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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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lichen Aemtern, welche nichts eintragen, und die geringe Freude, welche die
Meisten über die Ehre empfinden, auf der Liste der Geschworenen zu
figuriren.




Die Lage in Galioten.*)
II.

Die Sommermonate dieses Jahres boten den polnischen Patrioten zwei
erwünschte Gelegenheiten, ihre Sache im Gedächtniß Europas aufzufrischen
und ihre Landsleute zum Bekenntniß unveränderten Glaubens an die Wieder¬
herstellung der königlichen Republik zu mahnen. Im Juli wurde die zufällig
aufgefundene Leiche König Kasimirs in der Kathedrale von Krakau feierlich
beigesetzt, am 11. August kehrte der 300 Jahrestag jener Union zwischen Polen
und dem Großfürstenthum Litthauen wieder, welche im I, 1569 zu Ludim
ausgesprochen worden war, um unwissentlich den ersten Nagel in den Sarg
des polnischen Staats zu treiben. Ist es doch diese Einverleibung der wenig¬
stens zum Theil von griechisch-orthodoxen Christen und Weißrussen bewohn¬
ten Länder gewesen, welche die Dissidentenhändel und damit die Einmischung
Rußlands in die inneren Angelegenheiten der Republik herbeiführte. Nichts¬
destoweniger sollte dieser Tag gefeiert werden, um Zeugniß dafür abzulegen,
daß Polen an seinen alten Grenzen und an der Interessen-Solidarität aller
ehemals polnischen Länder festhalte.

Natürlich wurde von russischer Seite sofort die Parole ausgegeben, daß
jede Betheiligung an der einen wie der andern Feier Verrath an der sla¬
visch-nationalen Sache sei. Dadurch konnte aber nicht verhindert werden,
daß beide Tage zu Krakau wie zu Lemberg unter zahlreicher Betheiligung
der Bevölkerung begangen wurden. Aber die Ruthenen thaten wenigstens
ihr Möglichstes, um namentlich gegen die Union von Ludim zu Protestiren,
da dieselbe ihrer Nationalität ebenso zu nahe trat, wie dem russischen Staat.
Die Grablegung Kasimirs war so rasch gekommen, daß man derselben un-
gerüstet gegenüberstand. Sämmtliche griechische und unirte Geistliche, die
sich an der Begehung der Grablegung Kasimirs betheiligt hatten, erhielten
von ihren Bischöfen Verwarnungen -- gegen die Unionsfeier aber wurden
bei Zeiten Maßregeln ergriffen. Die großrussische Partei erließ in dem "Slowo"
eine feierliche Verwahrung, welche die Bedeutungslosigkeit der vor 300 Jahren



-) Brgl. Ur. 30 der Grenzboten.

lichen Aemtern, welche nichts eintragen, und die geringe Freude, welche die
Meisten über die Ehre empfinden, auf der Liste der Geschworenen zu
figuriren.




Die Lage in Galioten.*)
II.

Die Sommermonate dieses Jahres boten den polnischen Patrioten zwei
erwünschte Gelegenheiten, ihre Sache im Gedächtniß Europas aufzufrischen
und ihre Landsleute zum Bekenntniß unveränderten Glaubens an die Wieder¬
herstellung der königlichen Republik zu mahnen. Im Juli wurde die zufällig
aufgefundene Leiche König Kasimirs in der Kathedrale von Krakau feierlich
beigesetzt, am 11. August kehrte der 300 Jahrestag jener Union zwischen Polen
und dem Großfürstenthum Litthauen wieder, welche im I, 1569 zu Ludim
ausgesprochen worden war, um unwissentlich den ersten Nagel in den Sarg
des polnischen Staats zu treiben. Ist es doch diese Einverleibung der wenig¬
stens zum Theil von griechisch-orthodoxen Christen und Weißrussen bewohn¬
ten Länder gewesen, welche die Dissidentenhändel und damit die Einmischung
Rußlands in die inneren Angelegenheiten der Republik herbeiführte. Nichts¬
destoweniger sollte dieser Tag gefeiert werden, um Zeugniß dafür abzulegen,
daß Polen an seinen alten Grenzen und an der Interessen-Solidarität aller
ehemals polnischen Länder festhalte.

Natürlich wurde von russischer Seite sofort die Parole ausgegeben, daß
jede Betheiligung an der einen wie der andern Feier Verrath an der sla¬
visch-nationalen Sache sei. Dadurch konnte aber nicht verhindert werden,
daß beide Tage zu Krakau wie zu Lemberg unter zahlreicher Betheiligung
der Bevölkerung begangen wurden. Aber die Ruthenen thaten wenigstens
ihr Möglichstes, um namentlich gegen die Union von Ludim zu Protestiren,
da dieselbe ihrer Nationalität ebenso zu nahe trat, wie dem russischen Staat.
Die Grablegung Kasimirs war so rasch gekommen, daß man derselben un-
gerüstet gegenüberstand. Sämmtliche griechische und unirte Geistliche, die
sich an der Begehung der Grablegung Kasimirs betheiligt hatten, erhielten
von ihren Bischöfen Verwarnungen — gegen die Unionsfeier aber wurden
bei Zeiten Maßregeln ergriffen. Die großrussische Partei erließ in dem „Slowo"
eine feierliche Verwahrung, welche die Bedeutungslosigkeit der vor 300 Jahren



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[0348] lichen Aemtern, welche nichts eintragen, und die geringe Freude, welche die Meisten über die Ehre empfinden, auf der Liste der Geschworenen zu figuriren. Die Lage in Galioten.*) II. Die Sommermonate dieses Jahres boten den polnischen Patrioten zwei erwünschte Gelegenheiten, ihre Sache im Gedächtniß Europas aufzufrischen und ihre Landsleute zum Bekenntniß unveränderten Glaubens an die Wieder¬ herstellung der königlichen Republik zu mahnen. Im Juli wurde die zufällig aufgefundene Leiche König Kasimirs in der Kathedrale von Krakau feierlich beigesetzt, am 11. August kehrte der 300 Jahrestag jener Union zwischen Polen und dem Großfürstenthum Litthauen wieder, welche im I, 1569 zu Ludim ausgesprochen worden war, um unwissentlich den ersten Nagel in den Sarg des polnischen Staats zu treiben. Ist es doch diese Einverleibung der wenig¬ stens zum Theil von griechisch-orthodoxen Christen und Weißrussen bewohn¬ ten Länder gewesen, welche die Dissidentenhändel und damit die Einmischung Rußlands in die inneren Angelegenheiten der Republik herbeiführte. Nichts¬ destoweniger sollte dieser Tag gefeiert werden, um Zeugniß dafür abzulegen, daß Polen an seinen alten Grenzen und an der Interessen-Solidarität aller ehemals polnischen Länder festhalte. Natürlich wurde von russischer Seite sofort die Parole ausgegeben, daß jede Betheiligung an der einen wie der andern Feier Verrath an der sla¬ visch-nationalen Sache sei. Dadurch konnte aber nicht verhindert werden, daß beide Tage zu Krakau wie zu Lemberg unter zahlreicher Betheiligung der Bevölkerung begangen wurden. Aber die Ruthenen thaten wenigstens ihr Möglichstes, um namentlich gegen die Union von Ludim zu Protestiren, da dieselbe ihrer Nationalität ebenso zu nahe trat, wie dem russischen Staat. Die Grablegung Kasimirs war so rasch gekommen, daß man derselben un- gerüstet gegenüberstand. Sämmtliche griechische und unirte Geistliche, die sich an der Begehung der Grablegung Kasimirs betheiligt hatten, erhielten von ihren Bischöfen Verwarnungen — gegen die Unionsfeier aber wurden bei Zeiten Maßregeln ergriffen. Die großrussische Partei erließ in dem „Slowo" eine feierliche Verwahrung, welche die Bedeutungslosigkeit der vor 300 Jahren -) Brgl. Ur. 30 der Grenzboten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/348>, abgerufen am 05.05.2024.