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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Friedrich Schlegel und die Tenien.

An R. Haym
von


Michael Bernays.

Lassen Sie Sich's gefallen, hochverehrter Mann, daß ich Ihnen öffent¬
lich den Dank ausspreche für die Belehrung, die Sie mir so freundlich dar¬
geboten haben. Ich rede hier nicht von der Belehrung, die allen, welche
das geschichtliche Studium unserer Literatur als eine ernste Angelegenheit
betreiben, durch Ihre Arbeiten so vielfach und reichlich zu Theil geworden-
für diese im Stillen zu danken, habe ich schon oft willkommenen Anlaß ge¬
funden, und auch in Zukunft wird dieser Anlaß häufig genug wiederkehren;
-- jetzt möchte ich mich nur für die Belehrung erkenntlich bezeigen, die Sie
mir allein, durch Ihren Brief vom 30. Juli, gewährten.

Sie haben meiner schwankenden Vermuthung festen Halt gegeben und
sie bis zur Gewißheit bestätigt; Sie haben das Sachverhältniß so klar und
überzeugend dargelegt, daß mir jedes Bedenken geschwunden ist. Wir wissen
nun, was es für eine Bewandniß hat mit der "Schlegelischen Kritik von
Schlossern", deren Schiller im Briefe an Goethe vom 16. Mai 1797 mit
so unverholenem Aerger und Widerwillen gedenkt. Jene Kritik, gerichtet
gegen I. G. Schlosser's "Schreiben an einen jungen Mann, der die kritische
Philosophie studiren wollte", haben wir in dem von Reichardt herausge¬
gebenen Journale "Deutschland" zu suchen; dort steht sie im zehnten Stück
S. 49--66 unter dem Titel "der deutsche Orpheus""). Sie wird also fortan



") Das Erscheinen der letzten Monalsstücke dieser Zeitschrift, die nur den einen Jahr¬
gang 1796 erlebte, hatte sich um ein bedeutendes verspätet. Daher mag es sich erklären,
daß erst am 16. Mai 97 eines Aufsatzes Erwähnung geschieht, der bereits im Octoberheft 96
veröffentlicht worden. Allerdings erwähnt Goethe schon im Briefe vom 28. April des Auf¬
satzes "Ueber die homerische Poesie", den erst das Novemberheft gebracht hatte. Aber diese
Abhandlung mußte sogleich von selbst Goethe's Beachtung auf sich ziehen, da sie in die da¬
mals so lebhaft betriebenen epischen Studien so unmittelbar eingriff; (vgl. Goethe's Briefe
an F. A. Wolf S. 29) die philosophischen Händel lagen ihm gerade damals ferner, und ein
Aufsatz, der diese betraf, konnte wohl eine Zeitlang von ihm ungelesen bleiben. Aus Schiller's
Frage am 1ö, Mai ist übrigens zu entnehmen, daß von der Schlegel'schen Kritik schon früher
unter den Freunden die Rede gewesen, wahrscheinlich während Goethe'ö Aufenthalt in Jena
vom 22. Februar bis zum 31. März.
Grenzboten IV. 1869. S1
Friedrich Schlegel und die Tenien.

An R. Haym
von


Michael Bernays.

Lassen Sie Sich's gefallen, hochverehrter Mann, daß ich Ihnen öffent¬
lich den Dank ausspreche für die Belehrung, die Sie mir so freundlich dar¬
geboten haben. Ich rede hier nicht von der Belehrung, die allen, welche
das geschichtliche Studium unserer Literatur als eine ernste Angelegenheit
betreiben, durch Ihre Arbeiten so vielfach und reichlich zu Theil geworden-
für diese im Stillen zu danken, habe ich schon oft willkommenen Anlaß ge¬
funden, und auch in Zukunft wird dieser Anlaß häufig genug wiederkehren;
— jetzt möchte ich mich nur für die Belehrung erkenntlich bezeigen, die Sie
mir allein, durch Ihren Brief vom 30. Juli, gewährten.

Sie haben meiner schwankenden Vermuthung festen Halt gegeben und
sie bis zur Gewißheit bestätigt; Sie haben das Sachverhältniß so klar und
überzeugend dargelegt, daß mir jedes Bedenken geschwunden ist. Wir wissen
nun, was es für eine Bewandniß hat mit der „Schlegelischen Kritik von
Schlossern", deren Schiller im Briefe an Goethe vom 16. Mai 1797 mit
so unverholenem Aerger und Widerwillen gedenkt. Jene Kritik, gerichtet
gegen I. G. Schlosser's „Schreiben an einen jungen Mann, der die kritische
Philosophie studiren wollte", haben wir in dem von Reichardt herausge¬
gebenen Journale „Deutschland" zu suchen; dort steht sie im zehnten Stück
S. 49—66 unter dem Titel „der deutsche Orpheus""). Sie wird also fortan



") Das Erscheinen der letzten Monalsstücke dieser Zeitschrift, die nur den einen Jahr¬
gang 1796 erlebte, hatte sich um ein bedeutendes verspätet. Daher mag es sich erklären,
daß erst am 16. Mai 97 eines Aufsatzes Erwähnung geschieht, der bereits im Octoberheft 96
veröffentlicht worden. Allerdings erwähnt Goethe schon im Briefe vom 28. April des Auf¬
satzes „Ueber die homerische Poesie", den erst das Novemberheft gebracht hatte. Aber diese
Abhandlung mußte sogleich von selbst Goethe's Beachtung auf sich ziehen, da sie in die da¬
mals so lebhaft betriebenen epischen Studien so unmittelbar eingriff; (vgl. Goethe's Briefe
an F. A. Wolf S. 29) die philosophischen Händel lagen ihm gerade damals ferner, und ein
Aufsatz, der diese betraf, konnte wohl eine Zeitlang von ihm ungelesen bleiben. Aus Schiller's
Frage am 1ö, Mai ist übrigens zu entnehmen, daß von der Schlegel'schen Kritik schon früher
unter den Freunden die Rede gewesen, wahrscheinlich während Goethe'ö Aufenthalt in Jena
vom 22. Februar bis zum 31. März.
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[0409] Friedrich Schlegel und die Tenien. An R. Haym von Michael Bernays. Lassen Sie Sich's gefallen, hochverehrter Mann, daß ich Ihnen öffent¬ lich den Dank ausspreche für die Belehrung, die Sie mir so freundlich dar¬ geboten haben. Ich rede hier nicht von der Belehrung, die allen, welche das geschichtliche Studium unserer Literatur als eine ernste Angelegenheit betreiben, durch Ihre Arbeiten so vielfach und reichlich zu Theil geworden- für diese im Stillen zu danken, habe ich schon oft willkommenen Anlaß ge¬ funden, und auch in Zukunft wird dieser Anlaß häufig genug wiederkehren; — jetzt möchte ich mich nur für die Belehrung erkenntlich bezeigen, die Sie mir allein, durch Ihren Brief vom 30. Juli, gewährten. Sie haben meiner schwankenden Vermuthung festen Halt gegeben und sie bis zur Gewißheit bestätigt; Sie haben das Sachverhältniß so klar und überzeugend dargelegt, daß mir jedes Bedenken geschwunden ist. Wir wissen nun, was es für eine Bewandniß hat mit der „Schlegelischen Kritik von Schlossern", deren Schiller im Briefe an Goethe vom 16. Mai 1797 mit so unverholenem Aerger und Widerwillen gedenkt. Jene Kritik, gerichtet gegen I. G. Schlosser's „Schreiben an einen jungen Mann, der die kritische Philosophie studiren wollte", haben wir in dem von Reichardt herausge¬ gebenen Journale „Deutschland" zu suchen; dort steht sie im zehnten Stück S. 49—66 unter dem Titel „der deutsche Orpheus""). Sie wird also fortan ") Das Erscheinen der letzten Monalsstücke dieser Zeitschrift, die nur den einen Jahr¬ gang 1796 erlebte, hatte sich um ein bedeutendes verspätet. Daher mag es sich erklären, daß erst am 16. Mai 97 eines Aufsatzes Erwähnung geschieht, der bereits im Octoberheft 96 veröffentlicht worden. Allerdings erwähnt Goethe schon im Briefe vom 28. April des Auf¬ satzes „Ueber die homerische Poesie", den erst das Novemberheft gebracht hatte. Aber diese Abhandlung mußte sogleich von selbst Goethe's Beachtung auf sich ziehen, da sie in die da¬ mals so lebhaft betriebenen epischen Studien so unmittelbar eingriff; (vgl. Goethe's Briefe an F. A. Wolf S. 29) die philosophischen Händel lagen ihm gerade damals ferner, und ein Aufsatz, der diese betraf, konnte wohl eine Zeitlang von ihm ungelesen bleiben. Aus Schiller's Frage am 1ö, Mai ist übrigens zu entnehmen, daß von der Schlegel'schen Kritik schon früher unter den Freunden die Rede gewesen, wahrscheinlich während Goethe'ö Aufenthalt in Jena vom 22. Februar bis zum 31. März. Grenzboten IV. 1869. S1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/409>, abgerufen am 28.04.2024.