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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Wie wahr ist es denn nun auf ihn selbst anwendbar!

Ottilie*) übertraf sich selbst an liebevoller Pflege und auch bis jetzt noch
an Standhaftigkeit. Sie war und ist fortwährend um Sie und Ihren
Schmerz sehr bekümmert. Auch die Pogwisch. Wir wachten alle die letzte
Nacht sammt den 2 Enkeln, Vogeler und Kräuter. Früh sechs Uhr trank
er noch seinen Kaffee mit Wolf und bestellte sich Wildpret und Fische für
Mittag, hieß Ottilie auf ihr Zimmer gehen und sprach von baldiger Wieder¬
herstellung. Nicht die geringste Todesahnung war in ihm. Er scherzte um
9 Uhr. wo der Arzt ihn längst aufgegeben, noch mit Ottilie, wenn schon
sehr matt. Sein Sterben war nur ein Ausbleiben des Athems, ohne alles
Zucken noch Krampf. Daher auch die selig ruhige Miene im Tode, und
noch jetzt!

Die Hoheit und der Großherzog hatten nicht an Gefahr glauben wollen
und waren dann um so heftiger ergriffen. Beide benehmen sich hinsichtlich
meiner Vorschläge sehr würdig und bereitwillig, alles zu thun, was irgend
zu Ehren seines Andenkens geschehen konnte.

Montag früh 8 -- 12 Uhr ist, auf Ottiliens und des Publicums leiden¬
schaftlichen Betrieb, jedoch gegen mein Gefühl und Rath die Parade¬
ausstellung. Abends 5 Uhr die feierliche Beisetzung in die Fürstengruft, mit
Gesängen von Zelter, Eberwein und Hummel componirt, aus Goethe's eige¬
nen Dichtungen. Röhr hält die Rede. Daß ich durchgesetzt, daß das Theater
5 Tage geschlossen bleibt, werden sie loben. Spiegel wollte durchaus nur
einmal aussetzen, ob er gleich außerdem sehr bereitwillig zu allem, ja selbst
sehr ergriffen war. Ottilie reist morgen nach Jena, auf einige Tage, bis
das Testament Dienstags publicirt sein wird.

So viel in höchster Eile. Wir sind sehr besorgt um Sie, >-- strafen
Sie doch ja unsere Sorgen Lügen! Ewig der Ihrige!


v. Müller.


Honegger's Culturgeschichte.

"Grundsteine einer Allgemeinen Culturgeschichte der neuesten Zeit"
von Honegger. Erster Band. Die Zeit des ersten Kaiserreichs. Leipzig, I. I.
Weber 1868.

Vergegenwärtigt man sich, wie erst seit verhältnißmäßig kurzer Zeit,
Kunst-, Literatur-, Rechts-, Wirthschaftsgeschichte u. f. f. getrieben werden, so
begreift man, daß alle bisherigen Versuche allgemeine Culturgeschichte zu
schreiben als nur sehr theilweise gelungen bezeichnet werden können, daß



") Goethes Schwiegertochter.

Wie wahr ist es denn nun auf ihn selbst anwendbar!

Ottilie*) übertraf sich selbst an liebevoller Pflege und auch bis jetzt noch
an Standhaftigkeit. Sie war und ist fortwährend um Sie und Ihren
Schmerz sehr bekümmert. Auch die Pogwisch. Wir wachten alle die letzte
Nacht sammt den 2 Enkeln, Vogeler und Kräuter. Früh sechs Uhr trank
er noch seinen Kaffee mit Wolf und bestellte sich Wildpret und Fische für
Mittag, hieß Ottilie auf ihr Zimmer gehen und sprach von baldiger Wieder¬
herstellung. Nicht die geringste Todesahnung war in ihm. Er scherzte um
9 Uhr. wo der Arzt ihn längst aufgegeben, noch mit Ottilie, wenn schon
sehr matt. Sein Sterben war nur ein Ausbleiben des Athems, ohne alles
Zucken noch Krampf. Daher auch die selig ruhige Miene im Tode, und
noch jetzt!

Die Hoheit und der Großherzog hatten nicht an Gefahr glauben wollen
und waren dann um so heftiger ergriffen. Beide benehmen sich hinsichtlich
meiner Vorschläge sehr würdig und bereitwillig, alles zu thun, was irgend
zu Ehren seines Andenkens geschehen konnte.

Montag früh 8 — 12 Uhr ist, auf Ottiliens und des Publicums leiden¬
schaftlichen Betrieb, jedoch gegen mein Gefühl und Rath die Parade¬
ausstellung. Abends 5 Uhr die feierliche Beisetzung in die Fürstengruft, mit
Gesängen von Zelter, Eberwein und Hummel componirt, aus Goethe's eige¬
nen Dichtungen. Röhr hält die Rede. Daß ich durchgesetzt, daß das Theater
5 Tage geschlossen bleibt, werden sie loben. Spiegel wollte durchaus nur
einmal aussetzen, ob er gleich außerdem sehr bereitwillig zu allem, ja selbst
sehr ergriffen war. Ottilie reist morgen nach Jena, auf einige Tage, bis
das Testament Dienstags publicirt sein wird.

So viel in höchster Eile. Wir sind sehr besorgt um Sie, >— strafen
Sie doch ja unsere Sorgen Lügen! Ewig der Ihrige!


v. Müller.


Honegger's Culturgeschichte.

„Grundsteine einer Allgemeinen Culturgeschichte der neuesten Zeit"
von Honegger. Erster Band. Die Zeit des ersten Kaiserreichs. Leipzig, I. I.
Weber 1868.

Vergegenwärtigt man sich, wie erst seit verhältnißmäßig kurzer Zeit,
Kunst-, Literatur-, Rechts-, Wirthschaftsgeschichte u. f. f. getrieben werden, so
begreift man, daß alle bisherigen Versuche allgemeine Culturgeschichte zu
schreiben als nur sehr theilweise gelungen bezeichnet werden können, daß



") Goethes Schwiegertochter.
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[0221] Wie wahr ist es denn nun auf ihn selbst anwendbar! Ottilie*) übertraf sich selbst an liebevoller Pflege und auch bis jetzt noch an Standhaftigkeit. Sie war und ist fortwährend um Sie und Ihren Schmerz sehr bekümmert. Auch die Pogwisch. Wir wachten alle die letzte Nacht sammt den 2 Enkeln, Vogeler und Kräuter. Früh sechs Uhr trank er noch seinen Kaffee mit Wolf und bestellte sich Wildpret und Fische für Mittag, hieß Ottilie auf ihr Zimmer gehen und sprach von baldiger Wieder¬ herstellung. Nicht die geringste Todesahnung war in ihm. Er scherzte um 9 Uhr. wo der Arzt ihn längst aufgegeben, noch mit Ottilie, wenn schon sehr matt. Sein Sterben war nur ein Ausbleiben des Athems, ohne alles Zucken noch Krampf. Daher auch die selig ruhige Miene im Tode, und noch jetzt! Die Hoheit und der Großherzog hatten nicht an Gefahr glauben wollen und waren dann um so heftiger ergriffen. Beide benehmen sich hinsichtlich meiner Vorschläge sehr würdig und bereitwillig, alles zu thun, was irgend zu Ehren seines Andenkens geschehen konnte. Montag früh 8 — 12 Uhr ist, auf Ottiliens und des Publicums leiden¬ schaftlichen Betrieb, jedoch gegen mein Gefühl und Rath die Parade¬ ausstellung. Abends 5 Uhr die feierliche Beisetzung in die Fürstengruft, mit Gesängen von Zelter, Eberwein und Hummel componirt, aus Goethe's eige¬ nen Dichtungen. Röhr hält die Rede. Daß ich durchgesetzt, daß das Theater 5 Tage geschlossen bleibt, werden sie loben. Spiegel wollte durchaus nur einmal aussetzen, ob er gleich außerdem sehr bereitwillig zu allem, ja selbst sehr ergriffen war. Ottilie reist morgen nach Jena, auf einige Tage, bis das Testament Dienstags publicirt sein wird. So viel in höchster Eile. Wir sind sehr besorgt um Sie, >— strafen Sie doch ja unsere Sorgen Lügen! Ewig der Ihrige! v. Müller. Honegger's Culturgeschichte. „Grundsteine einer Allgemeinen Culturgeschichte der neuesten Zeit" von Honegger. Erster Band. Die Zeit des ersten Kaiserreichs. Leipzig, I. I. Weber 1868. Vergegenwärtigt man sich, wie erst seit verhältnißmäßig kurzer Zeit, Kunst-, Literatur-, Rechts-, Wirthschaftsgeschichte u. f. f. getrieben werden, so begreift man, daß alle bisherigen Versuche allgemeine Culturgeschichte zu schreiben als nur sehr theilweise gelungen bezeichnet werden können, daß ") Goethes Schwiegertochter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/221>, abgerufen am 05.05.2024.