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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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politischen Wäsche gestellt werden kann. Diese Wäsche besteht überdies nur aus Fetzen,
die selbst historischen Lumpensammlern kein besonderes Interesse bieten werden; denn
wenn man die ersten zwanzig oder dreißig von den vorliegenden 620 Seiten ge¬
lesen hat, so weiß man nicht viel weniger, als wenn man die Lectüre dieser Schrift
--- wie der Referent es gethan -- zu Ende geführt hat. Nagler, dessen Verdienste
als Organisator des preußischen Postwesens außer Frage stehen, war einige Zeit lang
Bundestagsgesandter gewesen und als solcher mit dem Hofrath Kelchncr ("dem Staats¬
beamten", an welchen die Briefe gerichtet sind) in nähere Beziehung getreten. Nach
seiner Rückkehr nach Berlin ließ der Ex-Gesandte sich durch seine früheren Untergebenen
über Frankfurter Neuigkeiten, namentlich über süddeutsche liberale und revolutionäre
Unternehmungen, sowie über neuere Erscheinungen der oppositionellen Presse und Pu-
blicistik regelmäßig berichten, gelegentlich gefährlich scheinende Persönlichkeiten auskund¬
schaften, Briefe und Actenstücke unterschlagen, heimlich öffnen u. f. w. Die bezüglichen,
apodictisch gegebenen Aufträge bilden den fast ausschließlichen Inhalt der vorliegenden Pu¬
blication, die nur sehr theilweise von des "getreuen" Kelchner's Antworten begleitet sind. In
weitaus den meisten Fällen erfahren wir nur, wie die Bücher und Zeitungsartikel hießen,
welche Naglers Neugier erregten; nicht selten begnügt er sich mit Andeutungen, die kaum
verständlich sind und über welche selbst die Herausgeber keinen Aufschluß zu geben
vermocht haben, und so geht es 620 Seiten lang!

Wenn man von einzelnen, immer nur aphoristischen Berichten über Berliner Tages¬
neuigkeiten absieht, ist das Buch höchstens dadurch bemerkenswerth, daß wir erfahren, wie
beschränkt einer der vertrautesten Diener Friedrich Wilhelms III. gewesen und in wie
kindischer Weise derselbe Mann, der die ultramontanen Umtriebe am Rhein so richtig
beurtheilte, sich von Kombst, Schlottmann und anderen Leuten dieses Schlages an der
Nase herumführen ließ. Im Vergleich zu diesen Briefschnitzeln erscheinen Varnhagen's
einseitige und anecdotische Aufzeichnungen wie ernsthafte Quellenwerke vom höchsten
Rang.

So bleibt die Frage nach dem Warum dieser Publication in jeder Rücksicht
unbeantwortet. Weder wissen wir, was Herrn Prof. Mendelssohn zu derselben ver¬
mocht hat, noch welche Motive Herrn Ernst Kelchner bewegen konnten, das Gedächtniß
seines Vorfahren nachträglich zu compromittiren.




Die G lenzboten beginnen am 1. Januar 1870 ihren 29. Jahrgang.
Die seitherigen wie die neu eintretenden Abonnenten ersuche ich, ihre Be¬
stellungen aus deu nächsten Jahrgang bis spätestens zum Is. Decbr.
bei den betreffenden Buchhandlungen oder Postämtern anzumelden, damit
die Zusendung rechtzeitig erfolgen kann.
Leipzig, im Decbr. 1869.Fr. Ludw. Herbig.




Verantwortliche Redacteure: Gustav Frcywg u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Hcrbig. -- Druck von Hüthel Legler in Lcivzia.

politischen Wäsche gestellt werden kann. Diese Wäsche besteht überdies nur aus Fetzen,
die selbst historischen Lumpensammlern kein besonderes Interesse bieten werden; denn
wenn man die ersten zwanzig oder dreißig von den vorliegenden 620 Seiten ge¬
lesen hat, so weiß man nicht viel weniger, als wenn man die Lectüre dieser Schrift
—- wie der Referent es gethan — zu Ende geführt hat. Nagler, dessen Verdienste
als Organisator des preußischen Postwesens außer Frage stehen, war einige Zeit lang
Bundestagsgesandter gewesen und als solcher mit dem Hofrath Kelchncr („dem Staats¬
beamten", an welchen die Briefe gerichtet sind) in nähere Beziehung getreten. Nach
seiner Rückkehr nach Berlin ließ der Ex-Gesandte sich durch seine früheren Untergebenen
über Frankfurter Neuigkeiten, namentlich über süddeutsche liberale und revolutionäre
Unternehmungen, sowie über neuere Erscheinungen der oppositionellen Presse und Pu-
blicistik regelmäßig berichten, gelegentlich gefährlich scheinende Persönlichkeiten auskund¬
schaften, Briefe und Actenstücke unterschlagen, heimlich öffnen u. f. w. Die bezüglichen,
apodictisch gegebenen Aufträge bilden den fast ausschließlichen Inhalt der vorliegenden Pu¬
blication, die nur sehr theilweise von des „getreuen" Kelchner's Antworten begleitet sind. In
weitaus den meisten Fällen erfahren wir nur, wie die Bücher und Zeitungsartikel hießen,
welche Naglers Neugier erregten; nicht selten begnügt er sich mit Andeutungen, die kaum
verständlich sind und über welche selbst die Herausgeber keinen Aufschluß zu geben
vermocht haben, und so geht es 620 Seiten lang!

Wenn man von einzelnen, immer nur aphoristischen Berichten über Berliner Tages¬
neuigkeiten absieht, ist das Buch höchstens dadurch bemerkenswerth, daß wir erfahren, wie
beschränkt einer der vertrautesten Diener Friedrich Wilhelms III. gewesen und in wie
kindischer Weise derselbe Mann, der die ultramontanen Umtriebe am Rhein so richtig
beurtheilte, sich von Kombst, Schlottmann und anderen Leuten dieses Schlages an der
Nase herumführen ließ. Im Vergleich zu diesen Briefschnitzeln erscheinen Varnhagen's
einseitige und anecdotische Aufzeichnungen wie ernsthafte Quellenwerke vom höchsten
Rang.

So bleibt die Frage nach dem Warum dieser Publication in jeder Rücksicht
unbeantwortet. Weder wissen wir, was Herrn Prof. Mendelssohn zu derselben ver¬
mocht hat, noch welche Motive Herrn Ernst Kelchner bewegen konnten, das Gedächtniß
seines Vorfahren nachträglich zu compromittiren.




Die G lenzboten beginnen am 1. Januar 1870 ihren 29. Jahrgang.
Die seitherigen wie die neu eintretenden Abonnenten ersuche ich, ihre Be¬
stellungen aus deu nächsten Jahrgang bis spätestens zum Is. Decbr.
bei den betreffenden Buchhandlungen oder Postämtern anzumelden, damit
die Zusendung rechtzeitig erfolgen kann.
Leipzig, im Decbr. 1869.Fr. Ludw. Herbig.




Verantwortliche Redacteure: Gustav Frcywg u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Hcrbig. — Druck von Hüthel Legler in Lcivzia.
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[0408] politischen Wäsche gestellt werden kann. Diese Wäsche besteht überdies nur aus Fetzen, die selbst historischen Lumpensammlern kein besonderes Interesse bieten werden; denn wenn man die ersten zwanzig oder dreißig von den vorliegenden 620 Seiten ge¬ lesen hat, so weiß man nicht viel weniger, als wenn man die Lectüre dieser Schrift —- wie der Referent es gethan — zu Ende geführt hat. Nagler, dessen Verdienste als Organisator des preußischen Postwesens außer Frage stehen, war einige Zeit lang Bundestagsgesandter gewesen und als solcher mit dem Hofrath Kelchncr („dem Staats¬ beamten", an welchen die Briefe gerichtet sind) in nähere Beziehung getreten. Nach seiner Rückkehr nach Berlin ließ der Ex-Gesandte sich durch seine früheren Untergebenen über Frankfurter Neuigkeiten, namentlich über süddeutsche liberale und revolutionäre Unternehmungen, sowie über neuere Erscheinungen der oppositionellen Presse und Pu- blicistik regelmäßig berichten, gelegentlich gefährlich scheinende Persönlichkeiten auskund¬ schaften, Briefe und Actenstücke unterschlagen, heimlich öffnen u. f. w. Die bezüglichen, apodictisch gegebenen Aufträge bilden den fast ausschließlichen Inhalt der vorliegenden Pu¬ blication, die nur sehr theilweise von des „getreuen" Kelchner's Antworten begleitet sind. In weitaus den meisten Fällen erfahren wir nur, wie die Bücher und Zeitungsartikel hießen, welche Naglers Neugier erregten; nicht selten begnügt er sich mit Andeutungen, die kaum verständlich sind und über welche selbst die Herausgeber keinen Aufschluß zu geben vermocht haben, und so geht es 620 Seiten lang! Wenn man von einzelnen, immer nur aphoristischen Berichten über Berliner Tages¬ neuigkeiten absieht, ist das Buch höchstens dadurch bemerkenswerth, daß wir erfahren, wie beschränkt einer der vertrautesten Diener Friedrich Wilhelms III. gewesen und in wie kindischer Weise derselbe Mann, der die ultramontanen Umtriebe am Rhein so richtig beurtheilte, sich von Kombst, Schlottmann und anderen Leuten dieses Schlages an der Nase herumführen ließ. Im Vergleich zu diesen Briefschnitzeln erscheinen Varnhagen's einseitige und anecdotische Aufzeichnungen wie ernsthafte Quellenwerke vom höchsten Rang. So bleibt die Frage nach dem Warum dieser Publication in jeder Rücksicht unbeantwortet. Weder wissen wir, was Herrn Prof. Mendelssohn zu derselben ver¬ mocht hat, noch welche Motive Herrn Ernst Kelchner bewegen konnten, das Gedächtniß seines Vorfahren nachträglich zu compromittiren. Die G lenzboten beginnen am 1. Januar 1870 ihren 29. Jahrgang. Die seitherigen wie die neu eintretenden Abonnenten ersuche ich, ihre Be¬ stellungen aus deu nächsten Jahrgang bis spätestens zum Is. Decbr. bei den betreffenden Buchhandlungen oder Postämtern anzumelden, damit die Zusendung rechtzeitig erfolgen kann. Leipzig, im Decbr. 1869.Fr. Ludw. Herbig. Verantwortliche Redacteure: Gustav Frcywg u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Hcrbig. — Druck von Hüthel Legler in Lcivzia.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/408>, abgerufen am 27.04.2024.