu angehörig

Weimar, d. 18. Scvtbr. 1830.


I. W. v. Goethe.
13.

Ein Bericht der Generalin von Beaulieu-Marconnay, im Jahre

1830 für Goethe bestimm.

Dieses Schreiben enthält einen Auftrag der Frau von Türkheim (Lilli in
Goethe's Gedichten), welchen die Schreiberin seit 1793 im Herzen bewahrt,
endlich zu seiner Kenntniß zu bringen wünschte.

Die wenigen Zeilen seiner Antwort beweisen, wie tief G-zethe durch diese
Mittheilung ergriffen worden war.

„Die an mich ergangen« Aufforderung, dasjenige, was sich in Bezug
auf eine der edelsten Frauen meinem Gedächtnisse unauslöschlich eingeprägt
hat, schriftlich mitzutheilen, ersüllt mich mit wehmüthiger Freude, weil ich
mich dadurch berechtigt sehe, das heilige Vermächtnis), welches die Treffliche
einst in meinem Herzen niederlegte, dem einzig geliebten Freund ihrer
Jugend zu übergeben und auf diese Weise dem Vertrauen zu entsprechen,
dessen sie mich vor einer langen Reihe von Jahren würdigte.

Ich muß in diese zurückkehren und bemerken, daß zur Zeit der französi¬
schen Revolution, namentlich Anno 1793 und 1794 die Fürstenthümer Anspach
und Baireuth mit Emigranten überfüllt waren, besonders Erlangen, wo ich
mich damals aufhielt und sehr zurückgezogen lebte. Um so mehr mußte es
mich überraschen, zu hören, es befände sich unter den Ausgewanderten eine
Frau von Türkheim, die großes Verlangen trage, mich kennen zu lernen. Ich
konnte mir keinen anderen Grund ihres lebhaft geäußerten Wunsches denken,
als die Wahrscheinlichkeit, sie bedürfe vielleicht meiner Unterstützung, und dies be¬
wog mich, trotz meiner eigenthümlichen Abneigung vor neuen Bekanntschaften,
Frau von Türkheim zu besuchen.

Der Eindruck, den ihre Persönlichkeit im ersten Moment auf mich machte,
läßt sich mit wenig Worten bezeichnen. Ich glaubte Iphigenie vor mir zu
sehen. Die hohe, schlanke Gestalt, der milde, schwermüthige Ausdruck ihrer


Grenzboten III. 1869. 27
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/217>, abgerufen am 04.05.2024.