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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Aaas der Kammerausiösung.

Daß man beim Zusammentreten des bayrischen Landtags absonderliche
Dinge erleben werde, ließ sich voraussehen, sobald das Wahlresultat bekannt
geworden war. Ueberraschend kam nur dies, daß gleich im ersten Moment
die Lage als eine unlöslich verwickelte sich darstellte, Zufällig sollte es sich
finden, daß die Parteien sofort in numerisch gleicher Stärke aufeinander¬
stießen, sodaß selbst die Constituirung der zweiten Kammer unmöglich wurde.
Nur ist dieser Zufall darum nicht minder bezeichnend, er ist im Gegentheil
das beredteste Symptom für die Lage, in welcher sich der größte der seit dem
Prager Frieden der internationalen Selbständigkeit sich erfreuenden Süd¬
staaten befindet. Ja man wird beinahe aufhören müssen, von Zufall zu
reden, wenn man sich erinnert, daß die Verhältnisse in Würtemberg, dem
zweiten dieser Staaten, fast genau dieselben sind und zu ganz ähnlichen Scenen
geführt haben. Daß die internationale Selbständigkeit ein sehr zweifelhaftes
Geschenk sei, empfinden nun diejenigen am meisten, die am ungestümsten
darauf pochten. Denn wiederum nicht zufällig ist es, daß der dritte Staat
diese Schmerzen seiner Nachbarn nicht kennt. Entschlossen, zu dem deutschen
Staat zu halten, dem er jetzt schon moralisch angehört, findet Baden in diesem
Entschlüsse zugleich die Sicherheit einer normalen Entwickelung im Innern,
die den anderen versagt ist.

Und nicht erst das Parteienverhältniß in der Kammer hat die Lage des
bayrischen Staats blosgelegt; im Grunde ist schon die Zusammensetzung des Mi¬
nisteriums ein ebenso sprechendes Symptom des innern Widerstreits, in dem sich
die Politik des bayrischen wie des benachbarten Staats befindet. Denn auch in
dieser Beziehung liegen die Dinge am Nesenbach ähnlich. Die Verwaltung ist hier
wie dort zusammengesetzt aus Elementen, welche nach der einen wie nach der
anderen Seite die Hand reichen, welche in jedem Augenblick eine Schwenkung
hierhin und dorthin ermöglichen, und die dazu bestimmt scheinen, nach keiner
Seite hin zu compromittiren, ohne nicht auch zugleich noch mit der gegneri¬
schen Fühlung zu behalten. Die Unfähigkeit, eine bestimmte Stellung zum


Grenzboten IV. 1869. 16
Aaas der Kammerausiösung.

Daß man beim Zusammentreten des bayrischen Landtags absonderliche
Dinge erleben werde, ließ sich voraussehen, sobald das Wahlresultat bekannt
geworden war. Ueberraschend kam nur dies, daß gleich im ersten Moment
die Lage als eine unlöslich verwickelte sich darstellte, Zufällig sollte es sich
finden, daß die Parteien sofort in numerisch gleicher Stärke aufeinander¬
stießen, sodaß selbst die Constituirung der zweiten Kammer unmöglich wurde.
Nur ist dieser Zufall darum nicht minder bezeichnend, er ist im Gegentheil
das beredteste Symptom für die Lage, in welcher sich der größte der seit dem
Prager Frieden der internationalen Selbständigkeit sich erfreuenden Süd¬
staaten befindet. Ja man wird beinahe aufhören müssen, von Zufall zu
reden, wenn man sich erinnert, daß die Verhältnisse in Würtemberg, dem
zweiten dieser Staaten, fast genau dieselben sind und zu ganz ähnlichen Scenen
geführt haben. Daß die internationale Selbständigkeit ein sehr zweifelhaftes
Geschenk sei, empfinden nun diejenigen am meisten, die am ungestümsten
darauf pochten. Denn wiederum nicht zufällig ist es, daß der dritte Staat
diese Schmerzen seiner Nachbarn nicht kennt. Entschlossen, zu dem deutschen
Staat zu halten, dem er jetzt schon moralisch angehört, findet Baden in diesem
Entschlüsse zugleich die Sicherheit einer normalen Entwickelung im Innern,
die den anderen versagt ist.

Und nicht erst das Parteienverhältniß in der Kammer hat die Lage des
bayrischen Staats blosgelegt; im Grunde ist schon die Zusammensetzung des Mi¬
nisteriums ein ebenso sprechendes Symptom des innern Widerstreits, in dem sich
die Politik des bayrischen wie des benachbarten Staats befindet. Denn auch in
dieser Beziehung liegen die Dinge am Nesenbach ähnlich. Die Verwaltung ist hier
wie dort zusammengesetzt aus Elementen, welche nach der einen wie nach der
anderen Seite die Hand reichen, welche in jedem Augenblick eine Schwenkung
hierhin und dorthin ermöglichen, und die dazu bestimmt scheinen, nach keiner
Seite hin zu compromittiren, ohne nicht auch zugleich noch mit der gegneri¬
schen Fühlung zu behalten. Die Unfähigkeit, eine bestimmte Stellung zum


Grenzboten IV. 1869. 16
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[0129] Aaas der Kammerausiösung. Daß man beim Zusammentreten des bayrischen Landtags absonderliche Dinge erleben werde, ließ sich voraussehen, sobald das Wahlresultat bekannt geworden war. Ueberraschend kam nur dies, daß gleich im ersten Moment die Lage als eine unlöslich verwickelte sich darstellte, Zufällig sollte es sich finden, daß die Parteien sofort in numerisch gleicher Stärke aufeinander¬ stießen, sodaß selbst die Constituirung der zweiten Kammer unmöglich wurde. Nur ist dieser Zufall darum nicht minder bezeichnend, er ist im Gegentheil das beredteste Symptom für die Lage, in welcher sich der größte der seit dem Prager Frieden der internationalen Selbständigkeit sich erfreuenden Süd¬ staaten befindet. Ja man wird beinahe aufhören müssen, von Zufall zu reden, wenn man sich erinnert, daß die Verhältnisse in Würtemberg, dem zweiten dieser Staaten, fast genau dieselben sind und zu ganz ähnlichen Scenen geführt haben. Daß die internationale Selbständigkeit ein sehr zweifelhaftes Geschenk sei, empfinden nun diejenigen am meisten, die am ungestümsten darauf pochten. Denn wiederum nicht zufällig ist es, daß der dritte Staat diese Schmerzen seiner Nachbarn nicht kennt. Entschlossen, zu dem deutschen Staat zu halten, dem er jetzt schon moralisch angehört, findet Baden in diesem Entschlüsse zugleich die Sicherheit einer normalen Entwickelung im Innern, die den anderen versagt ist. Und nicht erst das Parteienverhältniß in der Kammer hat die Lage des bayrischen Staats blosgelegt; im Grunde ist schon die Zusammensetzung des Mi¬ nisteriums ein ebenso sprechendes Symptom des innern Widerstreits, in dem sich die Politik des bayrischen wie des benachbarten Staats befindet. Denn auch in dieser Beziehung liegen die Dinge am Nesenbach ähnlich. Die Verwaltung ist hier wie dort zusammengesetzt aus Elementen, welche nach der einen wie nach der anderen Seite die Hand reichen, welche in jedem Augenblick eine Schwenkung hierhin und dorthin ermöglichen, und die dazu bestimmt scheinen, nach keiner Seite hin zu compromittiren, ohne nicht auch zugleich noch mit der gegneri¬ schen Fühlung zu behalten. Die Unfähigkeit, eine bestimmte Stellung zum Grenzboten IV. 1869. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/129>, abgerufen am 27.04.2024.