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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Die Aussichten des preußischen Landtags.

Die Auspickn, unter denen d^r preußische Landtag dieses Mal zu¬
sammengetreten, sind von denen des vorigen Jahres ungemein verschieden.
Sowohl die inneren Verhältnisse des preußischen Staats, wie die Beziehungen
zum Auslande, welche sür uns in demselben Maße einflußreicher geworden
sind, in dem die Bedeutung Preußens in der europäischen Politik gewachsen,
bieten gegen den Herbst 1868 ein verändertes Bild dar. Die Gefahr einer
auswärtigen Diversion des zweiten Kaiserreiches ist, wenn nicht beseitigt, so
doch in eine nicht abzusehende Zukunft gerückt; südlich vom Main wird die
Nothwendigkeit des Anschlusses an den norddeutschen Bund bis in die
Kreise hinein anerkannt, die sonst als Mittelpartei eine ablehnende Stellung
einzunehmen gewohnt waren, und die letzten Tage haben von einer Annähe¬
rung an Oestreich zu berichten gewußt, die vielfach mit einem Verzicht der
Beust'schen Politik auf Einmischung in die süddeutsche Frage in Verbindung
gebracht worden ist. Wenn auch in letzterer Beziehung zweifellos dafür ge¬
sorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, so erscheint doch schon
die bloße Möglichkeit, Oestreich für eine veränderte Auffassung der seit 1866
geschaffenen Lage zu gewinnen, als erheblicher Fortschritt gegen die gespannte
Situation, welche vor zwölf Monaten vorlag, und die Berathungen der preu¬
ßischen Volksvertretung werden von jeder Pression auswärtiger Schwierig¬
keiten frei sein.

Minder erfreulich sind die Vorgänge, welche sich seit dem vorigen Jahre
auf dem Gebiete unseres inneren Staatslebens vollzogen haben. Die drei
großen parlamentarischen Körper, welche einander' in Berlin ablösen, stehen
naturgemäß in engem Zusammenhang. Von den legislativen Arbeiten,
welche dem vorjährigen Landtage bestimmt waren, ist keine zum Abschluß
gekommen und ebenso haben die Sessionen des Reichstags und Zollparla¬
ments keine Erfolge auszuweisen, welche das Vertrauen auf eine glückliche
Erledigung der dieses Mal vorliegenden Probleme zu befestigen geeignet
wären. Das vollständige Scheitern der Finanzpläne, mit denen Herr


Grenzboten IV. 18K9. L
Die Aussichten des preußischen Landtags.

Die Auspickn, unter denen d^r preußische Landtag dieses Mal zu¬
sammengetreten, sind von denen des vorigen Jahres ungemein verschieden.
Sowohl die inneren Verhältnisse des preußischen Staats, wie die Beziehungen
zum Auslande, welche sür uns in demselben Maße einflußreicher geworden
sind, in dem die Bedeutung Preußens in der europäischen Politik gewachsen,
bieten gegen den Herbst 1868 ein verändertes Bild dar. Die Gefahr einer
auswärtigen Diversion des zweiten Kaiserreiches ist, wenn nicht beseitigt, so
doch in eine nicht abzusehende Zukunft gerückt; südlich vom Main wird die
Nothwendigkeit des Anschlusses an den norddeutschen Bund bis in die
Kreise hinein anerkannt, die sonst als Mittelpartei eine ablehnende Stellung
einzunehmen gewohnt waren, und die letzten Tage haben von einer Annähe¬
rung an Oestreich zu berichten gewußt, die vielfach mit einem Verzicht der
Beust'schen Politik auf Einmischung in die süddeutsche Frage in Verbindung
gebracht worden ist. Wenn auch in letzterer Beziehung zweifellos dafür ge¬
sorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, so erscheint doch schon
die bloße Möglichkeit, Oestreich für eine veränderte Auffassung der seit 1866
geschaffenen Lage zu gewinnen, als erheblicher Fortschritt gegen die gespannte
Situation, welche vor zwölf Monaten vorlag, und die Berathungen der preu¬
ßischen Volksvertretung werden von jeder Pression auswärtiger Schwierig¬
keiten frei sein.

Minder erfreulich sind die Vorgänge, welche sich seit dem vorigen Jahre
auf dem Gebiete unseres inneren Staatslebens vollzogen haben. Die drei
großen parlamentarischen Körper, welche einander' in Berlin ablösen, stehen
naturgemäß in engem Zusammenhang. Von den legislativen Arbeiten,
welche dem vorjährigen Landtage bestimmt waren, ist keine zum Abschluß
gekommen und ebenso haben die Sessionen des Reichstags und Zollparla¬
ments keine Erfolge auszuweisen, welche das Vertrauen auf eine glückliche
Erledigung der dieses Mal vorliegenden Probleme zu befestigen geeignet
wären. Das vollständige Scheitern der Finanzpläne, mit denen Herr


Grenzboten IV. 18K9. L
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[0049] Die Aussichten des preußischen Landtags. Die Auspickn, unter denen d^r preußische Landtag dieses Mal zu¬ sammengetreten, sind von denen des vorigen Jahres ungemein verschieden. Sowohl die inneren Verhältnisse des preußischen Staats, wie die Beziehungen zum Auslande, welche sür uns in demselben Maße einflußreicher geworden sind, in dem die Bedeutung Preußens in der europäischen Politik gewachsen, bieten gegen den Herbst 1868 ein verändertes Bild dar. Die Gefahr einer auswärtigen Diversion des zweiten Kaiserreiches ist, wenn nicht beseitigt, so doch in eine nicht abzusehende Zukunft gerückt; südlich vom Main wird die Nothwendigkeit des Anschlusses an den norddeutschen Bund bis in die Kreise hinein anerkannt, die sonst als Mittelpartei eine ablehnende Stellung einzunehmen gewohnt waren, und die letzten Tage haben von einer Annähe¬ rung an Oestreich zu berichten gewußt, die vielfach mit einem Verzicht der Beust'schen Politik auf Einmischung in die süddeutsche Frage in Verbindung gebracht worden ist. Wenn auch in letzterer Beziehung zweifellos dafür ge¬ sorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, so erscheint doch schon die bloße Möglichkeit, Oestreich für eine veränderte Auffassung der seit 1866 geschaffenen Lage zu gewinnen, als erheblicher Fortschritt gegen die gespannte Situation, welche vor zwölf Monaten vorlag, und die Berathungen der preu¬ ßischen Volksvertretung werden von jeder Pression auswärtiger Schwierig¬ keiten frei sein. Minder erfreulich sind die Vorgänge, welche sich seit dem vorigen Jahre auf dem Gebiete unseres inneren Staatslebens vollzogen haben. Die drei großen parlamentarischen Körper, welche einander' in Berlin ablösen, stehen naturgemäß in engem Zusammenhang. Von den legislativen Arbeiten, welche dem vorjährigen Landtage bestimmt waren, ist keine zum Abschluß gekommen und ebenso haben die Sessionen des Reichstags und Zollparla¬ ments keine Erfolge auszuweisen, welche das Vertrauen auf eine glückliche Erledigung der dieses Mal vorliegenden Probleme zu befestigen geeignet wären. Das vollständige Scheitern der Finanzpläne, mit denen Herr Grenzboten IV. 18K9. L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/49>, abgerufen am 28.04.2024.