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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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retouchirt, ist mit ungemeiner Meisterschaft gezeichnet; man sieht das Geäder
unter der Haut, eine Warze, die schwarz und weiß melirter Haare der Brauen
und olivengraue Streifen eines groben, nicht besonders glatten Bartes. Ge¬
malt hat Dürer das Bild lange nach der Zeit, in welcher ihm die Venezianer
zu schaffen machten. -- Um 1326 sodann ist das zweite dieser Porträts
(Eigenthum des Freiherrn von Holzschuher in Nürnberg) entstanden. Auf
dem graubraunen Grund, von dem sich der Kopf abhebt, lesen wir:
NI^IIS 57 VONI 1326;
auf dem Schieber, der im Rahmen läuft und das Bild bedeckt, ist das Holz-
schuhersche Wappen mit dem Datum NVXXVI. Der alte nürnbergische
Patrizier hat rothe aber klare Gesichtsfarbe, Haupt- und Barthaar ist silber¬
grau und so fein detailirt, daß es wirklich schwebt, die Cirkelsorm der Augen
ist die von heißblütigen, zur Apoplexie geneigten Personen. Der alte Herr
trägt eine Schaube von Bisampelz über dem schwarzen Wams. Das Ganze,
von dem zu jener Zeit üblichen schwarzen Rahmen umschlossen, ist ein wahres
Wunderwerk von Ausführung und lohnt allein schon die Reise nach München.

(Schluß folgt.)




Die Gräfin, Trauerspiel in fünf Aufzügen.

Leipzig, S. Hirzel 1868.

Die kritische Würdigung eines Dramas findet am zweckmäßigsten dann
statt, wenn dasselbe seine Theaterprobe bereits gemacht hat. Der Bühnen¬
wirkung ist es im Ganzen vortheilhaft, wenn das Stück in der Darstellung
zu vollem Leben erblüht, bevor das Publicum vom Gesumm der Kritik ein¬
genommen ist. Dann ist es auch billig, daß der Kritiker dem Dichter die
Aufführung vorausgibt, denn durch sie kann der Dichter zu Aenderungen
veranlaßt werden, welche das ästhetische Urtheil wesentlich modificiren. Darum
empfiehlt sich heut noch, ein neues Stück nur im Manuscnpt drucken zu
lassen und erst nach vollendetem Bühnenlauf der Lesewelt zu übergeben,
obgleich unsere Gesetzgebung den Dramen des Buchhandels die Honorar"
rechte der Manuscripte zu erhalten bemüht ist. Indeß ist das genannte Drama
seit einem Jahre im Buchhandel erschienen, und es scheint fast, als ob die
deutschen Theater aus landüblichem Schlendrian dasselbe als Bücherdrama
betrachten, welches außerhalb des Kreises ihrer Aufgaben steht. So wird
die Erinnerung nicht unnütz sein, daß hier ein Theaterstück vorliegt, welches


retouchirt, ist mit ungemeiner Meisterschaft gezeichnet; man sieht das Geäder
unter der Haut, eine Warze, die schwarz und weiß melirter Haare der Brauen
und olivengraue Streifen eines groben, nicht besonders glatten Bartes. Ge¬
malt hat Dürer das Bild lange nach der Zeit, in welcher ihm die Venezianer
zu schaffen machten. — Um 1326 sodann ist das zweite dieser Porträts
(Eigenthum des Freiherrn von Holzschuher in Nürnberg) entstanden. Auf
dem graubraunen Grund, von dem sich der Kopf abhebt, lesen wir:
NI^IIS 57 VONI 1326;
auf dem Schieber, der im Rahmen läuft und das Bild bedeckt, ist das Holz-
schuhersche Wappen mit dem Datum NVXXVI. Der alte nürnbergische
Patrizier hat rothe aber klare Gesichtsfarbe, Haupt- und Barthaar ist silber¬
grau und so fein detailirt, daß es wirklich schwebt, die Cirkelsorm der Augen
ist die von heißblütigen, zur Apoplexie geneigten Personen. Der alte Herr
trägt eine Schaube von Bisampelz über dem schwarzen Wams. Das Ganze,
von dem zu jener Zeit üblichen schwarzen Rahmen umschlossen, ist ein wahres
Wunderwerk von Ausführung und lohnt allein schon die Reise nach München.

(Schluß folgt.)




Die Gräfin, Trauerspiel in fünf Aufzügen.

Leipzig, S. Hirzel 1868.

Die kritische Würdigung eines Dramas findet am zweckmäßigsten dann
statt, wenn dasselbe seine Theaterprobe bereits gemacht hat. Der Bühnen¬
wirkung ist es im Ganzen vortheilhaft, wenn das Stück in der Darstellung
zu vollem Leben erblüht, bevor das Publicum vom Gesumm der Kritik ein¬
genommen ist. Dann ist es auch billig, daß der Kritiker dem Dichter die
Aufführung vorausgibt, denn durch sie kann der Dichter zu Aenderungen
veranlaßt werden, welche das ästhetische Urtheil wesentlich modificiren. Darum
empfiehlt sich heut noch, ein neues Stück nur im Manuscnpt drucken zu
lassen und erst nach vollendetem Bühnenlauf der Lesewelt zu übergeben,
obgleich unsere Gesetzgebung den Dramen des Buchhandels die Honorar«
rechte der Manuscripte zu erhalten bemüht ist. Indeß ist das genannte Drama
seit einem Jahre im Buchhandel erschienen, und es scheint fast, als ob die
deutschen Theater aus landüblichem Schlendrian dasselbe als Bücherdrama
betrachten, welches außerhalb des Kreises ihrer Aufgaben steht. So wird
die Erinnerung nicht unnütz sein, daß hier ein Theaterstück vorliegt, welches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/34>, abgerufen am 28.04.2024.