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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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suchen wird, darüber ist zur Zeit eine bestimmtere Aeußerung noch nicht
möglich. An der Börse wird das Project sehr verschieden beurtheilt.
Auch in der Kammer gehen die Ansichten und die Wünsche der Parteien in
dieser Hinsicht auseinander. Daß die Konservativen dem neuen Finanz¬
minister nicht hold sind, war schon bei seiner Ernennung ersichtlich. Auch
die Fortschrittspartei hat gleich anfangs gegen das System der Rentenschuld
Front gemacht. Die Nationalliberalen halten an der Hoffnung fest, daß
der Minister versuchen werde, eine dauernde Reform der Finanzen in's
Werk zu setzen und sie sind ihrerseits entschlossen, ihm bei diesem Versuche
ihre Unterstützung zu leihen. Daß Herr Camphausen das Vertrauen des
Landes verdient und daß er seine Thätigkeit nicht auf die technischen Fra¬
gen seines Ressorts beschränken, sondern auch den Bedürfnissen auf anderen
Gebieten des Staates Genüge zu thun bemüht sein werde, dafür scheint seine
erfolgreiche Intervention in der vielberufenen Angelegenheit der Wittwen-
und Waisencassen sür Elementarlehrer eine erfreuliche Bürgschaft zu bieten.




Literatur.

Briefe des Königl. preuß. Staatsministers, General-Postmeisters
und ehemaligen Bundestagsg escindten Karl Ferdinand Friedrich
von Nagler an einen Staatsbeamten. Als ein Beitrag zur Geschichte
des 19. Jahrhunderts herausgegeben von Ernst Kelchner und Prof. Dr. Karl
Mendelssohn-Bartholdy. Zwei Bände (Leipzig 1869).

Die Veröffentlichung der vorliegenden zwei Bände Nagler'scher Briefschaften ge¬
hört zu den publicistischen Unternehmungen, für welche sich eine rs-ison ä'örro beim
besten Willen nicht errathen läßt. Der Name des Gelehrten, der sich an dieser
Herausgabe betheiligte, schließt alle Gedanken an eine einfache Speculation aus und so
sind wir auf die Gründe angewiesen, welche die dem Werke vorgedruckte Vorrede für
das Erscheinen desselben namhaft macht! die Anschuldigungen gegen den vielgcscholtc-
nen Nagler "sollen auf ihr rechtes Maß zurückgeführt werden, die magere, wesentlich
auf Varnhagen's Tagebücher angewiesene moderne deutsche Memoircnliteratur soll be¬
reichert, über eine hochbedeutende Entwickelungsstufe unseres politischen und socialen
Lebens Licht verbreitet werden."

Der Referent hat das vorliegende Werk auf jede dieser drei Versprechungen ge¬
prüft und keine auch nur annähernd erfüllt gefunden. Vor Allem erscheint geradezu
unbegreiflich, wie die Herausgeber haben glauben können, daß diese Briefe zur Milde¬
rung des Urtheils beitragen würden, welches über Nagler's reactionäre Thätigkeit fest¬
steht. Im Gegentheil ist blos Material zur Verschärfung dieses Urtheils geboten
worden, und zwar ein Material, das eigentlich nur unter die Kategorie der schmutzigen


suchen wird, darüber ist zur Zeit eine bestimmtere Aeußerung noch nicht
möglich. An der Börse wird das Project sehr verschieden beurtheilt.
Auch in der Kammer gehen die Ansichten und die Wünsche der Parteien in
dieser Hinsicht auseinander. Daß die Konservativen dem neuen Finanz¬
minister nicht hold sind, war schon bei seiner Ernennung ersichtlich. Auch
die Fortschrittspartei hat gleich anfangs gegen das System der Rentenschuld
Front gemacht. Die Nationalliberalen halten an der Hoffnung fest, daß
der Minister versuchen werde, eine dauernde Reform der Finanzen in's
Werk zu setzen und sie sind ihrerseits entschlossen, ihm bei diesem Versuche
ihre Unterstützung zu leihen. Daß Herr Camphausen das Vertrauen des
Landes verdient und daß er seine Thätigkeit nicht auf die technischen Fra¬
gen seines Ressorts beschränken, sondern auch den Bedürfnissen auf anderen
Gebieten des Staates Genüge zu thun bemüht sein werde, dafür scheint seine
erfolgreiche Intervention in der vielberufenen Angelegenheit der Wittwen-
und Waisencassen sür Elementarlehrer eine erfreuliche Bürgschaft zu bieten.




Literatur.

Briefe des Königl. preuß. Staatsministers, General-Postmeisters
und ehemaligen Bundestagsg escindten Karl Ferdinand Friedrich
von Nagler an einen Staatsbeamten. Als ein Beitrag zur Geschichte
des 19. Jahrhunderts herausgegeben von Ernst Kelchner und Prof. Dr. Karl
Mendelssohn-Bartholdy. Zwei Bände (Leipzig 1869).

Die Veröffentlichung der vorliegenden zwei Bände Nagler'scher Briefschaften ge¬
hört zu den publicistischen Unternehmungen, für welche sich eine rs-ison ä'örro beim
besten Willen nicht errathen läßt. Der Name des Gelehrten, der sich an dieser
Herausgabe betheiligte, schließt alle Gedanken an eine einfache Speculation aus und so
sind wir auf die Gründe angewiesen, welche die dem Werke vorgedruckte Vorrede für
das Erscheinen desselben namhaft macht! die Anschuldigungen gegen den vielgcscholtc-
nen Nagler „sollen auf ihr rechtes Maß zurückgeführt werden, die magere, wesentlich
auf Varnhagen's Tagebücher angewiesene moderne deutsche Memoircnliteratur soll be¬
reichert, über eine hochbedeutende Entwickelungsstufe unseres politischen und socialen
Lebens Licht verbreitet werden."

Der Referent hat das vorliegende Werk auf jede dieser drei Versprechungen ge¬
prüft und keine auch nur annähernd erfüllt gefunden. Vor Allem erscheint geradezu
unbegreiflich, wie die Herausgeber haben glauben können, daß diese Briefe zur Milde¬
rung des Urtheils beitragen würden, welches über Nagler's reactionäre Thätigkeit fest¬
steht. Im Gegentheil ist blos Material zur Verschärfung dieses Urtheils geboten
worden, und zwar ein Material, das eigentlich nur unter die Kategorie der schmutzigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/407>, abgerufen am 27.04.2024.