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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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derselbe, er sei bereit, ihn als Herrscher von Cabul und Candahar anzuerken¬
nen, während er Shir Ali, den Sohn Mohammeds, als Herrscher von Berat
anerkenne, ein Reich, das damals nicht existirte. Später ward Afzul Khan
getödtet, und nachdem Shir Ali nacheinander alle Nebenbuhler beseitigt hatte,
da erkannte die vicekönigliche Regierung denselben nicht nur formell als
allein berechtigt an, sondern gewährte ihm auch eine feste Subsidie. Wie
gesagt, das Geld wird demselben sehr willkommen sein, aber wahrscheinlich
wäre die Hälfte für ihn wichtiger gewesen, als er noch mit seinen Gegnern
im Kampfe war, denn sie hätte ihm Jahre des Kampfes erspart
und vor Allem hätte man dadurch an Ansehen in Indien gewonnen, wäh¬
rend dort die jetzige Gewährung des Geldes an den Siegreichen angesehen
werden wird, als ob sie aus Furcht gewährt sei. Zunächst bleibt abzuwarten,
ob es schir Ali gelingt, seine Herrschaft zu befestigen, und ob die Begeisterung
andauern wird, mit der er nach seiner Rückkehr von der Begegnung mit Lord
Mayo aufgenommen worden ist. schir Ali beabsichtigt jetzt, die Lehnsfolge der
von ihm abhängigen Häuptlinge in einee stehende, direct von ihm abhängige
und bezahlte Armee zu verwandeln und sucht die Truppen europäisch zu
uniformiren. Ob das gelingt, steht dahin, aber es bleibt uns zweifelhaft,
ob die englische Politik den Grad von Energie entwickelt, der allein geeignet
ist, den Asiaten zu imponiren und Rußlands Vordringen nachhaltig zu
hindern.




Der Kirchenverfassungsstreit in Kurhessen,

1 f
Die Hessen scheinen ohne irgend einen Verfassungsstreit nicht lange leben
zu können. Nachdem der Kampf um die Constitution von 1831 fast ein
Menschenalter gedauert hatte und sich gewiß in diesem Augenblicke noch in
irgend einer Form fortspinnen würde, wenn nicht das Jahr 1866 diesem
in letzter Instanz nur unfruchtbaren und die besten Kräfte des Landes auf¬
reibenden Hader mit einem Strich ein Ende gemacht hätte, stehen wir jetzt
schon wieder im lebhaftesten Streite um unsere Kirchenverfassung. Ganz
neuerdings entstanden ist derselbe freilich nicht. Die Vorkämpfe zu dem¬
selben sind so alt als unsere Landesverfassung war; die wichtigsten Entwicke¬
lungsphasen desselben fallen mit denen unseres Verfassungskampfes (1831 und
1848) zusammen; die Parteien, die in demselben agiren und einander gegen-
überstehen, sind im Verfassungsstreite dieselben wie in diesen kirchlichen Hält-


derselbe, er sei bereit, ihn als Herrscher von Cabul und Candahar anzuerken¬
nen, während er Shir Ali, den Sohn Mohammeds, als Herrscher von Berat
anerkenne, ein Reich, das damals nicht existirte. Später ward Afzul Khan
getödtet, und nachdem Shir Ali nacheinander alle Nebenbuhler beseitigt hatte,
da erkannte die vicekönigliche Regierung denselben nicht nur formell als
allein berechtigt an, sondern gewährte ihm auch eine feste Subsidie. Wie
gesagt, das Geld wird demselben sehr willkommen sein, aber wahrscheinlich
wäre die Hälfte für ihn wichtiger gewesen, als er noch mit seinen Gegnern
im Kampfe war, denn sie hätte ihm Jahre des Kampfes erspart
und vor Allem hätte man dadurch an Ansehen in Indien gewonnen, wäh¬
rend dort die jetzige Gewährung des Geldes an den Siegreichen angesehen
werden wird, als ob sie aus Furcht gewährt sei. Zunächst bleibt abzuwarten,
ob es schir Ali gelingt, seine Herrschaft zu befestigen, und ob die Begeisterung
andauern wird, mit der er nach seiner Rückkehr von der Begegnung mit Lord
Mayo aufgenommen worden ist. schir Ali beabsichtigt jetzt, die Lehnsfolge der
von ihm abhängigen Häuptlinge in einee stehende, direct von ihm abhängige
und bezahlte Armee zu verwandeln und sucht die Truppen europäisch zu
uniformiren. Ob das gelingt, steht dahin, aber es bleibt uns zweifelhaft,
ob die englische Politik den Grad von Energie entwickelt, der allein geeignet
ist, den Asiaten zu imponiren und Rußlands Vordringen nachhaltig zu
hindern.




Der Kirchenverfassungsstreit in Kurhessen,

1 f
Die Hessen scheinen ohne irgend einen Verfassungsstreit nicht lange leben
zu können. Nachdem der Kampf um die Constitution von 1831 fast ein
Menschenalter gedauert hatte und sich gewiß in diesem Augenblicke noch in
irgend einer Form fortspinnen würde, wenn nicht das Jahr 1866 diesem
in letzter Instanz nur unfruchtbaren und die besten Kräfte des Landes auf¬
reibenden Hader mit einem Strich ein Ende gemacht hätte, stehen wir jetzt
schon wieder im lebhaftesten Streite um unsere Kirchenverfassung. Ganz
neuerdings entstanden ist derselbe freilich nicht. Die Vorkämpfe zu dem¬
selben sind so alt als unsere Landesverfassung war; die wichtigsten Entwicke¬
lungsphasen desselben fallen mit denen unseres Verfassungskampfes (1831 und
1848) zusammen; die Parteien, die in demselben agiren und einander gegen-
überstehen, sind im Verfassungsstreite dieselben wie in diesen kirchlichen Hält-


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[0413] derselbe, er sei bereit, ihn als Herrscher von Cabul und Candahar anzuerken¬ nen, während er Shir Ali, den Sohn Mohammeds, als Herrscher von Berat anerkenne, ein Reich, das damals nicht existirte. Später ward Afzul Khan getödtet, und nachdem Shir Ali nacheinander alle Nebenbuhler beseitigt hatte, da erkannte die vicekönigliche Regierung denselben nicht nur formell als allein berechtigt an, sondern gewährte ihm auch eine feste Subsidie. Wie gesagt, das Geld wird demselben sehr willkommen sein, aber wahrscheinlich wäre die Hälfte für ihn wichtiger gewesen, als er noch mit seinen Gegnern im Kampfe war, denn sie hätte ihm Jahre des Kampfes erspart und vor Allem hätte man dadurch an Ansehen in Indien gewonnen, wäh¬ rend dort die jetzige Gewährung des Geldes an den Siegreichen angesehen werden wird, als ob sie aus Furcht gewährt sei. Zunächst bleibt abzuwarten, ob es schir Ali gelingt, seine Herrschaft zu befestigen, und ob die Begeisterung andauern wird, mit der er nach seiner Rückkehr von der Begegnung mit Lord Mayo aufgenommen worden ist. schir Ali beabsichtigt jetzt, die Lehnsfolge der von ihm abhängigen Häuptlinge in einee stehende, direct von ihm abhängige und bezahlte Armee zu verwandeln und sucht die Truppen europäisch zu uniformiren. Ob das gelingt, steht dahin, aber es bleibt uns zweifelhaft, ob die englische Politik den Grad von Energie entwickelt, der allein geeignet ist, den Asiaten zu imponiren und Rußlands Vordringen nachhaltig zu hindern. Der Kirchenverfassungsstreit in Kurhessen, 1 f Die Hessen scheinen ohne irgend einen Verfassungsstreit nicht lange leben zu können. Nachdem der Kampf um die Constitution von 1831 fast ein Menschenalter gedauert hatte und sich gewiß in diesem Augenblicke noch in irgend einer Form fortspinnen würde, wenn nicht das Jahr 1866 diesem in letzter Instanz nur unfruchtbaren und die besten Kräfte des Landes auf¬ reibenden Hader mit einem Strich ein Ende gemacht hätte, stehen wir jetzt schon wieder im lebhaftesten Streite um unsere Kirchenverfassung. Ganz neuerdings entstanden ist derselbe freilich nicht. Die Vorkämpfe zu dem¬ selben sind so alt als unsere Landesverfassung war; die wichtigsten Entwicke¬ lungsphasen desselben fallen mit denen unseres Verfassungskampfes (1831 und 1848) zusammen; die Parteien, die in demselben agiren und einander gegen- überstehen, sind im Verfassungsstreite dieselben wie in diesen kirchlichen Hält-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/413>, abgerufen am 04.05.2024.