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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Der römische Hof M Winckelmann's Zeit.

Als Winckelmann nach Rom kam, war er der italienischen Sprache so
wenig mächtig, daß er nach Verlauf eines halben Jahres sagen konnte, er
sei fast noch mit Niemand bekannt wegen seiner geringen Fertigkeit, zu reden;
obwohl er nach der Anfangs auf wenige Jahre berechneten Dauer seines
Aufenthalts nicht eben Zeit zu verlieren hatte. Der Antrieb, römische Be¬
kanntschaften zu suchen, mochte schwächer sein, da er in dem Hause des Ma¬
lers Raphael Mengs Alles fand, was sein Herz begehrte: Anleitung zum
planmäßigen Studium römischer Kunstwerke, freigebige Mittheilungen aus
dem reichsten Schatz technischer und ästhetischer Beobachtungen, endlich eine
schöne Frau und eine liebenswürdige Familie, bei der er täglich willkommen
war. Er wohnte in einem Künstlerhause auf TrinitK de' Monti, dem Mengs-
schen gegenüber; ein paar Schritte von der Villa Medici, wo damals noch
keine französische Academie war, wohl aber die Gruppe der Niobe, die Ariadne,
der Apollino und der größte Theil des Antikenschatzes der Gallerie der Uffi-
zien. Die Mediceer hatten im Jahre 1680 die Venus, den Schleifer, den
Satyr, die Ringer in ihre Tribune entführt; seitdem hatte man die Villa,
wie es das Loos der meisten römischen Villen ist, der Verwilderung über¬
lassen; aber vor einigen Jahren hatte sie der toscanische Gesandte, Baron
von Se. Odile wieder zurecht machen lassen. Nun war sie das Ziel der Spa¬
ziergänge von Künstlern und Liebhabern, der Lieblingsort ihrer Meditationen
und Schwärmereien.

Die Gemeinschaft beider Männer wurde bald so eng, daß sie den Plan
machten, zusammen eine Schrift "über den Geschmack der griechischen Künstler"
auszuarbeiten, und gewiß ist, daß "aus dem, was damals zwischen ihnen ver¬
handelt wurde, sowohl die Schrift des Mengs "über die Schönheit und den
Geschmack in der Malerei", wie die systematischen Abschnitte der "Geschichte
der Kunst" hervorgegangen sind. Mengs wurde durch seinen geliebten Freund
zur Präcisirung und zum Aussprechen seiner zahlreichen Reflexionen und
Beobachtungen über die Principien und das Verfahren der großen Meister
des Cinquecento und der griechischen Bildhauer angeregt; für Winckelmann


Grenzboten IV. 180U, 46
Der römische Hof M Winckelmann's Zeit.

Als Winckelmann nach Rom kam, war er der italienischen Sprache so
wenig mächtig, daß er nach Verlauf eines halben Jahres sagen konnte, er
sei fast noch mit Niemand bekannt wegen seiner geringen Fertigkeit, zu reden;
obwohl er nach der Anfangs auf wenige Jahre berechneten Dauer seines
Aufenthalts nicht eben Zeit zu verlieren hatte. Der Antrieb, römische Be¬
kanntschaften zu suchen, mochte schwächer sein, da er in dem Hause des Ma¬
lers Raphael Mengs Alles fand, was sein Herz begehrte: Anleitung zum
planmäßigen Studium römischer Kunstwerke, freigebige Mittheilungen aus
dem reichsten Schatz technischer und ästhetischer Beobachtungen, endlich eine
schöne Frau und eine liebenswürdige Familie, bei der er täglich willkommen
war. Er wohnte in einem Künstlerhause auf TrinitK de' Monti, dem Mengs-
schen gegenüber; ein paar Schritte von der Villa Medici, wo damals noch
keine französische Academie war, wohl aber die Gruppe der Niobe, die Ariadne,
der Apollino und der größte Theil des Antikenschatzes der Gallerie der Uffi-
zien. Die Mediceer hatten im Jahre 1680 die Venus, den Schleifer, den
Satyr, die Ringer in ihre Tribune entführt; seitdem hatte man die Villa,
wie es das Loos der meisten römischen Villen ist, der Verwilderung über¬
lassen; aber vor einigen Jahren hatte sie der toscanische Gesandte, Baron
von Se. Odile wieder zurecht machen lassen. Nun war sie das Ziel der Spa¬
ziergänge von Künstlern und Liebhabern, der Lieblingsort ihrer Meditationen
und Schwärmereien.

Die Gemeinschaft beider Männer wurde bald so eng, daß sie den Plan
machten, zusammen eine Schrift „über den Geschmack der griechischen Künstler"
auszuarbeiten, und gewiß ist, daß «aus dem, was damals zwischen ihnen ver¬
handelt wurde, sowohl die Schrift des Mengs „über die Schönheit und den
Geschmack in der Malerei", wie die systematischen Abschnitte der „Geschichte
der Kunst" hervorgegangen sind. Mengs wurde durch seinen geliebten Freund
zur Präcisirung und zum Aussprechen seiner zahlreichen Reflexionen und
Beobachtungen über die Principien und das Verfahren der großen Meister
des Cinquecento und der griechischen Bildhauer angeregt; für Winckelmann


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[0369] Der römische Hof M Winckelmann's Zeit. Als Winckelmann nach Rom kam, war er der italienischen Sprache so wenig mächtig, daß er nach Verlauf eines halben Jahres sagen konnte, er sei fast noch mit Niemand bekannt wegen seiner geringen Fertigkeit, zu reden; obwohl er nach der Anfangs auf wenige Jahre berechneten Dauer seines Aufenthalts nicht eben Zeit zu verlieren hatte. Der Antrieb, römische Be¬ kanntschaften zu suchen, mochte schwächer sein, da er in dem Hause des Ma¬ lers Raphael Mengs Alles fand, was sein Herz begehrte: Anleitung zum planmäßigen Studium römischer Kunstwerke, freigebige Mittheilungen aus dem reichsten Schatz technischer und ästhetischer Beobachtungen, endlich eine schöne Frau und eine liebenswürdige Familie, bei der er täglich willkommen war. Er wohnte in einem Künstlerhause auf TrinitK de' Monti, dem Mengs- schen gegenüber; ein paar Schritte von der Villa Medici, wo damals noch keine französische Academie war, wohl aber die Gruppe der Niobe, die Ariadne, der Apollino und der größte Theil des Antikenschatzes der Gallerie der Uffi- zien. Die Mediceer hatten im Jahre 1680 die Venus, den Schleifer, den Satyr, die Ringer in ihre Tribune entführt; seitdem hatte man die Villa, wie es das Loos der meisten römischen Villen ist, der Verwilderung über¬ lassen; aber vor einigen Jahren hatte sie der toscanische Gesandte, Baron von Se. Odile wieder zurecht machen lassen. Nun war sie das Ziel der Spa¬ ziergänge von Künstlern und Liebhabern, der Lieblingsort ihrer Meditationen und Schwärmereien. Die Gemeinschaft beider Männer wurde bald so eng, daß sie den Plan machten, zusammen eine Schrift „über den Geschmack der griechischen Künstler" auszuarbeiten, und gewiß ist, daß «aus dem, was damals zwischen ihnen ver¬ handelt wurde, sowohl die Schrift des Mengs „über die Schönheit und den Geschmack in der Malerei", wie die systematischen Abschnitte der „Geschichte der Kunst" hervorgegangen sind. Mengs wurde durch seinen geliebten Freund zur Präcisirung und zum Aussprechen seiner zahlreichen Reflexionen und Beobachtungen über die Principien und das Verfahren der großen Meister des Cinquecento und der griechischen Bildhauer angeregt; für Winckelmann Grenzboten IV. 180U, 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/369>, abgerufen am 28.04.2024.